17. Das zertretene Ich

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Aufgewühlt und ziellos stürmte Louis aus der Bar und ging mit schnellen Schritten die breite Straße entlang. Überall waren grelle Lichter und eine Menge Menschen unterwegs. Er schlängelte sich zwischen ihnen hindurch, doch egal wie schnell er auch ging, das Gefühl der Enge in seiner Brust und im Hals verschwand nicht. Er fühlte sich zittrig, schwach und als Versager.

Harry hatte Recht, er verhielt sich krampfig, aber was sollte er tun? Er kannte es schon fast nicht mehr anders und wieso musste Harry ihn ausgerechnet mit der Nase darauf stoßen? Er wusste doch, dass er sich schwer tat.

„Warst du schon mal auf einem Konzert?", fragte Steven und sah Louis von der Seite her lächelnd an. „Nein bisher nicht, ich hatte irgendwie nie die Gelegenheit dazu", antwortete Louis und zog entschuldigend die Schultern hoch. „Wie kommt es, dass du dann ausgerechnet das Open Air heute vorgeschlagen hast?", wollte sein Begleiter neugierig wissen.

„Ich weiß auch nicht, das war irgendwie das Einzige, was man heute so unternehmen konnte und ich dachte, weil es ja heute Nacht sicherlich noch lange warm sein wird, bietet es sich an, dorthin zu gehen. Außerdem kostet es nichts."

Steven schob die Hände in die Taschen der dunklen Hose und nickte: „Stimmt, du in Ausbildung und ich noch in der Schule - da kann man nicht gerade von Reichtum sprechen, nicht wahr?"

„Nein, nicht wirklich", gab Louis zu und wandte den Blick nach vorne. Der Weg stieg etwas an und sie erreichten den Eingang des kleinen Geländes, wo heute Abend in Doncaster eine Open Air Veranstaltung stattfand. Der Eintritt war kostenlos und die lokalen Bands, die hier auftraten, bekamen für ihre Auftritte auch kein Geld. Doch es war eine nette Abwechslung zum sonst so ruhigen Leben in dem kleinen Ort, dass sich doch eine ganze Menge Leute eingefunden hatten.

Steven betrat vor Louis das Gelände und griff nach seiner Hand. „Ich will nicht, dass du gleich verloren gehst", sagte er und zog ihn sachte hinter sich her zwischen den Menschen hindurch auf eine kleine Anhöhe, wo sich einige ins Gras gesetzt hatten.

Sie fanden einen guten Platz und setzten sich nebeneinander. Louis konnte sich kaum auf die Musik konzentrieren. Er war viel zu nervös, dass er mit Steven heute hier war und musste ihn immerzu ansehen. Er erzählte ihm von seinem Alltag im Internat, auf das er ging und beschrieb Louis das Leben dort. Das war interessant, denn er hatte noch nie jemanden getroffen, der auf einem Internat war und stellte sich das immer sehr romantisch vor. Doch ganz so schien es nicht zu sein, zumindest nicht, wie Steven es erklärte. Trotzdem schien er sich dort ganz wohl zu fühlen. Obwohl sie sich auf einer Anhöhe befanden, war es hier bereits dunkel, denn die Bäume rings herum, waren wuchtig und hoch und lediglich das grelle Licht der Bühne beleuchtete den Platz.

Grelle Lichter blendeten Louis jetzt auch und er wischte sich immer wieder die Tränen weg. Die andern Passanten und Nachtschwärmer musterten ihn bereits misstrauisch. Hatten die noch nie jemanden weinen gesehen?

Dass Harry laut ausgesprochen hatte, was Louis schon lange empfand, tat immer noch weh. Ja, er wusste, dass er unsicher war und übervorsichtig, obwohl er es vielleicht gar nicht sein musste. Aber es ließ sich eben nicht einfach so abstellen. Wenn er wüsste, wie das ginge, dann wäre das längst abgehakt. Louis bog nach rechts ab und blieb schwer atmend in einer schmalen Gasse stehen. Selbst hier war es hell, doch die Leute beachteten ihn nicht, als er an der Wand herunterrutschte und sich die Fingernägel in die Handflächen drückte.

Früher war er anders gewesen. Er war locker auf Leute zugegangen, hatte Probleme einfach durch ein klärendes Gespräch gelöst und sich nur so lange um etwas gesorgt, solange es die Sorge wert gewesen war.

Aber jetzt? Seit Steven in seinem Leben gewütet hatte, war Louis unsicher, zweifelte seine eigenen Stärken an. Er wagte sich nicht mehr so weit aus sich heraus und hatte ständig Angst, was jemand von ihm denken konnte. Dabei wünschte er sich so sehr, wieder so zu werden, wie früher.

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