36. Aufputschmittel helfen

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Louis war froh, damals nur einmal zum Messer gegriffen zu haben. Allein Harrys Besorgnis, die nur dieser eine Schnitt hervorgerufen hatte, tat ihm weh. Wie er wohl ausgesehen hätte, wenn Louis mehrere Verletzungen vorzuweisen hätte?

Auch Harry schien erleichtert. Er verzichtete darauf, Louis noch einmal auf das Thema anzusprechen. Stattdessen fuhr er fort, ihm zu zeigen, dass er ihn so akzeptierte wie er war. Eng umschlungen, sich vorsichtig küssend und liebkosend, lagen sie da und Louis musste immer wieder die Augen öffnen, um sicher zu gehen, wen er da gerade vor sich hatte. Im schummerigen Licht der kleinen Lampe, die eingeschaltet war, wirkte alles weich. „Louis, wieso starrst du mich so an?", hauchte Harry, öffnete ein Auge, hörte auf, seine Brust zu streicheln und hob die Augenbrauen. „Nichts, ich finde das hier gerade nur so absurd", gab er zu und grinste kurz verlegen. „Was findest du absurd?"

„Naja, dass du mich küsst und ich hier bin und alles..." Wie sollte man das denn am besten in Worte fassen? Louis wünschte sich ein wenig mehr Redegewandtheit, doch er hatte keine Ahnung, wie er seine Gefühle am besten ausdrücken sollte. „Ich finde es schön,, dass du hier bist und tatsächlich meine Einladung angenommen hast", sagte Harry leise und seine Lippen hauchten ihm sachte einen Kuss auf die Nase. „Ich hätte ehrlich gesagt niemals gedacht, dass du wirklich herkommen würdest."

„Meine Mum hatte Bedenken, was das angeht, weißt du?", erzählte Louis, hob den Blick und strich Harry durch die dunklen Haare. „Bedenken?", wiederholte Harry und lächelte dann wissend: „Ohja, sicherlich dachte sie, ich sei ein Spinner. Das hat sie doch sicher gedacht oder?" Er klang positiv. Fast schon so, als würde er diesen Vorwurf ständig zu hören bekommen. „Naja, sie kennt dich nicht und hat nur Bilder von dir gesehen. Vielleicht dachte sie, du willst eine Gegenleistung." Um die grünen Augen bildeten sich kleine Lachfältchen, als Harry das hörte und er nickte: „Ja, das passt gut zu dem Image eines Popstars. Sex, Drugs an Rock'n Roll. Ich kann es ihr nicht einmal übel nehmen. Hast du ihr denn in der Zwischenzeit mal geschrieben, dass hier alles okay ist und ich kein wildes Sexmonster bin?" Louis nickte. Tatsächlich hatte er seiner Mum vor einigen Tagen eine Nachricht geschrieben und sie war beruhigt zu hören, dass es ihm gut ging. Harry seufzte und legte den Kopf auf Louis' Brustkorb. „Ich kann deine Mum verstehen, man liest ja in der Presse immer wieder von den wildesten Parties und Drogengeschichten."

„Hast du mal Drogen genommen?", fragte Louis mit einem Mal und Harry runzelte die Stirn, als müsste er angestrengt darüber nachdenken, dann sagte er: „Also Alkohol kommt ja sowieso bei jeder Party in die Gläser, ansonsten habe ich ein paar Mal Cannabis geraucht und ganz früher zu One Direction Zeiten ab und an mal Aufputschmittel bekommen."

„Bekommen, oder genommen?", fragte Louis, weil er glaubte, sich verhört zu haben. „Bekommen", wiederholte Harry leise, fast so, als würde er sich dafür schämen. Entsetzt richtete Louis sich auf: „Man hat euch Aufputschmittel gegeben? Ihr wart doch noch jung! Wieso?"

„Wir mussten funktionieren", entgegnete Harry und schien nicht sonderlich verbittert. Machte es ihm gar nichts aus? „Louis, ich weiß, dass das schlimm war und dass sich das nicht gehört, aber uns war das damals selbst nicht klar und auch, wenn wir volljährig waren, hatten wir einfach nicht den Mut, uns zu wehren. Außerdem war es oft so, dass wir unendlich lange Tage hatten und bevor man ein Konzert absagen musste, gab es eben das ein oder andere Mittelchen, damit das alles läuft." Louis kniff die Lippen zusammen und sah Harry an. „Hattet ihr so lange Tage?", fragte er und Harry nickte, bevor er sagte: „Also ein Konzerttag in einer Stadt konnte folgendermaßen aussehen. In der Nacht ankommen, das Hotel beziehen, wenige Stunden schlafen, aufstehen, Interviews mit örtlichen Radiosendern, Zeitungen etc. Danach ging es dann in die Halle, Soundcheck, Probe, technischer Durchlauf, Sportprogramm backstage, Mittagessen. Danach Meet and Greets, umziehen, Maske, Abendessen und dann die Show. Manchmal ging es danach gleich ins Hotel, oder aber direkt zum Flughafen, weil wir weiter mussten. Und das laugt auf die Dauer schon aus. Wenn dann fünf Jungs vollkommen platt im Hotel liegen, dann wusste man sich eben nicht anders zu helfen und so haben wir die Shows gut über die Bühne gekriegt."

„Aber das kann doch keine Lösung sein", entrüstete sich Louis und sah Harry mit leichtem Kopfschütteln an. „Ja, das weiß ich, aber man sagt ja immer, dass man das Eisen schmieden muss, solange es heiß ist und wir waren verdammt heiß. Man konnte es sich einfach nicht leisten, ein Konzert abzusagen, da hing ne Menge Geld dran und wir hatten ja auch unsere Verträge..." Harry seufzte, als würde er einsehen, dass es so einfach nicht okay war, küsste ihn sanft auf die Wange und legte sich wieder hin. Für ihn schien das Thema gegessen zu sein, doch Louis war noch lange nicht fertig. Ungeduldig zupfte er Harry am Ohr, der kicherte und den Kopf einzog. „Und wie konnte man danach schlafen? Da ist der Körper doch sicherlich voll wach, oder?"

„Ja natürlich war man wach. Meist habe ich dann abends noch ne lange Joggingrunde eingelegt oder so viel Wasser getrunken, dass das Zeug schneller ausgeschwemmt wurde. Aber müde war man am nächsten Tag dann meist trotzdem. Das schleppte man dann so lange mit sich herum, bis man mal ausschlafen konnte. Aber ja, du hast recht, es ist kein Dauerzustand und gesund ist es auch nicht. Vielleicht war das auch der Grund, wieso Zayn damals die Band verlassen hat." Junge Menschen unter Medikamente zu stellen, damit sie ablieferten, das war harter Tobak und Louis konnte nicht aufhören, darüber nachzudenken. Irgendwann schlief Harry neben ihm ein, eine Hand locker auf seinem Bauch liegend und Louis nutzte die Möglichkeit, das Handy hervor zu ziehen. Kurz überlegte er, nochmal seinen Instagram Feed zu öffnen, ließ er es doch lieber schnell bleiben. Immerhin hatte Yuzuru ihm geraten, es sein zu lassen.

Er öffnete also Google und gab >Harry Styles One Direction 2015< ein. Die Suchmaschine spuckte ihm einige Bilder aus. Zu der Zeit hatte Harry ziemlich lange Haare gehabt und Louis zog die Nase kraus. Stevens Haare waren auch lang gewesen und es hatte ihm eigentlich gut gefallen. Im Prinzip gefiel es ihm immer noch, aber er wollte sich nicht eingestehen, dass er das noch attraktiv fand. Beim Heranzoomen an ein Bild fielen ihm Harrys Augen auf. Sie sahen müde aus. Oder war das nur so, weil er wusste, dass die Jungs damals ab und zu unter Medikamenteneinfluss gestanden hatten? Außerdem war seine Haut ziemlich unrein gewesen, ganz im Gegensatz zu jetzt. „Ja, die Pickel hab ich auch wegen dem ungesunden Lebensstil bekommen", nuschelte Harry neben ihm und erschrocken sah Louis zur Seite. „Beobachtest du mich etwa?" Doch Harry schüttelte den Kopf, die Augen immer noch geschlossen, aber er grinste: „Nein, aber du hast gerade leise mit dir selbst gesprochen, ich konnte gar nicht anders, als zuzuhören."

„Sorry, ich wollte dich nicht wecken", flüsterte Louis und wollte das Handy schnell beiseite legen, damit das Licht des Displays Harry nicht blendete, doch sein Freund nahm ihm das Telefon schneller aus der Hand und sah sich das Bild an. „Hach, ich vermisse meine langen Haare", seufzte er und sah wehmütig das Foto an. „Dann lass sie doch wieder wachsen", meinte Louis und zupfte an den Strähnen, die sich in Harrys Stirn mogelten. „Ja, das hab ich vor, aber immer dann, wenn ich einen öffentlichen Auftritt habe, kommt eine Stylistin auf die Idee, das ganze in Form schneiden zu wollen und es dauert wieder ewig, bis sie nachgewachsen sind." Bedauernd schob er die Unterlippe vor, Louis sah ihn jedoch ungläubig an: „Ach komm schon, dich wird ja wohl niemand dazu zwingen können, dir die Haare schneiden zu lassen."

„Nein, aber ich will die netten Damen auch nicht verprellen", gab Harry zu. Wie es aussah, konnte er schlecht nein sagen. „Du bist süß, weißt du das?", fragte Louis und küsste ihn lächelnd. „Ich weiß", antwortete Harry verspielt, legte das Hand beiseite und kuschelte sich übertrieben genüsslich an ihn heran. „Und jetzt lass uns schlafen, ja? Ich bin totmüde."

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Die Idee mit dem Aufputschmitteln kam letztes Jahr nach dem Konzert in Oberhausen im Auto zustande. Wir waren vier Mädels, alle zwischen 24 und 28 Jahre alt und mussten warten, bis wir aus dem Parkhaus rauskamen. Dabei meinte eine, dass die Jungs früher sicherlich ab und an mal ein Mittelchen zur Leistungssteigerung bekommen haben. Das hat mich bis heute nicht losgelassen und je öfter ich darüber nachdenke, desto logischer kommt mir das vor. Junge Menschen haben viel Energie, aber ich glaube, das Pensum damals, wäre ohne Hilfe kaum zu schaffen.

Ist aber nur ein Gedanke - kein Fakt.

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