32. Sicherheit, Vertrauen und keine bösen Gedanken

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„Würdest du das Shirt ausziehen?", raunte Harry ihm leise ins Ohr und der Atem, der auf seine Haut traf, ließ Louis erschaudern. „Bitte..." Obwohl sie einander schon nackt gesehen hatten, musterte Harry ihn, als könnte er sich nichts schöneres vorstellen, dabei wusste er doch, was ihn erwartete. Louis löste sich von ihm, griff den Saum seines T-Shirts und zog es sich über den Kopf. „So schön. Das weißt du gar nicht..." Sofort waren die Lippen auf seiner Haut und Harrys warme Hände hielten ihn rechts und links am Oberkörper fest. Nicht zu fest, sondern genau richtig, sodass Louis sich geborgen fühlen konnte. „Gefalle ich dir?"

„Das fragst du noch? Natürlich tust du das. Ich finde es toll, dass du keine Tattoos hast, das ist heutzutage wirklich selten." Mit jedem Wort küsste Harry sich weiter, zu den Schultern, wieder hinunter zur Brust, zum Rippenbogen und bald war Louis' ganzer Körper mit Gänsehaut überzogen. „Zieh dich auch aus...", keuchte er und zog am Stoff des dünnen Pullovers, den Harry heute trug. Er hatte eine grässliche beige Farbe, doch wie alles andere, stand sie ihm irgendwie gut. Das ließ Harry sich nicht zweimal sagen und eine Sekunde später, war auch er oberkörperfrei. Seine Tattoos sahen von nahem gar nicht so spektakulär aus, wie Louis es sich immer ausgemalt hatte. Im Onsen war er viel zu schüchtern gewesen, sie sich genauer anzusehen. Immerhin hatte er nicht starren wollen - war zu der Zeit auch noch nicht in Harry verliebt gewesen.

Oder?

Jetzt im Nachhinein konnte er es selbst nicht genau sagen, wann er eigentlich Gefühle für den Musiker entwickelt hatte. Sie waren plötzlich einfach da gewesen. Und sie schienen sich erst mit dem Erhalt des Briefes wirklich bemerkbar gemacht zu haben.

Nachdenklich strich er mit einem Finger über die Schwalbe auf der linken Seite. Beim genaueren Hinsehen, war zu erkennen, dass unter dem Vogel ein Schriftzug verborgen war. „Love...", entzifferte Louis langsam und fuhr über die Buchstaben, die sich etwas uneben auf der Haut abzeichneten, dann hob er den Kopf und sah, dass Harry ihn lächelnd beobachtete. „Wieso hast du das covern lassen?", fragte er und legte die Hand flach auf das Bild. Ohne den Blick von ihm zu nehmen, ergriff Harry sie, sodass Louis sie nicht mehr wegziehen konnte.

„Ich dachte, dass das Wort Liebe über dem Herzen schön ist. Aber dann hab ich erkannt, dass Liebe selten ehrlich ist. Zumindest nicht in meinem Leben. Ich bin von den Medien oft wie ein Vogelfreier behandelt worden und da passte eine Schwalbe einfach besser. Das Vogelfrei verhindert die Liebe. Und weil eine Schwalbe allein doof aussah, sind es eben zwei geworden." Beim letzten Satz grinste er dieses verstohlene Grinsen, das Louis schon immer an ihm geliebt hatte. „Das ist eigentlich ein trauriger Gedanke, meinst du nicht?", fragte er leise und küsste ihn vorsichtig auf die Lippen. „Hm", machte Harry zustimmend und nickte knapp. Die Augen fielen ihm erneut zu und er wollte den Kuss intensivieren, doch Louis war mit einem Mal nicht mehr danach.

Er hatte Angst vor dem, was passieren könnte, wenn sie weitergingen, hatte Angst, dass sie etwas überstürzten. Stattdessen drückte er Harry auf den Rücken und besah sich ein Tattoo nach dem anderen ausgiebig. Es war vielleicht kindisch, aber über die Bilder hatte er das Gefühl, Harry spielerisch näher zu kommen und sich so selbst ein wenig vormachen zu können, dass er ihn nicht anfasste. Denn das machte ihm Angst, auch wenn er nicht genau sagen konnte, wieso.

„Was ist das für eines?"

„Das steht für meine Schwester Gemma", antwortete Harry, als Louis mit dem Zeigefinger die hebräischen Buchstaben nachzog. „Und wieso auf Hebräisch?"

„Keine Ahnung, sah schöner aus."

„Und was ist mit diesem „You Booze, You Loose" warst du mal Alkoholiker?" Übersetzt hieß das Tattoo nämlich soviel wie „Wenn du säufst, verlierst du". Rasch schüttelte Harry den Kopf: „Nein, aber ich will es auch nicht werden und ich weiß, dass viele in der Branche dieses Laster haben, deswegen habe ich mir das als Erinnerung machen lassen."

„Das Herz?"

„Langeweile." Wie konnte man sich ein Tattoo aus Langeweile stechen lassen? Immerhin war es sicher schmerzhaft und teuer. Wobei die Sache mit dem Geld bei Harry ja eher weniger das Problem war. Louis grinste bei der Vorstellung, was er wohl für Bilder auf der Haut tragen würde, sollte er jemals aus Langeweile handeln. Vielleicht einen Smiley, oder einen Packman, ein Strichmännchen oder das TicTacToe Spiel. Nein, sowas würde er sich immer gut überlegen und niemals etwas dauerhaftes auf seine Haut bringen, die keinen Sinn ergab. Neugierig ließ er die Augen weiter über Harrys Körper wandern. Sein Bauch hob und senkte sich bei jedem Atemzug und Louis fiel auf, dass er zwar trainiert, ein Sixpack allerdings kaum zu erahnen war. Stattdessen fiel ihm das nächste Bild ins Auge.

„Der Schmetterling?"

„Das ist eine Motte. Die fliegen immer zum Licht. Man soll also nie den Glauben an das Gute verlieren." Das war eine schöne Bedeutung, fand Louis und musterte die Motte eine Weile. Lustig, dass alle das Tattoo immer für einen Schmetterling hielten. Er selbst hatte sich, obwohl er damals schon wusste, dass Harry bisexuell war, immer gefragt, wieso ein Mann sich sowas stechen ließ. Aber als Motte ergab das Bild natürlich Sinn. „Hast du die alle im selben Studio machen lassen?" Harry schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme darunter. „Nein. Einige in LA, manche in London und eben immer dann im Hotel, wenn gerade ein Tattoo-Artist da war. Liam hat sich manchmal einen kommen lassen und wenn er schon gebucht war, kam es ab und zu vor, dass wir uns einfach auch eines haben machen lassen." Louis nickte verstehend, sagte aber nichts, sondern legte gedankenverloren die Hand auf die Farnblätter. Mit einem leichten Wimmern und voller Überraschung gab Harry ein leises Piepsen von sich und schloss die Augen. Noch nie hatte jemand so bei ihm reagiert. Nicht, dass Louis auf sonderlich viel Erfahrung zurückblicken könnte, aber jemand, klang weniger schlimm, als Steven. Insgeheim hoffte er, seinen Ex so in Gedanken ein wenig verblassen zu lassen. „Mach das nochmal, Louis..."

„Was denn?"

„Das...du hast gerade so mit der Hand meinen Bauch gestreichelt, das war schön." Gestreichelt? Das hatte er gar nicht bemerkt. Zaghaft wiederholte Louis die Bewegung und lächelte bei dem seeligen Ausdruck in Harrys Gesicht. Zum ersten Mal, machte er sich kaum Gedanken darüber, was er da tat. Nur in Jeans saß er bei einem jungen Mann, der sein Freund war und er machte sich keine Sorgen darüber, ob er alles richtig machte. War das normal?

War das diese entspannte Art, die so viele Paare an den Tag legten?

Vermutlich. Die meisten handelten instinktiv, wenn sie miteinander agierten und da gab es keine Scheu, keine Scham und keine Bedenken. Etwas, das Louis bisher nie so erlebt hatte. Bei ihm waren da immer Bedenken gewesen, oder manchmal auch Scheu. Manchmal hatte er sich unwohl in seinem Körper gefühlt oder er hatte ihm das Gefühl gegeben, dass es ihm nicht gefiel, was er tat. Dann hatte Louis fieberhaft darüber nachgedacht, was er anders machen könnte. Immerzu hatte sein Kopf gearbeitet. Sah er gut aus, so wie er war? Oder verzog er vielleicht gerade das Gesicht? Wann würden sie miteinander schlafen? Fand er ihn überhaupt wirklich ansprechend? Das hatte er sich immer gefragt und hier bei Harry war es zum ersten Mal einfach natürlich und normal. Genau so, wie es eigentlich sein sollte und wie er es sich insgeheim immer gewünscht hatte.

Auch, wenn sie nichts taten, außer einander auf die unschuldigste Art und Weise zu erkunden, wie man es vielleicht nur als Teenager am Anfang der ersten Beziehung tat, war es genau richtig.

Das war es, was Louis brauchte. Sicherheit und Vorsicht.

Und das Wissen, dass man ihn in keinster Weise verurteilte und dass Harry das niemals tun würde, war klar, auch wenn sie darüber nie gesprochen hatten. Aber er gab Louis einfach das Gefühl, dass alles genau so richtig war - das tat unglaublich gut.

Sie gingen an diesem Abend nicht weiter. Louis traute sich nicht und für Harry war das vollkommen okay. Die Nähe zwischen ihnen war jedoch ein wenig verändert. Das fiel Louis in den folgenden Tagen vor allem daran auf, dass er abends beim Einschlafen oft Harrys Hand irgendwo spürte. Manchmal lag sie auf seinem Rücken, oder er kraulte ihm den Kopf, ab und zu berührte er ihn nur sachte an der Hand oder strich ihm über den Arm. Irgendwo war die Hand allerdings immer und Louis mochte es, dass Harry scheinbar das Bedürfnis hatte, ihn zu berühren, auch wenn es nur eine winzig kleine Berührung war.

.-.-.-.

Da war Harry ganz geduldig und hat Louis alle Zeit der Welt gegeben, sich ihm ganz unbefangen zu nähern. Genau das, was er gebraucht hat.

Liebe Grüße

SlowlyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt