Marinette seufzte. Der heutige Tag hatte das Potential zur Katastrophe. Fröstelnd stand sie neben Alya und sah zu, wie sie sich am Fahrradschloss abmühte. Die vergangene Nacht forderte ihren Preis.
„Ich hoffe, Chloé spürt dieses Mal auch wirklich die Konsequenzen", setzte sie an. Sie hatte jedoch so eine Ahnung, dass ihre Erzrivalin wieder die „Papi-Karte" zog und die Strafe für sie ausblieb.
Alya fiel der Schlüssel aus der Hand.
„Mist! Ja, das hoffe ich auch, aber Chloé wäre nicht Chloé wenn das passiert", bestätigte ihre Freundin ihren Verdacht, „- Na, bitte!" Das Schloss klappte auf.
Triumphierend wies sie Marinette an, auf dem Gepäckträger Platz zu nehmen.
Im Treppenhaus roch es nach Putzmitteln, als sie nebeneinander die Treppe hinaufliefen.
„Was hattest du gestern nun eigentlich mit Cat Noir zu schaffen?", beiläufig nahm Alya das Verhör wieder auf.
Marinette verdrehte die Augen.
„War ja klar, dass das nicht lange auf sich warten lässt."
„Heute Morgen hab ich es ja noch verstanden, so glasiert, wie du ausgesehen hast", Alya grinste beim Gedanken daran, „So einfach kommst du mir jetzt aber nicht davon. Also? Adieu, Adrien?", ihre Augenbrauen zuckten amüsiert.
Marinette glitt beinahe auf einer Stufe aus.
„Was? Ich? - Nein!", empörte sie sich und wurde allein beim Gedanken daran rot.
„Komm schon. 'Prinzessin'? Ich habe noch nie gehört, dass Cat Noir zuvor jemanden so genannt hätte."
„Ah. Und was ist mit Ladybug? 'MyLady'?", brachte Marinette ihr Gegenargument an.
„Ups. Ich wusste gar nicht, dass du so eifrig meinen Blog liest. Aber du weißt Bescheid. Punkt für dich", grinste Alya, „Du weißt, ich liebe Ladybug. Bislang hat sie die Avancen von Cat Noir immer abgewiesen. - So gern ich sie zusammen sehen würde ...", sie seufzte, bevor sie erneut zum Sticheln ansetzte: „Aber, wenn es um meine beste Freundin geht, gebe ich ihr den Vorzug. Du und Cat Noir? - Da wüsste ich ganz genau, wen ich shippe!", sie zeigte schwungvoll mit dem Zeigefinger auf sie und beobachtete, wie Marinette noch dunkler anlief.
„Was?! Zwischen mir und Cat, da ist nichts!", dementierte Marinette eifrig.
Alya zuckte mit den Schultern. „'Cat', hm? Scheint so, als ob ihr beide schon Kosenamen für einander habt. Er ist schon ziemlich HEISS! Findest du nicht?"
Marinette fuhr sich mit beiden Händen durch den Pony und atmete geräuschvoll aus.
„Hat er dich nicht auch vor dem 'Evillustrator' gerettet? - Das macht dann schon drei Rettungen. Oder sollte ich es 'Dates' nennen?", Alya grinste.
„Diese kleine Teufelin."
„Alya, da läuft nichts!", wehrte sich Marinette vehement.
Ihre Freundin hatte Blut geleckt und es nervte allmählich. Ihre Gesichtsfarbe strafte ihr Statement Lügen.
„Glaub mir, ich erkenne, wenn du rot wirst."
Marinette rollte die Augen. Sie hatten Alyas Zimmer erreicht.
„Wie dem auch sei", zeigte sich Alya scheinbar einsichtig. „Immerhin scheint Cat Noir einem gewissen Typ verfallen zu sein", setzte sie nach und schnippte gegen ihre Zöpfe. „Was man wohl auch von dir sagen kann."
Marinette schmiss sich aufs Bett. „Womit hab ich dich eigentlich verdient?!"
„Gern geschehen, Schätzelein. Also. Was machen wir jetzt mit dir? Sieht nicht so aus, als ob du heute Nachmittag wieder nach Hause zurückkehrst."
Dankbar für den Themenwechsel, richtete sie sich auf. So recht wusste sie hierauf keine Antwort. Sie konnte Alya schlecht offenbaren, dass sie Ladybug war und gerade ganz andere Sorgen hatte. Es wurde allmählich schwer, das Versteckspiel aufrecht zu halten.
„Hallo-ooh. Erde an Marinette! Alles in Ordnung? Oder noch im Traumprinz-Modus?"
Marinette stöhnte genervt auf und warf mit einem Kissen nach Alya.
„Wegen deiner sportlichen Eleganz scheint dich Cat Noir jedenfalls nicht zu mögen", neckte Alya weiter.
Marinette erinnerte sich lebhaft daran, als Alya ein Foto von Adrien einer Fotomontage unterzogen hatte und ihren Klassenkameraden unter der Maske Cat Noirs vermutete. Das war Alya: Wenn es auch nur entfernt um Ladybug ging, neigte sie zu Schnellschüssen.
Sie entschied, es dabei zu belassen. Alles was sie sagte, würde gegen sie verwendet werden.
„Oh dieser Kater. Warum muss er mich auch vor Alyas Nase 'Prinzessin' nennen. War ja klar, dass sie sich sofort darauf stürzt. - Warte! 'Prinzessin'?!", ihre Gedanken überschlugen sich.
Die Erkenntnis kam etwas spät.
Sie erinnerte sich lebhaft an Chloés verhöhnende Worte nach der vergangenen Schulstunde. Da hatte sie auch den Vergleich zu einer Prinzessin gezogen. Das Wort klang aus Cat Noirs Mund allerdings bedeutend schmeichelhafter.
„Das. Hat. Sie. NICHT. Getan! Na warte, Alya."
„Was ist eigentlich in Chloé gefahren, dass sie sich so aufführen musste?", fragte sie stattdessen betont unschuldig.
„Oh. Na ja, Chloé ist halt - Chloé", entgegnete Alya und ruderte betont lässig mit den Schultern. Vielleicht ein bisschen zu lässig.
„Erwischt! So leicht springst du mir nicht vom Haken."
„Ja. In der Tat. Chloé. Das Wort 'Prinzessin' fällt heute auffallend oft."
Betretenes Schweigen von Alya. Das kam selten genug vor und räumte den letzten Zweifel aus.
„Das hast du nicht wirklich getan, oder? Alya, sag mir, dass du das Video nicht auf deinen Blog geladen hast!"
Es war schwer, ihrer Freundin in die Augen zu sehen, Alya suchte nach einem Makel auf der Bettdecke. Sie räusperte sich geräuschvoll.
„Ich ... hatte gehofft, auch Ladybug zu filmen."
„Netter Versuch, aber das zieht nicht!", entschied Marinette.
„Es – tut mir Leid. Als Cat Noir auftauchte und dich 'so' nannte - ich konnte nicht anders. Und ich freue mich wirklich für dich. Ich meine: die beste Freundin und ein Superheld? - Hallo! Das ist sogar noch besser als 'Lady Noir'."
Marinettes Augäpfel schlugen Salti, sie biss entnervt ins Kissen.
„Womit wir wieder beim Thema wären ..."
„Zum letzten Mal, da läuft nichts", langsam nahm ihre Stimme eine gereizte Tonlage an und sie beobachtete ihre Freundin durch zusammengekniffene Augen.
„Und eigentlich bin ich auch nicht diejenige, die sich hier rechtfertigen muss! Schlimm genug, dass mich Chloé erst darauf hinweisen muss", verwies sie wieder auf die Sache mit dem hochgeladenen Video. Allmählich war sie ernsthaft sauer.
„Ja, du hast Recht. Es tut mir wirklich Leid. Ich hätte das nicht tun dürfen", Alya wurde mit jedem Satz kleiner.
Marinette blickte sie unverwandt an.
„Jaaa. Es war unüberlegt. Ich werde es vom Blog löschen", mit zusammengesackten Schultern schaute sie schuldbewusst zu ihrer Freundin.
„Versprochen?"
Sie nickte und zückte ihr Handy, um ihren Worten Taten folgen zu lassen.
„Gut. Hoffen wir, dass es nicht zu viele Leute gelesen haben. Immerhin weißt du jetzt sicher, dass Chloé deinen Blog liest."
Alya schnaubte. „Ja, das lässt sich nicht mehr leugnen. Auf jeden Fall war sie ziemlich aufgebracht", sie schenkte ihr ein schiefes Grinsen und wartete ab, ob nun alles wieder gut war.
Marinette nickte und hoffte, dass Alyas schlechtes Gewissen sie davon abhielt, ihr weiter romantische Gefühle für Cat Noir zu unterstellen.
„Gut. Also dann. Um auf meine Situation zurückzukommen: Ich schätze, ich werde nicht umhinkommen, jemanden anzurufen."
Ein vager Schlachtplan entwickelte sich in ihrem Kopf.
„Darf ich?", sie wies auf Alyas Handy.
Zögernd reichte sie es ihr.
„An wen hast du gedacht?"
„Grand-mère. Ich weiß nur nicht, ob ich sie direkt erreiche. Sie ist viel unterwegs. Und ich werde ihre Nummer erst einmal suchen müssen."
Alya nickte.
„Gut. Warum muss das Leben immer so kompliziert sein."
„Und ganz ehrlich, ich brauche wirklich Schlaf", ihr angefügtes Gähnen war authentisch genug und entsprach schlicht der Wahrheit.
Der Schlaf würde dennoch warten müssen.
Es war die höflichste Form, Alya aus ihrem eigenen Zimmer hinaus zu komplimentieren. Ob es nun an ihrem schlechten Gewissen lag oder nicht: Es funktionierte. Mit dem Versprechen, ihr zu berichten, welche Konsequenzen Chloé erwarteten, ließ sie Marinette und ihr Handy zurück.
Marinette pustete die Wangen auf und atmete lange aus. "Schwere Geburt. Also los, was tun?"
Gehetzt blickte sie zur Tür und prüfte, ob diese tatsächlich geschlossen war. Danach machte sie sich an Alyas Rucksack zu schaffen und hob behutsam die zu Keks verbackene Tikki heraus.
„Tikki, verwandle mich!", raunte sie der Käferform in ihren Händen zu, doch nichts passierte. Ihr wurde kalt ums Herz.
Das hatte sie befürchtet. Verzweifelt kniete sie auf Alyas Fußboden und hielt Tikki.
„Tikki, kannst du mich hören?", sie presste ihr Ohr dicht an die Oberfläche und lauschte. Nichts.
„Warum bist du nicht einfach davongeflogen?", behutsam strich sie über die festgebrannten Gesichtszüge ihrer Freundin.
Mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen starrte Tikki ihr entgegen, wie auf einem Foto.
Geräuschvoll atmete sie aus und gab ihrer Trauer Raum. Tränen rannen ihr die Wangen hinab und sie wurde von Schluchzern gepackt. Es fühlte sich kalt an ohne Tikki. Ein Teil von ihr war verschwunden. Hoffentlich nicht für immer.
Sie erinnerte sich an ihr erstes Treffen mit Tikki. Sie war völlig außer sich gewesen. Von Ekel gepackt und zutiefst erschrocken darüber, dass die 'fliegende Käfermaus' sprechen konnte. Etwas später hatte sie ihre Ohrringe abgelegt und Tikki war, bedauernswerter Weise, nicht mehr für sie sichtbar gewesen. Neue Hoffnung keimte in ihr auf.
Mit zittrigen Händen entfernte sie ihr Miraculous, nur um ihre Ohrstecker kurz darauf wieder anzulegen.
„Tikki?", sie horchte in die Stille und fröstelte.
Dann war es also Wirklichkeit. Tikki stand ihr nicht mehr bei. Sie konnte es nicht mehr. Es fühlte sich so falsch an, so unwirklich. Da saß sie, wiegte ihren Körper vor und zurück und weinte und fror. Allein seit langem.
„Was würde Tikki jetzt machen? Aufgeben? Ganz sicher nicht", sie umklammerte den Gedanken. Tikki hatte ihr oft zu verstehen gegeben, dass sie auch ohne Maske immer noch Ladybug war. Sie überlegte fieberhaft. Sie konnte Tikki ja schlecht heraus meißeln. Das Risiko war zu groß, dass der Keks mit Tikki zerbrach. Wie gut, dass sie unbewusst vorgesorgt hatte.
Hektisch kramte sie das zu Keks verbackene Tagebuch aus dem Rucksack und hechtete damit zum Schreibtisch. „Komm schon, Alya, irgendwo wirst du doch eine Schere haben."
In einer Schublade wurde sie fündig und machte sich am Schloss zu schaffen.
„Knack!" Ein Stück der Schatulle zerbrach und gab das darunterliegende Buch frei. Sie zuckte zusammen.
„Das wird nichts!", sie raufte sich die Haare.
Ganz viele Versuche hatte sie nicht.
"Vielleicht einweichen? Das dauert bestimmt ewig", Abwägend hielt sie das Tagebuch in den Händen. Ihr fiel das Bild von Adrien ein, das sie sich in die Hosentasche gesteckt hatte. Das wäre einen Versuch wert.
Sie prüfte, ob die Luft rein war, bis sie zum Badezimmer der Cesaires schlich. Und stutze. Ihre abgelegten Klamotten waren von der Wäschetonne verschwunden. Am Rande der Waschmaschine stand stattdessen ein Eimer, gefüllt mit Wasser. Ihre Vermutung bestätigte sich. Offenbar hatte sie unbewusst Unterstützung bekommen.
Sie hangelte nach der Hose und griff in die rückwärtige Tasche. Sie ertastete das glitschig gewordene Foto und war enttäuscht als es zu einer schmierigen Fratze zerlief. „Sorry, Adrien." Alya hatte es "Adieu" genannt. Ihre letzte Hoffnung zerschellte.
Geknickt trat sie den Rückzug ins Zimmer an. Das hier war bedeutend schlimmer als eine kranke Tikki. „Meister Fu!"
Sie hoffte jedenfalls, dass er eine Lösung finden würde. Sie würde alles dafür geben, um Tikkis Stimme wieder zu hören. Und um ihre Eltern von ihrem derzeitigen Schicksal zu erlösen. Hastig packte sie ihre Sachen und machte sich auf den Weg, Alyas Handy im Gepäck.
***
Er hatte mehrfach versucht, Ladybug zu erreichen. Irgendetwas Schlimmes musste geschehen sein. Er machte sich große Sorgen und ließ das bisherige Geschehen Revue passieren. Nicht das leiseste Anzeichen seiner Lady.
Unruhig stieß er sich vom Dach der Schule ab. Er versuchte die Anspannung abzuschütteln. Es war auch eine Art Flucht. Cat Noir beschloss, die Orte, die sie häufig frequentierten, aufzusuchen und nahm Kurs auf den Eiffelturm.
Nichts.
Sie blieb wie vom Erdboden verschluckt. Unschlüssig streunte er umher. „Mylady", der Wind trug sein Flüstern davon.
Mit einem Seufzen bog er ab in Richtung der Dupain-Cheng-Bäckerei. Oder was noch davon übrig war. Der zu ihm herauftreibende Geruch nach Plätzchen verriet ihm, dass er in der Nähe war, bevor er das Gebäude erblickte. Er erinnerte sich an die stickige, süße Luft im Inneren und fasste in einer Seitengasse Fuß. Das Gebäude lag in einiger Entfernung vor ihm.
„CAT NOIR! Da ist er!"
Er wirbelte herum, in der Erwartung dem Stutenkerl erneut einen Kampf abzuringen. Stattdessen blickte er in die eckige Linse einer Fernsehkamera.
„Cat Noir, was sagen Sie zum Verschwinden von Ladybug?"
„Waa-?", die Kamera fing ein entsetztes Gesicht in Großaufnahme ein.
„Steht Ladybugs Abwesenheit in Verbindung zu Ihren romantischen Gefühlen gegenüber Marinette Dupain-Cheng?", forderte die Reporterin reißerisch eine Antwort.
Der Kater blinzelte verstört in die Kamera und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Lächeln und winken", und genau das tat er dann auch, bevor er sich unter fadenscheinigen Gründen wieder davonschwang.
"Das war Nadja Chamack für TVi news ..."
DU LIEST GERADE
Der Customizer
FanfictionMarinettes Vater, Tom Dupain, wird akumatisiert und treibt als riesiger Stutenkerl sein Unwesen. Marinette wird von Cat Noir gegen ihren Willen aus ihrem Zimmer gerettet und muss Tikki zurücklassen. Es dauert nicht lange, bis die Presse auf Marinett...