Ungewissheit

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Thomas:

Ich konnte dieses Interview gar nicht schnell genug hinter mich bringen. Etwas verwundert war Nowi ja schon, als auf einmal ich vor ihm stand und nicht Steff. Aber die Sache mit der Erkältung hat er geschluckt. Wie lange wir wohl noch lügen müssen ? Eigentlich will ich es sofort in die ganze Welt hinausrufen, dass ich Papa werde. So lange haben wir es uns gewünscht und es versucht mit allen möglichen Tricks. Aber geklappt hat es nie. Wir haben uns in dieser Zeit auch als Paar etwas aus den Augen verloren. Denn mit jedem negativen Test wuchs die Enttäuschung und das Gefühl versagt zu haben. Darum haben wir uns darauf geeinigt es zu lassen, auch wenn es keinen von uns beiden leicht fiel. Denn wir wollten Kinder , das war einer der wenigen Punkte von denen wir uns von Anfang an ganz sicher waren. Eines Tages sollte ein kleiner Zwerge durch unsere Wohnung hüpfen und uns Glücklich machen. Und jetzt ist es soweit, als wir es komplett aufgegeben hatten und gerade wieder richtig in die Musik eingetaucht sind. Macht sich dieses Wunder auf den Weg zu uns.
Ja gut, ich weiß dass noch so viel passieren kann, aber aktuell will ich da nicht dran denken. Und warum sollten wir nach all den Rückschlägen und Enttäuschungen nicht endlich einmal glück haben? Nervös wandert mein Blick wieder zu Uhr, wie so oft seit ich daheim bin und auf Steff warte. Müsste sie nicht schon längst wieder zurück sein? Wie lange kann so ein erster Ultraschalltermin denn dauern?

Meine Gedanken werden von dem Schließen der Wohnungstür unterbrochen. Und kurze Zeit später steht meine Freundin völlig in Tränen aufgelöst vor mir. Geschockt schau ich sie an und ziehe sie ohne zu fragen in eine feste Umarmung, denn was auch immer bei der Frauenärztin passiert ist , es ist gerade egal. Sie erwidert meine Umarmung nicht, wirkt überhaupt nicht anwesend . So viel zum Thema sie sagt bescheid, wenn sie meine Hilfe braucht. Ich merke wie die Wut in mir hochkommt und ich versuche diese wieder herunter zu schlucken, denn jetzt ist nicht der richtige Moment dafür. Jetzt geht es nicht um mich, es geht um sie.

Vorsichtig führe ich sie zum Sofa und drücke sie sanft darauf. Ich beginne mit meinen Daumen die Tränen wegzustreichen die ihr immer noch wie Sturzbäche aus ihren knallroten Augen laufen. Ganz langsam merke ich ,wie ihr Blick nicht mehr so durchsichtig ist und Stefanie mich wieder beginnt zu fixiere anstatt durch mich hindurch zu schauen. ,,Steff magst du mir sagen, was beim Arzt herausgekommen ist?" wage ich einen leichten Vorstoß. Sofort vernehme ich ein energisches Kopfschütteln und seufze auf. Gleichzeit zerplatzt meine Seifenblase mit dem Traum von unserer eigen kleinen Familie. Hat sie so sehr angst davor mir zu sagen, dass sie doch nicht schwanger ist? Als sie sich in ihre Kuscheldecke einhüllt und sich ohne ein Wort zu sagen auf das Sofa legt, beschließe ich das Wohnzimmer zu verlassen. Denn so macht es keinen Sinn, das Verhalten kenne ich schon von ihr. Je mehr ich sie zum Reden dränge desto mehr verschließt sie sich. Beim rausgehen fällt mir ihre Handtasche auf. Ob ich einen Blick in diese riskieren soll um zu sehen, ob sich dort ein Mutterpass befindet?
Nein ich lasse es, das würde nur noch einen Streit hervorrufen. Ich gehe also, ohne einen Blick hinein zu werfen in die Küche. Laufe dort auf und ab, denn diese Ungewissheit macht mich wahnsinnig. Fast schon erleichtert seufze ich auf, als die Spülmaschine fertig ist. Denn endlich habe ich was zu tun. Auch wenn es primitive arbeit ist, ist es tausendmal besser als nichts zu tun. Wie in Trance räume ich sie aus, weiß ich doch mittlerweile genau wo sich welcher Gegenstand in unserer Küche befindet. Als ich wieder auf die Uhr schaue, sind gerade einmal 10 Minuten vergangen. Es kann so nicht weitergehen, die Sorgen malen immer mehr Horrorszenarien in meinem Kopf und nichts ist bekanntlich schlimmer als die eigene Fantasie. Stefanie muss mit mir reden und wenn ich ihr alles aus der Nase ziehe. Wütend knalle ich den letzen Schrank zu.

,, Der Schrank kann auch nichts dafür, dass deine Freundin es nicht schafft mit dir zu reden." nehme ich auf einmal ihre brüchige Stimme war. ,,Steff" erleichter schließe ich die Augen. Denn auch wenn ich diesen Satz von ihr hasse, bin ich mehr als froh, dass sie wieder mit mir spricht.
,, Kommst du mit auf's Sofa?" ,, Ja klar." Auf dem Weg zurück merke ich, wie sich wieder ein Kloß in meinem Hals bildet. Als wir durch den Flur laufen, fällt mir auf dass ihre Handtasche nicht mehr an Ort und Stelle liegt.

Ich merke ihr an, wie sie mit sich ringt. Immer wieder die Augen schließt, tief durchatmet und ihre Hände knetet. Um sie zu beruhigen lege ich meine Hände auf ihrer Oberschenkel. ,,Stefanie egal, was du mir zu sagen, egal was heute beim Frauenarzt herauskam. Wir schaffen es gemeinsam." Versuch ich ihr den letzten Mut zu geben, nachdem sie vergeblich sucht.

,, Thomas ich... ich bin schwanger, aber es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass unser Kind das Down-Syndrom hat. Ich habe schon ein Termin für die Fruchtwasseruntersuchung." Diese Worte sprudeln so schnell aus ihr heraus, dass ich sie fast gar nicht verstanden hätte. Es dauert bis das Gesagte bei mir ankommt. Bis ich realisiere, dass ich Vater werde. Gleichzeitig mit dieser Erkenntnis kam der zweite Teil des Satzes bei mir an. Wir werden eventuell Eltern von einem Kind mit Trisomie 21. Was das bedeutet kann ich nur erahnen. ,,Thomas sag doch was," dringt Steffs verzweifelte Stimme zu mir durch.
Was soll ich denn sagen? Sie hatte schon länger zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Aber unter ihrem Herzen wächst unser Wunder heran und wir haben so lange darauf gewartet und jetzt ist es endlich soweit. Egal wie diese Untersuchung ausgeht, ich bin aktuell nicht beireit dieses Wunder wieder herzugeben.
,, Steff, ich freue mich riesig. Auch wenn mich das mit dem Down-Syndrom überfordert, im Moment. Deswegen konnte ich dir nicht sofort antworten. Aber egal wie die Untersuchung ausgeht. Wir schaffen es zusammen, okay? Ich werde dich an dem Tag begleiten, wenn du willst. Und wenn wir das Ergebnis haben, können wir den Weg festlegen welchen wir beide gehen wollen. Ich möchte nur, dass du weißt egal wie es ausgeht ob Trisomie 21 ja oder nein. Ich werde unser Kind nehmen wie es ist." Als ich die Kraft habe ihr wieder ins Gesicht zu schauen, sehe ich wie Tränen ihre Wangen zieren. Ich ziehe sie in eine Umarmung ,die sie dieses mal auch erwidert. Auch mir stehen Tränen in den Augen, aus Angst. Angst vor dem Ergebnis und der Ungewissheit was es mit uns machen wird.

Life without colorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt