Rien ne va plus

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Auf dem Tisch befinden sich dreißig Karten. Sie sind verteilt an acht Männer, was etwas mehr als drei Karten für jeden ergibt. Sie sprechen alle Russisch. Im Keller ist es kalt, ich verstehe die Männer nicht, wenn sie reden. Ich spreche kein Russisch. Wärend sie spielen sitze ich unter dem Tisch und verknote Schnürsenkel. Das habe ich das letzte Mal gemacht, als ich acht war und unter dem Kaffeetisch saß, weil die Erwachsenen über Dinge sprachen die ich nicht verstand. Ganz ähnliche Situation irgendwie, vielleicht verstehe ich einfach nie über was die Menschen so reden. Wenn sie nicht reden ist es ganz schrecklich still. Dann haut jemand auf den Tisch. Der eine Mann reicht drei Karten nach Links, der Empfänger zwei, dann drei über den Tisch und eine zurück zum ersten Mann. Der flucht glaube ich. Dann erneut, drei Karten nach Links, vier über den Tisch, eine zurück, alles von neuem. Jemand murmelt etwas auf französisch. Noch eine Sprache die ich nicht beherrsche. Die Stimme ist rau und atemlos. Ich entknote die grauen Lack- und die dunkelbraunen Wildlederschuhe. Hinter mir greift eine Hand nach mir, bekommt Haare zu fassen und zerrt mich ein Stück nach Hinten. Mein Kopf brennt, ich lasse los, was ich in den Händen habe und warte ab, was als nächstes passiert. Er zwingt mich den Kopf in den Nacken zu legen und ganz still zu halten. Eine andere Hand lässt Karten unter den Tisch und in meinen Schoß fallen. Als meine Haare losgelassen werden greife ich nach den Karten und stopfe sie in den Bund meines Rockes. Zuhause wird er sie mir abnehmen und in die dritte Schublade von unten legen. In dem hübschen Sekretär in dem hübschen Büro. Ich weiß nicht warum er diese Karten braucht aber danach wird er gut gelaunt sein und mich auf dem Teppich schlafen lassen. Es wird ein guter Abend werden wenn wir erst zu Hause sind.
Ich kenne nur einen der Männer am Tisch. Ich weiß nicht viel von den Anderen. Sie sehen alle aus als wären sie entworfen worden. Schöne Menschen, junge und ältere Männer in teuren Anzügen. Sie reden nicht mit den Mädchen, die unter den Tischen sitzen. Der den ich kenne spricht manchmal mit mir. Ich verstehe nicht was er sagt aber wie er mich anschaut lässt mich wissen, dass er so schwach ist wie ich. Er ist jung. Irgendwie müssen sie ihn kaputt gemacht haben.
Gläser stoßen aneinander. Nichts geht mehr, das Spiel ist vorbei. Sie holen mich unter dem Tisch hervor. Ich darf auf seinem Schoß sitzen, seine Finger fahren mein Rückgrat auf und ab, nervös, hastig.
Dann wird die Tür aufgestoßen. Ein Junge in Kellneruniform steht dort. Er ist unfassbar bleich. Als er die Tür loslässt schwankt sein kleiner Körper gefährlich hin und her. Er macht ein paar Schritte nach vorne, dann stürzt er und es kümmert niemanden. Wir gehen sofort, niemand wartet bis bezahlt ist, alle packen ihre Jacken und stürzen aus dem Raum. Meine Knöchel klappen zu allen Seiten. Ich weine ohne es zu merken. Auf der Straße wartet bereis ein Auto auf uns. Wir sitzen auf dem Rücksitz. Mann küsst meine Stirn, immer und immer wieder. Wir fahren nicht nach Hause. Ich kenne den Weg nicht und dann muss ich aussteigen und er bleibt sitzen.

Sie sammeln mich auf, als das Licht wieder angeht. Niemand spricht meine Sprache. Eine Frau zieht mich aus, schaut mir zwischen die Beine. Sie lächelt, wie man etwas ganz kleines wehrloses anlächelt. Ich bleibe stumm. Sie legen mich in ein Bett und reden beim Verlassen des Raumes. Ich spreche ihre Sprache nicht. Niemand spricht meine Sprache.

4°Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt