feminine Judasküsse

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Die Sache mit teuren Appartements ist, dass man sich in ihnen nie wie man selbst fühlt. Meist ist es als würde man in eine zweite Haut schlüpfen, als könnte man die Wohnung anziehen wie einen teuren Mantel der sich gut präsentieren lässt und einen Anlass gibt ins Gespräch zu kommen. Ich hatte viele solche Wohnungen kennengelernt. Meine Eltern hatten mich mitgenommen. Geschäftsessen, Kindercastings, Werbespotdrehs bei denen ich stundenlag auf einen Stuhl sitzen und immer wieder das selbe überschwängliche Lob den selben pappigen Cornflake aufsagen musste. Wenn Eliza Glück hatte und das hatte sie oft denn sie war eine schöne Frau und ist es vermutlich noch, was ich schlecht sagen kann weil ich sie Jahre nicht mehr gesehen habe, dann, ja dann wurden wir hinterher mitgenommen in Restaurants oder eben in diese Art Wohnung. In diesen Kreisen ist es üblich sein Kind auf einen Stul am Ende des Tisches zu setzten und wenn es leise ist und sich benimmt ist es ein gutes Kind und wenn nicht interessiert es niemanden. Ich war ein gutes Kind und spätestens nach meinem fünften Lebensjahr traumatisiert was ich vor einem Jahr von einem Paychiater schwarz auf weiß bestätigt bekam. Was genau ich habe hat einen komplizierteren Namen an den ich mich nicht mehr erinnere und es nicht will.

Ich lasse mich von René mitnehmen. Sie geht voran und ich frage mich ob ich etwas sagen sollte, etwas über das seltsame Wetter oder über ihre Schuhe die hübsch und zart um ihre Knöchelchen schlackern wie ein Kompliment. Ich muss sie die ganze Zeit anstarren. Oder eine Frage über dieses Spoken-Words-Ding. Wir gehen mehr hinter als nebeneinander aber es stört keine von uns und wir reden auch nicht. Auf der anderen Straßenseite kotzt ein kleines Mädchen über eine Brücke, eine Frau hebt sie hoch und hält sie fest umklammert. Es herrscht erschreckend viel Verkehr, fast könnte man denken es ist eigentlich Mittags und Schichtwechsel aber jemand hat versehentlich den Stecker der Sonne gezogen.
Man muss den Schlüssel dreimal im Schloss drehen bevor die Tür aufspringt. Die Wohnung ist entgegen meiner Hoffnung ebenfalls aufgeheizt. Ich habe augenblicklich das Gefühl schlecht Luft zu bekommen und verziehe meinen Mund auf eine seltsame wenig subtile Art. Was tust du da? Fragt René. Sie hat sich nach mir umgedreht. Still lässt sie ihr Tasche zu Boden fallen. Etwas klappert heftig gegeneinander, ich kann den Kühlschrank summen hören. Dann streift sie mir die Träger meines Kleid von den Schultern sodass der Stoff über meine heiße Haut nach unten rutscht und mein blasses Schlüsselbein aufdeckt wie ein gut gehütetes Geheimnis. Ich denke an Stromausfälle. Murmele ich. Sie nickt und in ihrer Miene liegt ein gut einstudiereter Unterton von Trost aber ich glaube nicht wirklich, dass sie wahrgenommen hat was ich gesagt habe. Vielleicht interpretiert sie aber auch einfach etwas tiefsinnigeres hinein als eigentlich dahinter steckt. Es ist seltsam mit Künstlern, zumindest stelle ich es mir so vor.
Ich setzte mich nicht an sondern auf den Tisch und betrachte wie die Träger um meine Knie rutschen. Hin und her und hin und her. Sie beitet mir ein Glas Weißwein an und ich strecke gierig meine Finger danach aus. Die Kraft scheint mir aus allen Gliedern gerutscht zu sein aber ich schaffe es das Glas in drei Zügen hastig zu leeren und mich auch als es leer ist weiterhin tapfer an seinen grazile Glasknochen festzuhalten. Danach fühle ich mich noch schlechter und weiß nicht mal auszudrücken weshalb. Stumm schaue ich durch den Raum. Es sind viele Fotografien aufgehangen. Auf allen sind Menschen drauf die Aussehen als hätten sie keine Probleme damit sich selbst in drei Worten zu definieren oder sowas.
Dann schaue ich wieder auf die Sandalen die vor meinen In der Luft schwebenden Füßen auf dem Parkett stehen. Sie sind wirklich hübsch und ich komme nicht darüber hinweg.
Ich habe das Gefühl es ist etwas sehr schlimmes passiert.
Ich auch, willst du noch?
Sie hält die Weinflasche hoch. Ich schüttele den Kopf und lecke unelegant den letzten Tropfen vom Rand des Glases.
Es geht mir durch alle Knochen, murmelt René und dann noch
Tut mir leid dich so überfallen zu haben. Ich dachte nur wenn sich mein Körper schon nicht mehr anfühlt als würde er mir gehorchen, dann vielleicht ja ein anderer.
Ich lache und es ist lauter als beabsichtigt aber es unterbricht den ständigen Kopfschmerzen hinter meinen Schläfen.
Du musst mich für irre halten.
Ich halte mich selbst schon für irre auf mein Urteil ist also kein Wert zu legen.
Du sprichst nicht also wäre deine Aufmerksamkeit teuer. Sage ich
Danke, das ist vermutlich das schönste Kompliment dass ich seit langem bekommen habe. Bild dir nichts darauf ein.
Dann nimmt sie mich an ihrer viel zu warmen Hand mit nach oben ins Schlafzimmer. Auf dem Bett liegen weiße Seidenkissen die nicht aussehen als solle man darauf schlafen und als ich sage ich sei einundzwanzig küsst sie mich im Nacken und packt die Decke zusammen. Es ist ohnehin zu warm. Vor den Fenster nähert sich immer und immer wieder das durchdringende Schrillen eines Tatütata und verschwindet irgendwo hinter meinem Rücken. René berührt mich nicht mal zufällig. Mich beschleicht das Gefühl dass dies meine letzte ruhige Nacht sein wird und dass ich sie nicht in meiner Wohnung verbringe macht es erschreckend viel besser. Als hätte die Flucht vor was auch immer schon angefangen oder ich würde die Hautrolle meiner persönlichen Trueman show spielen.

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@5saddi16 ich dachte hier passt dein Wort gut hin. Danke dass ich es behalten durfte.

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