Am Ende des Abends weiß niemand mehr, wie es angefangen hat. Dicht an dicht gedrängt hocken wir in diesem alten Weinkeller an den Wänden. Ich halte irgendjemandes Hand den ich nicht kenne. Alle lausche irgendwo in die Stille des hämmernden Basses. Gefräßiges Atmen zerreißt die Luft. Die Männer in den Jacken holen uns einzeln heraus. Rot sind sie. Die Jacken mit den Männern drinnen. Sie sind schnell aber wir sind viele. Ich warte irgendwo ganz hinten, niemand hat uns etwas gesagt. Ich stelle mir vor wie ich zuhause sitzen und denken werde, dass ich noch vor wenigen Augenblicken in diesem alten Weinkeller saß und warten musste, bis sie auch mich unter den Armen nahmen und herauszerrten. Ich würde denken, dass es sich anfühlt, als wäre es erst Minuten her und ich wünsche mir Zeit würde in alle Richtungen gleich schnell vergehen. Mein Kopf rotiert. Aus einer der Ecken dröhnt laute Musik. Sie spielen Kompliment. Mir ist übel. Ich bewege die Lippen mit obwohl ich den Text nicht auswendig kenne.
Irgendwann an diesem Abend musste alles begonnen haben. Hastig versuche ich in meinem Gedanken diesen Zeitpunkt ausfindig zu machen. Ich hätte gehen sollen, wir hätten einfach alle gehen solle. Ich hätte erst gar nicht hingehen sollen.
Vor mir stehen Menschen auf, keine Minute später packen sie mich unter dem Armen und tragen mich heraus. Ich will ihnen sagen, dass ich selbst laufen kann. Ich tue es aber nicht, weil ich den Mund nicht aufkriege. Nirgendwo kann man noch einen Blick auf den Jungen erhaschen, er ist wie vom Erdboden verschluckt. Vor diesem Abend habe ich noch nie nie nie sowas gesehen. Ich habe gesehe wie. Wie ein Mensch gestorben ist. Das Mädchen, dass sich erbarmt und ihn erschlagen hat. Sie hat es einfach getan. Sie war die Erste gewesen, die sie rausgebracht hatten. Noch vor allen Anderen und mit einer langen Pause danach.
Ich bekomme eine Decke, sie trennen uns voneinander. Muss die Hand loslassen. Ich zittere und es fühlt sich an, als würde es nie wieder aufhören. Mein Herz schlägt schmerzhaft heftig. Wenigstens acht Wagen, überall auf dem Parkplatz. Menschen in den Jacken. Kinder in Plastikdecken. An mir vorbei läuft ein Junge, jünger als ich bestimmt. Er stammelt die ganze Zeit vor sich hin. Ich will zu ihm und ihn in den Arm nehmen. Gleichzeitig will ich kotzen, ich will meinen ganzen Magen auskotzen. Es geht aber nicht. Sie geben uns einen Mundschutz. Und Handschuhe. Stumm fließt jedes flackernde Blaulicht ineinander in dieser Nacht. Einen neue Welt wird geboren. Auf diesem Parkplatz. Ich will nicht mehr aufstehen.
Wir warten auf Licht. Es ist greifbar.
Als die Sonne aufgeht habe ich mir alle Wimpern ausgerissen um mir Dinge zu wünschen. Alles unvergessen machen, nein, ungesehen oder ungeschehen meine ich. Irgendwas einfach. Ich will Licht und jemanden, der bei mir ist aber mich nicht anfasst.
Blut aus allen seinen Poren. Tränkt weiße Hemden. Bin mir sicher es träumen zu müssen. Aus allen Fasern saugen. Süchtig macht nur der Geschmack von Lebendigkeit. Ich hasse meinen Kopf.Mein Gott er war so schön. Er kann nicht tot sein, dafür war er zu schön. Ich hatte ihn den ganzen Abend angeschaut. Schöne Menschen sterben nicht, weiß das denn hier niemand?
Und dann beginnt die Angst vor dem Schlafen.
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