21 - LÜGE

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„Da kommt Rauch durch die Tür", rief ich mit dem Abflug von Panik, als ich den Qualm aufsteigen sah.

Wir sprangen beide erschrocken auf.

„Es brennt", sagte Theo in einer Art Schockzustand.

Die Rauchentwicklung nahm exponentiell zu. Die Eingangstür war aus Holz. Man konnte zwar keine Flammen sehen, aber das Holz begann zu glühen. Sie musste von außen komplett in Flammen stehen. Auch die Hitze war zunehmend zu spüren.

„Wir müssen hier raus!", brüllte ich nun voller Angst. „Wo ist hier noch ein anderer Ausgang?"

„Beim Chor!", antwortete Theo, dem man ebenfalls die Furcht vom Gesicht ablesen konnte.

Wir hatten nicht mehr viel Zeit hieraus zu kommen. Das hatte ich im Gefühl.

Wir rannten zum vorderen Teil der Kirche, doch von dort kamen uns plötzlich auch riesige Rauchwolken entgegen.

„Was zur Hölle?", stieß ich hervor.

In dem Moment begriff ich, dass das hier weder ein Kabelbrand war, noch dass der Blitz eingeschlagen hatte. Nein! Jemand hatte hier ganz bewusst Feuer gelegt. Beide Ausgänge brannten. Das war ein Brandanschlag und wir waren eingekesselt von Flammen.

„Da kommen wir auch nicht raus. Theo, gibt es noch irgendein anderen Ausgang?"

Da diese Kirche nicht sonderlich groß war, rechnete ich gar nicht erst mit einer bejahenden Antwort.
„Nein, aber dann müssen wir eben durch die Fenster raus."
Die Kirche füllte sich weiterhin mit Rauch und die Sicht wurde zunehmend schlechter. Der Qualm brannte bereits in meinen Lungen und mir war bewusst, dass nicht die Flammen unserer Feind waren sondern der Rauch, der uns langsam vergiftete.

Ich sah zu den Fenstern nach oben. Sie waren ein Mosaik aus Glasscherben in allen Farben und das in drei Meter Höhe.

„Wie sollen wir denn da hochkommen?", hustete ich und zog mein Shirt vor meinen Mund, um irgendwie dem Rauch etwas entgegenzusetzen.

„Ich heb dich hoch", sagte Theo sofort.

„Und du?", entgegnete ich.

„Mach dir darum keine Sorgen."

Und wie ich mir darum Sorgen machte!

Theo nahm ein Kreuz, welches an der Wand hing, ab und wir rannten zu den Fenstern.

„Hier, nimm das zum Einschlagen des Fensters!"

Er drückte mir das Kreuz in die Hand.

Das war dann wohl mit Gottes Hilfe.

Theo hob mich hoch und ich konnte hören, wie schwer sein Atem ging. Uns lief die Zeit davon.

Mit seiner Hilfe konnte ich den Fenstersims gut erreichen. Er stemmte mich mit aller Kraft hoch. Hier oben war die Luft noch schlechter.

„Schlag richtig zu!", rief er hechelnd.

Ich holte aus und hämmerte das Kreuz mit aller Wucht, die ich aufbringen konnte, gegen die Glasscheibe. Es entstand ein Riss, doch die Scheibe blieb ganz.

Scheiße!

„Noch mal", hörte ich Theo deutlich geschwächte Stimme.
Der Innenraum der Kirche war mittlerweile schwarz.

Ich schlug wieder und wieder zu. Nur langsam zersplitterte die Scheibe. Es dauerte gefühlt eine Ewigkeit bis das Loch endlich so groß war, sodass ich gerade so durchpassen würde.

Ich vernahm nun auch Sirenen von draußen und konnte so etwas wie Blaulicht erahnen. Jemand schien das Feuer bemerkt und die Feuerwehr gerufen zu haben.

„Gib mir deine Hand!", rief ich nun zu Theo runter, um ihn hochziehen zu können.

Ich konnte ihn kaum sehen. Zudem wurde es unerträglich heiß. Die Flammen waren mittlerweile auf den Chor übergesprungen.

„Das schaffst du nicht, Helvi. Ich bin zu schwer. Du kannst mich unmöglich hochzuziehen. Spring raus!"

„Nein!"

Ich wollte wenigstens versuchen ihn hochzuziehen, auch wenn ich mir selbst nicht vorstellen konnte, dass ich seinen Köper mit einer Hand hochziehen könnte.

„Mach dir keine Sorgen um mich. Ich finde schon einen Ausweg!"

Ich spürte, wie der Qualm mich mehr und mehr umnebelte. Ein Schwindelgefühl breitete sich in mir aus.

Ich würde ihn hier nicht zurücklassen!

„Helvi, bitte! Spring! Ich hol mir eine Bank und klettere darauf, um zu dir hochzukommen. Ich komme gleich nach. Ich verspreche es!"

Ich zögerte noch immer.

"Gib mir seine Hand", rief ich zurück.
"Das hat keinen Sinn und das weißt du selber! Bitte spring einfach!"

Ich konnte ihn doch nicht hier zurücklassen.

„Los!", brüllte er nun und man konnte an der Stimme hören, wie viel Kraft es ihn kostete.

Ich musste eine Entscheidung treffen.

"Wir sehen uns gleich wieder!", rief ich Theo zu. "Ja?"
"Versprochen!"

Ich kletterte durch die kleine Öffnung.

Für diese Entscheidung würde ich mir mein Leben lang Vorwürfe machen. So viel stand jetzt schon fest.

Ich blieb erst mit meinem Arm und dann mit meinem Schienbein an den scharfkantigen Scherben hängen. Ich spürte zwar wie meine Haut aufgeschlitzt wurde, doch Schmerz konnte ich nicht fühlen.

„Da ist jemand!", hörte ich eine Stimme von draußen rufen. "Da ist jemand am Fenster!"

Ich hatte keine Kraft mehr und ließ mich aus der Höhe von drei Metern unkontrolliert auf den Boden nach draußen fallen. Dort begann ich mich sofort zu übergeben. Gleichzeitig gierten meine Lungen nach Sauerstoff.

Ich spürte Arme, die mich packten und wegzogen.

„Sie ist blutet! Hier ist überall Blut", hörte ich den Mann sagen, der mich nun hochhob und trug.

„Theo", hechelte ich. „Er ist noch da drinnen. Helft ihm!"

Ich hatte Angst, dass er keine Kraft mehr haben würde eine Bank zu verschieben um das Fenster zu erreichen.

Moment!

Nein!

Die Bänke waren festgeschraubt. Sie waren fest am Boden verankert.

Natürlich!

Ich war mir sicher. Bei der Messe war mir das aufgefallen. Als alle in die Bibel geblickt hatten, war mein Blick starr auf den Boden gegangen. Ich hatte aus Langeweile die Schrauben gezählt.
Er hatte mich angelogen.
„THEO IST DA DRINNEN!", schrie ich nun hysterisch. „Jemand muss ihn daraus holen. Er stirbt!"

Wieder musste ich mich übergeben. Man reichte mir Wasser, versuchte mich anzusprechen und setzte mir eine Sauerstoffmaske auf, aber niemand schien mir zuzuhören.

„Theo ist da drinnen! Er stirbt! Warum hilft ihm denn keiner?"

TheoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt