In den nächsten Tagen verbrachte ich viel Zeit in der Buchhandlung. Ich lernte zu kassieren und begann nach Kinderbüchern zu suchen, die ich vorlesen könnte. Paula und ich verbrachten die Mittagspausen bei Joe im Café und Theo gesellte sich stets zu uns, wenn er wieder eine Vorleserunde hatte.
„Wie lange bleibst du eigentlich hier?", erkundigte sich Theo und nippte an seinem Kaffee. „Gert meinte, dass du nur vorübergehend aushilfst."
„Bis Ende August. Ich fange danach an zu studieren."Ich hatte im Juni mein Abi gemacht und als Sommerfüller hier bei Onkel Gerd angefangen.
„Was wirst du studieren?", fragte Paula interessiert.„International Relations."
Was viele staubtrocken fanden, war meine Leidenschaft: Politik. Ich könnte mir vorstellen mal für die UN oder die EU zu arbeiten.
„Aber fängt das Semester nicht immer erst im Oktober an?", hakte Theo nach.
„Ja, das ist richtig, aber ich werde nicht in Deutschland studieren. Ich habe ein Stipendium für die USA bekommen und da fängt das Semester schon früher an."
Die Augen der beiden weiteten sich.
„Du gehst in die USA?"„Ja, nach Boston."
So richtig konnte ich mein Glück auch noch nicht fassen. Ich hatte mich damals ohne viel Hoffnung auf dieses Stipendium beworben.
„Das ist krass", sagte Paula beeindruckt.
„Herzlichen Glückwunsch!", sagte Theo erfreut.
„Danke! Danke! Es ist für mich superverrückt, dass das alles so geklappt hat."
„Lass uns das doch heute Abend feiern! Es ist Freitag und im Shamrock Pub spielt heute ein Live Band. Wir könnten dahingehen."
„Warum nicht?"
An dem Abend hatten wir zu Beginn zu dritt an unserem Tisch gesessen. Zwei Stunden später war unsere Gruppe schon nicht mehr zählbar. Das hier war eine Kleinstadt und es gab wohl keinen Ort, wo man kein bekanntes Gesicht traf. Theo schien außerdem jeden zu kennen und so hatte sich unsere Runde schnell erweitert.
„Du weißt, dass er nicht auf Frauen steht?", meinte Tim, ein Freund von Theo, irgendwann nach Mitternacht zu mir. „Es hat keinen Sinn so viel Energie aufzuwenden, um ihn anzumachen. Sowas prallt an ihm ab. Das darfst du nicht persönlich nehmen."
War meine Flirtoffensive so offensichtlich gewesen?
Da ich schon ein paar Bier intus hatte, wurde ich emotionaler als gedacht.
„Ich weiß", sagte ich traurig. „Es ist eine Schande!"
Tim tätschelte meine Schulter.
„Du bist nicht die erste, die das sagt, aber glaube mir: Es gibt auch noch andere nette Männer in dieser Stadt."
Er zwinkerte mir scherzhaft zu.
Aber Theo war wirklich etwas Besonderes. Ich wollte ihn. Das klang vielleicht ein wenig besitzergreifend, aber er hatte diesen ganz speziellen Charme. Er war dieser Prinz, der mit seinem weißen Schimmel angeritten kam, um einen zu retten.
Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Es war der Prinz.
„Hey, ich würde jetzt nach Hause gehen. Willst du mitkommen? Dann kann ich dich nach Hause bringen."
Dafür, dass ich ihn erst seit ein paar Tagen kannte, war er auffällig fürsorglich. Bei jedem anderen Mann hätte ich das als eindeutigen Annäherungsversuch interpretiert. Es war praktisch ein Wink mit dem ganzen Zaun, wenn ein Mann so etwas zu einer Frau sagte.
„Es liegt ja auf dem Weg", fügte er noch hinzu.
Ich hatte für heute eh schon genug getrunken. Und die Tatsache, dass ich mich vorhin dazu hatte hinreißen lassen lauthals Country Roads durch den Pub zu grölen, war das ein klares Zeichen, dass ich zu betrunken war und der Abend ein Ende finden sollte.
Außerdem hatte ich auch nichts dagegen mit ihm ein paar Momente zu zweit zu haben.
„Ja, ich komme mit."
Als ich mich erhob, spürte ich sofort, dass auf meine Beine kein Verlass mehr war. Mein Gleichgewichtssinn hatte eine massive Störung zu vermelden.
Error! Error!, sendete es kontinuierlich an mein Gehirn.
Doch Theo hatte sofort seinen Arm um mich gelegt und stützte mich.
„Das war wohl eins zu viel", sagte ich etwas verlegen.
Mir war nicht entgangen, dass Theo den ganzen Abend bei Cola geblieben war. Dementsprechend standsicher war er.
„Manchmal geht das schneller als man denkt", versuchte er nicht verurteilend zu klingen. „Aber keine Sorge, wir bekommen dich schon nach Hause."
Ich winkte einmal in die Runde und rief ein lautes „Tschüssi!". Dann begaben wir uns an die frische Luft. Sie traf mich wie eine Wand. Ohne Theos Halt wäre ich wahrscheinlich einfach in mich zusammengesackt.
Ich hätte vorher vielleicht doch mehr als nur einen Salat essen sollen.
„Trinkst du nie?", erkundigte ich mich und stellte erfreut fest, dass ich meine Zunge noch sehr gut unter Kontrolle hatte.
„Nein, ich mag diesen Kontrollverlust nicht."
Mein Verstand stimmte angesichts der fehlenden Kontrolle über die Beine dem zu.
„Aber das kann manchmal auch ganz witzig sein."
„Und manchmal aber auch nicht", widersprach er.
„Hmm."
Er folgte ein kurzer Moment, in dem wir schweigend und Arm in Arm durch die nächtliche Sommerluft schlenderten. Ich mochte diese körperliche Nähe zu ihm.
„Theo?"
„Ja?"
Der Alkohol verlieh mir den Mut die folgende Frage zu stellen.
„Du stehst wirklich gar nicht auf Mädchen?"
Ich hatte diese Frage einfach stellen müssen, denn ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. Er wirkte so sehr wie ein Mann, der es liebte eine Frau auf Händen durchs Leben zu tragen.
Sofort hielt er inne und sah mich an.
Er sah in diesem Moment sehr zerbrechlich aus.
„Nein", sagte er entschieden und schluckte schwer.
„Hattest du denn noch nie ein Mädchen geküsst?"
Vielleicht waren diese Fragen zu intim, doch ich konnte mich einfach nicht zurückhalten.
„Nein."
„Aber woher weißt du dann, dass du es nicht magst?"
Sein Blick ruhte eine Weile auf mir. Ihm gefiel die Situation gar nicht und mein Sympathiepunktekonto bei ihm schien einen ordentlichen Verlust einzustreichen.
„Hast du denn schon mal ein Mädchen geküsst?", kam schließlich die Gegenfrage.
„Nicht so richtig."
Also ein Schmatzer schon, aber ich hatte noch nie eine Frau so geküsst, wie ich es bei einem Mann getan hätte.
„Und trotzdem weißt du, dass du nicht auf Frauen stehst, oder?"
„Hmm", gab ich unzufrieden von mir. „Aber hast du denn schon mal einen Mann geküsst?"
Er verzog das Gesicht und ich hatte mit jeder Reaktion gerechnet, nur nicht mit dieser. Er wirkte als hätte ich ihn gerade gefragt, ob er schon mal kleine Hundewelpen ertränkt hatte.
„Nein! Wie kommst du denn darauf?"
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Theo
Roman d'amourNiemand ist perfekt. Doch als sie Theo das erst mal sieht, ist er genau das. Er wirkt so, als wäre er gerade aus einer Nicholas Sparks Verfilmung entsprungen: Er ist charmant, gutaussehend, humorvoll, sportlich, kinderlieb und ein Gentleman, wie ma...