6 - Kein Sex, kein Kuss kein gar nichts

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Meine Nacht war geprägt gewesen von den seltsamsten Träumen. Ich hatte mit Gott zunächst eine heftige Diskussion gehabt und schließlich hatten wir uns auf einer Wolke geprügelt und an den Haaren gezogen. Ein Platz in der Hölle war mir wohl sicher.

Als ich Theo am nächsten Tag auf Arbeit sah, hatte ich nun ein anderes Bild von ihm. Auf einmal wirkte er auf mich so brav.

Er hatte wirklich noch nie geküsst! Das musste ich mir immer wieder bewusst machen. Diese Tatsache weckte in mir erst recht das Bedürfnis ihn mir einfach zu schnappen und zu küssen.

„Was? Er liebt Gott?", fragte mich Paula entgeistert, als wir zusammen Bücher in die Regale stellten. „Warum wusste ich das nicht? Das hat mir keiner erzählt!"

Tja, da ist die stille Post wohl auch bei jemand anderen nicht angekommen.

„Ja, er lebt enthaltsam und zwar wirklich komplett. Kein Sex, kein Kuss, kein gar nichts!"

„Oh mein GOTT!", kreischte Paula. „Er ist noch Jungfrau? ER!?!?"
„Pssst!", wies ich sie an. „Nicht so laut!"

„Das macht ihn so sexy!", flüsterte sie nun. „Überleg dir doch mal, dass er noch nie Sex hatte, obwohl er mit diesem Aussehen gesegnet ist. Du glaubst gar nicht, wie gern ich ihn zeigen würde, was er verpasst!" Ich wusste, wovon sie sprach. Ich konnte mich dagegen wehren. Seine Enthaltsamkeit machte ihn nur noch begehrter. „Glaub mir, wenn er einmal einen richtigen Orgasmus hatte, dann will er nie wieder etwas von Gott wissen."

Ich seufzte.

„Aber man muss seine Entscheidung akzeptieren."

Paula zuckte gleichgültig mit den Schultern.

„Muss man das?"

„Was meinst du?"

„Du könntest es als Motivation sehen. Jetzt erst recht! Kämpfe um ihn! Zeig ihn, was richtige Liebe bedeutet!"

„Und wie soll ich das bitte tun? Er hat an so etwas kein Interesse. Und ich kann ihn ja schlecht zwingen! Das wäre mindestens sexuelle Belästigung und im schlimmsten Fall Vergewaltigung. Das ist nicht so mein Stil."

Paula verdrehte theatralisch die Augen.

„Lass es langsam angehen! Verbringe Zeit mit ihm und gib ihm Zeit sich daran zu gewöhnen. Früher oder später wird er schwach werden! Guck dich doch an! Du bist eine wahre Sexbombe mit deiner Oberweite, deinem Kussmund und deinen blauen Augen. Früher oder später wird er dem schon verfallen."

Ich zweifelte daran, dass das der richtige Weg war. Theo hatte für sich entschieden einen bestimmten Weg im Leben einzuschlagen. Ich sollte da nicht dazwischenfunken. Wenn er mir wirklich am Herzen lag, dann sollte ich seine Entscheidung akzeptieren oder nicht? Ich wollte nicht das Teufelchen sein, das ihn zu irgendwelchen Sünden verführte, die innerlich gar nicht wollte.

„Was flüstert ihr hier die ganze Zeit rum?", ertönte plötzlich die Stimme von Onkel Gert, der plötzlich bei uns in der Regalreihe stand. „Habt ihr etwas zu verheimlichen?", fragte mit einem breiten Lächeln.

„Wusstest du, dass Theo Pfarrer werden will?", fragte ich ihn neugierig.

„Oh ja!", antwortete er. „Durch die Kirche bin ich erst auf ihn aufmerksam geworden. Er hat dort immer eine Kindermesse abgehalten und ich fand die so gut, sodass ich ihn gefragt hatte, ob er nicht auch mal bei uns vorlesen möchte."

Das hatte er ruhig mal früher erwähnen können.

„Findest du das nicht komisch? Er ist noch so jung."

Er zuckte mit den Schultern.

„Ich glaube, dass die Religion ihm in schwierigen Zeit sehr geholfen hat. Theo hatte keine leichte Kindheit und durch die Religion hat er Halt gefunden. Ich glaube, dass das ganze Pfarrerdasein auch damit zu tun hat."

Ich stutzte.

„Was meinst du damit, dass er keine leichte Kindheit hatte?"

„Ich weiß nicht viel", sagte Onkel mit betrübter Miene und man spürte, dass er vielleicht doch mehr wusste. „Aber er hatte wohl diverse Pflegefamilien und hat zum Schluss im betreuten Wohnen gewohnt. Und dort hat er zur Religion gefunden. Vielleicht ist es seine Art etwas zurückzugeben."

Eigentlich hatte ich gedacht zu wissen, wer Theo ist. Doch plötzlich zeigten sich Seiten auf, die ich von ihm nie erwartet hätte.
„Das hört sich furchtbar an. Stell dir mal vor, du hast keine Familie."

„Ja, das ist grausam", stimmte Onkel Gert mir zu. „Aber ich glaube, dass die Religion sein Ersatz für Familie ist. Dort bekommt er den Halt und die Struktur, die er in seiner Kindheit und Jugend nie hatte. Verstehst du?"

Ich nickte nachdenklich.

Ich musste mir eingestehen, dass ich mich von seinem Sunnyboy-Auftreten hatte blenden lassen. Ich kannte ihn gar nicht.

TheoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt