LÄRM. SCHREIE erfüllen die Luft. Einige Menschen laufen auf die Stelle zu, wo der Körper des Mädchens hingeschleudert wurde, aber die meisten bleiben einfach wie angewurzelt stehen.
Es ist auch kein schöner Anblick.
Ihr Kopf ist an den Bordstein geschlagen, aber das ist nicht mal das Schlimmste. Ihr Brustkorb sieht seltsam eingedrückt aus.
Es braucht keinen Doktor, damit ich weiß, dass sie das unmöglich überleben kann. Ihr blondes, lockiges Haar ist leblos um ihren Kopf ausgebreitet und befleckt mit Schmutz und Blut.
Es ist seltsam, aber Menschen sterben zu sehen widert mich irgendwie an. Es erscheint mir unvereinbar mit der Würde, mit der sie im Leben zu wandeln glauben. Eine Sekunde sind sie Schriftsteller, Liebhaber, Träumer, und in der nächsten Sekunde sind sie nur noch ein verwesender Körper, Blut und Knochen, zerfallende Biomasse.
Ich will mich abwenden; stattdessen verharre ich an Ort und Stelle. Links und Rechts strömen Menschen an mir vorbei, manche flüchten, manche scheinen angezogen von dem Blut wie die Aasfliegen.
Die Sirenen eines Krankenwagens, erst sehr leise, dann unerträglich laut, erfüllen die Luft. Die Leute weichen ihm aus, machen eine Straße für ihn frei. Männer mit orangenen Jacken springen heraus, rennen auf das Mädchen zu.
Der Fahrer des LKWs ist neben seinem Auto auf die Knie gefallen. Er ringt die Hände, streckt sie dem Himmel entgegen. Sein Mund ist aufgerissen zu einem tonlosen Schrei. Um ihn herum steht niemand, als würde er eine todbringende Krankheit verbreiten.
Mann, den beneidet auch echt keiner. Die, die in ihren Lebzeiten jemandem das Leben nehmen mussten, haben es besonders schwer. Die Albträume stehen auf solche. Ich hab das gesehen, ich kenn das.
Ich bin so konzentriert auf das Geschehen um mich herum, dass ich sie erst gar nicht bemerke. Erst, als das Gefühl, dass ich angestarrt werde, unerträglich wird, hebe ich den Kopf.
Jemand steht ein paar Meter von mir entfernt und sieht mich unverwandt an. Nein, sie sieht nicht durch mich hindurch – sie sieht mich an, mich, den Tod. Obwohl ich jetzt ihren Blick erwidere, sieht sie nicht weg.
Ihre Gestalt flackert ein bisschen.
Oh.
Manchmal - sehr selten - passiert es, dass jemand hängen bleibt. Nicht tot, nicht lebend – keiner bekannten Welt zugehörig. Noch einen Fuß im Diesseits, einen anderen im Jenseits.
Wie wahrscheinlich ist es? Stellt euch vor, ihr würdet eine kleine Münze aus dem obersten Stock des Empire State Buildings werfen; und sie müsste auf dem Boden aufkommen und weder auf Kopf noch Zahl liegen bleiben, sondern auf der ungefähr zwei Millimeter dicken Seite stehen bleiben – ohne anschließend umzufallen.
Das Mädchen sieht mich immer noch an und kommt mir jetzt näher.
„Menschen laufen durch dich hindurch", stellt sie dann in einem leicht überraschten Tonfall fest.
„Das bin ich gewöhnt", sage ich.
Sie hebt langsam die Hand und starrt sie an, als würde sie sie zum ersten Mal sehen. Ihre Hand flackert. Das Mädchen legt den Kopf fasziniert schief.
„Was passiert mit mir?"
„Du stirbst", erwidere ich und blicke ebenfalls auf ihre Hand. Erst als ich wieder aufsehe und den bestürzten Ausdruck in diesen blauen Augen erkenne, realisiere ich, dass ich etwas Schlimmes gesagt habe.
„Ich sterbe?"
Unwillkürlich flackert mein Blick zu dem Menschenauflauf neben uns. Die Sanitäter tragen das Mädchen auf einer Trage in den Wagen. Ich sehe die blutigen Finger einer kleinen Hand zittern; ob sie es ist oder die Erschütterungen durch die Trage, ich weiß es nicht.

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Zoey
Roman pour AdolescentsHast du dich jemals gefragt, was mit deinen Ideen passiert, wenn du stirbst? Mit all deinen Talenten und Einfällen und Leidenschaften, die du unbenutzt mit ins Grab nimmst? All das, was du dir vorgenommen hast zu tun? Stell dir vor, dass es einen...