In einer Tiergesellschaft im Dschungel weit, weit entfernt, gab es jedes Jahr zur gleichen Zeit eine Opfergabe. Dieses Opfer wurde dem Löwen übergeben, damit er den Rest der Tiere in Frieden ließ
Damit auch alles gerecht verlief, wurde gelost.
Jährlich am selben Tag, kurz bevor es so weit war einen Mitbewohner zu verabschieden, zogen alle im Dschungel Lebende blind einen Grashalm aus dem Haufen in der Mitte. Der, der den kürzesten Stängel hatte, würde das Opfer dieses Sommers sein.
Und so war es auch dieses Mal.
Alle Tiere hielten ihre Gräser unter der Hufe oder der Pfote versteckt, nicht dass jemand in Versuchung geriet, das des anderen zu verkürzen und somit auch sein Leben.
Mit zitternden Stimmen zählten sie alle gemeinsam runter, gaben sich noch die letzten Sekunden als Gemeinschaft, wie sie sie das ganze letzte Jahr gekannt haben, bevor einer von ihnen sein Todesurteil annehmen musste.
Alle Dschungelbewohner würden dem auserwählten Tier noch eine lange Zeit nachtrauern, doch dann würden sie, wie immer, ihren Alltag aufnehmen, nur um dann Wochen vor der nächsten Selektion wieder bibbernd zu hoffen vom Schicksal verschont zu werden.
Nun hoben alle ihre Pfoten und Hufen hoch, schweißnass vor Angst, manche die Augen geschlossen, andere hingegen weit aufgerissen. Wer würde das Opfer sein? Zum Leiden der Tiere war das nicht sofort klar, nein. Es mussten erst Stück für Stück, Tier für Tier, Grashalm um Grashalm die Lose verglichen werden und um keine Schummeleien zu zu lassen taten sie es alle gemeinsam.
Erst durfte die Giraffe erleichtert aufatmen, dann das Nashorn, das Kapuzineräffchen, der Papagei, das Zebra, und so weiter, bis schließlich kaum jemand übrig blieb. Und schließlich lag es nur noch an der Maus und einem noch recht jungen Panther, wobei die Art von letzterem trotz ihrer Stärke nicht gegen den Tyrann, der sich selbst Herrscher nannte, ankam.
Nicht, dass sie es nicht versucht hatten. Doch wenn man erst einen steilen Hang heraufklettern musste, um dann vor einem Dornengebüsch zu stehen, blieb nicht mehr viel Kraft übrig, um die dahinter liegende Höhle und ihren grausamen Bewohner zu stürmen. Auch ein Überaschungsangriff als einzig mögliche Alternative ist unmöglich angesichts der Tatsache, dass der Löwe die aasfressenden Geier gegen eine lächerliche Gegenleistung in Form von gelegentlichen Resteübergaben seines Mahls als seine Wächter angeheuert hat.
Man kann also sagen, dass eigentlich keine Hoffnung für die Tiere besteht die Verurteilten zu retten, weder heute noch sonst irgendwann. Die einzige Hoffnung war auf den Tod ihres Peinigers zu warten und zu beten, dass er keinen Nachwuchs zeugte.
Alle anderen Dschungelbewohner schickten sich an, der Maus Abschiedsworte entgegenzubringen, doch diese wehrte sich vehement dagegen.
,,Wartet's nur ab. Ich werde zurückkehren und euch mitteilen können, dass der Löwe gefallen ist!", ruft sie ihnen zu und macht sich auf den Weg.
,,Du kannst nichts gegen ihn anrichten, kleine Maus. Und wenn er wütend wird, ziehst du uns nur mit ins Verderben!", protestiert ein Vogel, doch das imponierte dem schlauen Tier überhaupt nicht. Schließlich hat sie diesen Plan seit dem Tod ihrer Eltern durch den charakterlich abstoßenden Herscher ausgearbeitet.
,,Ihr werdet schon sehen", murmelte sie noch vor sich hin, bevor sie vollkommen dem Blickfeld ihrer Freunde und Bekannten entschwand, die sich ernsthafte Sorgen um das Gemüt des Mäuschen machten.
Diese trat sofort die durch ihre Motivation und dem Ziel vor ihren Augen kaum beschwerliche Reise an und stand schon bald vor der Höhle ihres Feindes.
,,Herr Löwe! Seid Ihr zu Hause?", sie musste fast Würgen von dem süßen Ton, den sie in ihre Stimme legte, um dem Tyrannen zu schmeicheln, wobei das Aas auf dem Boden sein Übriges zu ihrem Ekel beitrug.
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Fabeln
Short StoryKleine Fabeln mit einer Moral, die ich entweder als Kind von meinen Verwandten erzählt bekommen habe oder von meinen Cousins und Cousinen, wenn sie mich erschrecken wollten. Viel Spaß :) كليلة و دمنة