¡Hab so viel Leid ertragen. Hab echt gedacht, ich halt es aus¡

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Schon ein halbes Jahr lebe ich hier.
Wo ist hier? Mit "hier" meine ich die Straße.

Ich heiße Iuliana Popa.
Ich bin 24 Jahre alt und komme ursprünglich aus Rumänien.
Am 27.09. bin ich in Cluj zur Welt gekommen. Mein Vater hat damals als Maschinenbauer gearbeitet und meine Mutter hat sich um meine Schwestern, meine Oma und mich gekümmert und hat nebenbei Tiere gehabt und Obst und Gemüse im Garten. Zuhause hat sie dann Käse aus Kuh- als auch Schafsmilch gemacht oder auch Schmand und vieles mehr, die sie dann auf der Piață, auch bekannt als Markt, verkauft hat.

Meine Schwestern heißen Ioana und Andra. Ioana müsste jetzt 19 sein und Andra 26. Wir sind damals als ich 10 war, nach Deutschland gekommen.
Meine Eltern wollten nämlich ein besseres Leben führen, da wir nicht genug Geld hatten und außerdem sind meine Großeltern verstorben.
Der Rest der Familie ist auch hier in Deutschland verstreut. Manche sind in Berlin, manche in kleinen Dörfern in Bayern und so weiter.

Ihr fragt euch jetzt bestimmt, wie ich auf der Straße gelandet bin. Ach, das ist eine sehr lange Geschichte.
Wir schreiben das Jahr 2014.
Das genaue Datum weiß ich jetzt leider nicht, aber auf jeden Fall ist es 2014. Als wir nach Deutschland gekommen sind, habe ich 2 Jahre die Schule weiter gemacht, jedoch wurde ich aufgrund meines schlechten Deutsch und meines Akzents gemobbt. Sie haben mich beleidigt und selbst die Lehrer haben nie was getan, bis ich meinen ersten Selbstmordversuch hatte. Als ich dann im Krankenhaus lag, hat sich alles verändert, aber das ist eine andere Geschichte. In dieser schweren Zeit habe ich gelernt, was es heißt keinem zu trauen. Meine Eltern waren so sauer auf mich, weil ich versucht hatte mich umzubringen und ich war unfassbar sauer auf sie, weil sie mir nie geholfen hatten.

Ich ging dann nicht mehr zur Schule. Stattdessen habe ich draußen gegammelt mit Freunden, die leider total fake waren. Sie haben mich ausgenutzt und ich habe angefangen zu klauen, zu trinken, zu rauchen und auch Drogen waren im Spiel. Da war ich gerade mal 12 Jahre alt.
Das einzige was mir aber in dieser Zeit wirklich geholfen hat war Rap. Erst war es nur Amirap, bis ich auf Deutschrap aufmerksam wurde.
Ich habe angefangen mein Leben in Texten zu beschreiben und diese Texte dann zu Beats zu rappen.
Die Beats habe ich auf Youtube gefunden und sie waren einfach kostenlos zu nutzen, was mir natürlich gut gelegen kam. Einen Song habe ich veröffentlicht, aber habe dafür nur Hate bekommen, weil eine Frau nichts in Deutschrap oder generell im Hip Hop zu tun hat.

Wegen dem Hate habe ich aufgehört zu rappen. Mein Leben war wieder scheiße und dann wurde ich auch noch beim klauen erwischt, da war ich 17. Ich bekam dann als Strafe ein Jahr auf Bewährung und wie das Schicksal es so wollte, habe ich mich nicht daran gehalten und habe nochmal geklaut. Meine Eltern waren so richtig sauer und auch meine ach so tollen Freunde haben sich von mir abgewandt. Da wir damals in einer kleinen Stadt gewohnt haben, gingen überall Gerüchte rum. Jeder hat irgendwas neues dazu erfunden und so kam es, dass es hieß ich hätte mein erstes Mal mit drei Typen gehabt.

Von den Gerüchten bekam ich jedoch erst später mit, da ich wegen dem erneuten Diebstahl ins Gefängnis musste. Nach einem Jahr kam ich raus und wollte dann wirklich mein Leben in Griff bekommen, jedoch musste ich viele Schicksalsschläge erleiden. Meine Lieblingstante bekam Krebs und ist paar Monate später verstorben, mein Vater hatte eine Affäre mit einer anderen Frau und ist dann mit der zurück nach Rumänien. Meine ältere Schwester Andra wurde vergewaltigt von ihrem damaligen Freund und Ioana? Sie wurde in der Pubertät immer anstrengender. Durch diese scheiß Zeiten, bin ich wieder in ein tiefes Loch abgestürzt. Ich griff zwar nicht zu Drogen, aber dafür zu Rasierklingen und so kam es dann auch zum zweiten Selbstmordversuch, den ich leider wieder überlebt hatte.

Die Wut meiner Mutter konnte ich natürlich irgendwie auch verstehen. Immerhin war ich schon immer das schwarze Schaf in der Familie. Ioana macht die Schule und hat sehr gute Noten. Andra ist selbstständig und hat ihr eigenes Nagelstudio. Naja und ich? Ich hatte keinen Abschluss, beschäftigte mich lieber mit Partys und co. als mit Ausbildungen oder einer Arbeit.

Als ich dann irgendwann aufgegeben habe mit dem Versuch mein Leben in den Griff zu kriegen, habe ich mich einfach weiter gehen lassen.
Ich blieb manchmal bis 3 Uhr nachts draußen, um mich mit Jungs oder Freunden zu treffen. Irgendwann hatte meine Mutter keinen Nerv mehr dafür und hat mich dann vor einem halben Jahr auf die Straße gesetzt.
Ich habe natürlich kein Geld und auch keinen Job, da mich kaum jemand annimmt auf Grund meines fehlenden Abschlusses.

Das Leben auf der Straße ist hart, wirklich, aber ich bin nicht mehr in meinem Wohnort. Die Gerüchte waren dort zu krass, weshalb ich per Anhalter nach Hamburg gefahren bin, um mir hier was neues aufzubauen. Ich hatte etwas Angst vor dem Typen, der mich mitgenommen hatte, jedoch passierte am Ende nichts und ich bin heil in Hamburg angekommen.
Ich 'wohne' hier in der Nähe vom Kiez und hier kann man echt viel Geld bekommen, da hier viele Leute unterwegs sind. Etwas Angst habe ich in der Nacht, dass mir irgendwas passiert, während ich schlafe, aber bis jetzt war noch nichts.

Heute ist wieder ein beschissener Tag. Es ist unfassbar heiß, da wir grad Anfang August haben. Vorhin habe ich einen Platz im Schatten gefunden und bin froh, dass mir dieses Unterdach ein wenig Schatten spendet. Mein Blick ist auf den Boden gerichtet.

Mama, es tut mir leid, dass ich mich so scheiße verhalten habe. Ich hatte es echt gut bei dir. Wieder plagen mich Schuldgefühle. Plötzlich merke ich wie jemand vor mir steht.
Ich schaue nach oben und blicke der Person ins Gesicht. Es ist ein sehr großer Mann. Er trägt eine schwarze Short, ein T-Shirt und schöne
Nike-Schuhe. Viele Tattoos verschönern seine Arme als auch Beine. Er hat einen Hund neben sich. Sieht aus wie ein Pitti. "Alles ok bei dir?", frägt er mich. Er hat eine sehr tiefe Stimme. Mein Blick wandert zu seinen Haaren, die leider von einer Cap verdeckt werden. An seinem Hals ist eine breite Goldkette. Wahrscheinlich fake. "Sieht es so aus, als würde alles ok sein?", erwider ich etwas frech, was ich im nächsten Moment auch schon bereue. "Wie heißt du? Ich heiße John-Lorenz Moser.", entgegnet er. "Iuliana Popa.", murmel ich. Er grinst leicht und meint dann:"So einen Namen habe ich noch nie gehört." "Ich komme ursprünglich aus Rumänien.", erkläre ich ihm. "Wie lange wohnst du schon auf der Straße?", hakt er nach. "Ich wohne nicht mal auf der Straße.", antworte ich, da er ja nicht wissen muss, dass ich obdachlos als auch arbeitslos bin. Er berichtet:"Doch, habe dich hier jetzt schon öfter gesehen." "Seit einem halben Jahr.", gebe ich mich geschlagen. "Es kommt zwar jetzt dumm, aber willst du vielleicht mit zu mir kommen? Du könntest vielleicht mal 'ne Zeit lang bei mir wohnen.", erzählt er mir. "Wenn es keine Umstände macht, sehr gerne.", sage ich. "Nein, ich würde dich gerne bei mir aufnehmen. Wie alt bist du?", hakt er nach. Ich entgegne:"24 Jahre alt, du?" Er erwidert:"29." Er hält mir seine Hand hin, damit ich leichter aufstehen kann. Ich nehme meine zwei Rucksäcke, in denen sich noch ein paar Wertsachen befinden und wir machen uns auf den Weg.

Niemals 31er! Für immer 187er! 🐊❤Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt