Ben
»Genial oder Müll? Wage es nicht, mich mit einem ›gut‹ abzufertigen, kapiert? Gut ist wie ein Genickschuss. Also?«
Auch eine Art, begrüßt zu werden. Aber schließlich kenne ich Randy schon ein wenig länger. Also verkneife ich mir den bissigen Kommentar, der bereits auf meiner Zungenspitze tanzt, und antworte stattdessen in aller Aufrichtigkeit mit einem: »Es ist genial!« Dann erst lege ich meine Jacke ab und nehme ihm gegenüber auf der Sitzbank Platz.
Randy grinst triumphierend. »Ich wusste, dass es dir gefällt. Und der Titel? Wie gefällt dir der Titel?«
»Das Leben in meinem Sinn?« Ich werde mit einer hektischen Handbewegung abgefertigt.
»Verstehst du die Doppeldeutigkeit?«, will Randy wissen.
In weiser Voraussicht habe ich meine Bestellung bereits im Hereinkommen aufgegeben. So macht Mario nun einen Bogen um unseren Tisch und lässt mir die Zeit, nachzudenken.
Das Leben in meinem Sinn erzählt die Geschichte von Ron und Lea. Ron ist ein gefrusteter Florist, der seine Kindheit in diversen Waisenheimen verbracht hat, bevor er als junger Mann bei einem Autounfall ums Leben kommt. Durch den Engel Clark wird er zurück auf die Erde geschickt, um dort seine lange verschollene Sandkastenliebe Lea zu beschützen.
Die Story ist ziemlich abgedreht, doch sie wird funktionieren, das spüre ich. Die Dialoge sind spritzig, die Charaktere tiefgründig gezeichnet und perfekt aufeinander abgestimmt.
Randy sieht mich noch immer erwartungsvoll an.
Doppeldeutigkeit des Titels, erinnere ich mich und ernte mit meinem »Ähhm ...« ein Augenrollen.
Randy schüttelt den Kopf. »Überleg doch mal, der Titel macht durchaus Sinn: Rons Wünsche, die er schon zu Lebzeiten hatte, erfüllen sich erst nach seinem Tod. Er ist wieder mit Lea vereint und die beiden verlieben sich ineinander, als sie lernt, ihn zu sehen. Alle Änderungen – außer der Tatsache, dass er ihre Berührungen nicht mehr fühlen kann, natürlich – sind in seinem Sinn. Und Lea nimmt ihn als Einzige wahr. Niemand außer ihr kann den Schutzengel sehen oder hören. Ron ist also das Leben in ihrem ganz speziellen Sinn.«
Es ist nichts Außergewöhnliches für mich, Randy euphorisch zu erleben, aber dieses Mal ist er wirklich total aus dem Häuschen. Das Projekt scheint ihm schwer am Herzen zu liegen.
»Und wie hast du vor, ihr Problem zu lösen? Dass sie sich gegenseitig nicht fühlen können, meine ich.«
Die Antwort meines Freundes kommt postwendend, wenn auch etwas undeutlich, da er bereits an einem Stück Pizza kaut. »Ich denke nicht, dass ich dafür eine Lösung finden will. Das macht ihre Story doch gerade so einzigartig. Sie verlieben sich ineinander, sehnen sich nacheinander, haben aber das Problem, einander nicht fühlen zu können. Es gibt blinde und taubeMenschen, die wunderbar mit ihrer Behinderung leben können, weil ihre anderen Sinne umso geschärfter funktionieren. Vielleicht müssen sie einfach lernen, damit umzugehen. Die dabei auftretenden Probleme sind mir doch nur recht. Sie geben mir immer wieder neuen Stoff zum Schreiben.«
Ich nicke und beiße dann in ein Stück Weißbrot mit Kräuterbutter. Natürlich, Randy denkt mit dem Kopf eines Autors.
Nach einer Weile lehnt er sich in seinem Stuhl zurück, greift nach seinem Bier und wirft mir einen prüfenden Blick zu. »Sag mal, wie gefällt dir eigentlich Ron?«
»Gut«, sage ich schulterzuckend, verbessere mich jedoch auf Randys böses Zischen hin schnell. »Sehr gut sogar! Er ist zwar kompliziert und ziemlich zurückhaltend, doch das ist angesichts der schlechten Erfahrungen in seiner Vergangenheit wohl auch kein Wunder. Aber ich denke, er hat ein gutes Herz und sehnt sich tief in seinem Inneren sehr nach einem Menschen, der ihn endlich aus seinem Trott reißt. Und dann kommt Lea wieder. Zwar erst nach seinem Tod, aber wie du gesagt hast, sie lehrt ihn, das Leben auch im Nachhinein noch zu schätzen.«
