Gold Kapitel 2

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„Ist das... Gold?", hauchte Iva. Dies war die dritte Höhle, der sie auf dem Marsch begegnete. Zwei Eingänge waren hoch genug gewesen, um bequem durchzulaufen, doch dieser war gigantisch. Und dort, wo die Sonnenstrahlen nicht mehr hinreichten, konnte Iva das Glitzern sehen.

Winzige, mittelgroße und handtellergroße Scheiben waren eng aneinandergeschmiegt und bildeten eine Form, die in der Tiefe verschwand. Das mussten tausende, vielleicht millionen sein.

Iva hatte kein Problem gehabt, die ersten beiden Höhlen hinter sich zu lassen ohne auch nur den ersten Schritt hineinzuwagen, aber in diesem Fall schienen ihre Füße wie festgefroren zu sein, denn...

„Gold."

Der erste Schritt war schwer, denn in ihren Ohren hörte sie die Erinnerung eines Echos von etwas Ledrigem und etwas Schlurfendem, doch der zweite war mit weniger Zögern. Wie hypnotisiert trat sie näher. Waren die Scheiben unfertige Münzen? Warum genau hatte man sie so seltsam gestapelt oder war irgendetwas darunter vergoldet worden? Waren die Höhlen alte, verlassene Mienenschächte, in denen Metalle abgebaut worden waren? Was für Schätze hatte sie unbeachtet hinter sich gelassen?

Iva legte den Kopf etwas schief und betrachtete bei ihren nähernden Schritten, wie das Gold zu pulsieren begann. Als wäre es lebendig. War es lebendig?

Mit dem letzten Schritt ließ sie die Sonne hinter sich und ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Die goldene Form füllte einen Großteil der Höhle und nur der kleinste Ausläufer reckte sich dem Eingang entgegen. Die Scheiben oder Münzen bildeten ein seltsames Muster, das sich wie ein gewirbeltes Sahnehäufchen nach oben reckte. Wie eine eingerollte Schlange oder Echse oder eine Art Dinosaurier – mit Goldmünzen bedeckt statt Federn oder Fell. Wenn sie den Kopf neigte, konnte sie sogar fast die Form eines Kopfes erkennen, der auf einer Schulter ruhte.

Mit jedem Augenblick, den sie länger in der Dunkelheit stand, schien das Gold heller zu leuchten und die Schwärze der Höhle zu verdrängen, bis sie im Hintergrund weitere Formen ausmachen konnte. Waren das Regale und Schränke? Was lagerte dort? ...Flache und viereckige Blöcke?

Ihr Fuß hob sich, bevor er mitten in der Luft gefror und ein seltsames Gefühl ihren Magen zusammenzog. Auf einem Bein balancierend runzelte Iva die Stirn und versuchte das Gefühl zu identifizieren. Kein Verdauungsproblem – kein Gluckern oder Schmerz -, sondern ein flaches, drückendes Gefühl, dass sich langsam ihren Nacken hinaufbewegte und die Haare auf ihren Armen aufstellen ließ. Und dann kroch eine Realisierung, eine absolute Wahrheit in ihren Kopf, als würde sie im Kino sitzen und einem blonden Mädchen dabei zusehen, wie es ins Haus eines Axtmörders wanderte:

Du wirst sterben.

Nur, dass Iva in diesem Szenario das blonde Mädchen war. Alles in Iva verharrte. Selbst ihre Fingerspitzen schienen die Luft anzuhalten und nur ihre Augen bewegten sich langsam zu dem Goldhaufen. Die Oberfläche schien zu rippeln, zu pulsieren und Iva hörte innerlich eine Zeituhr, die lostickerte wie bei einer Bombe.

Vorsichtig setzte sie ihren schwebenden Fuß ab – hinter sich und zuckte zusammen, als ihre Turnschuhe einen winzigen kratzenden Laut auf dem kieseligen Felsboden machten. Langsam, langsam drehte sie ihren Oberkörper herum, ohne den Goldhaufen aus den Augen zu lassen und machte ihren nächsten vorsichtigen Schritt zurück zum Eingang. Dann den nächsten.

Ihr Puls hämmerte in ihrer Halsader und Schweiß sammelte sich auf ihren Handflächen, aber ihre Schritte blieben langsam, vorsichtig, hinaus aus der Höhle und weiter den Weg hinunter, bis sie endlich eine Kurve erreichte und den Blick auf die Höhle verlor. Ihre Hände senkten sich – wann hatte sie die zu Fäusten geballt? Hatte sie vorgehabt das Goldding mit ihren Fäusten zu verdreschen?

Sie gluckste, halb amüsiert über sich selbst, halb vom Adrenalin und mit einer Spur von Wahnsinn. Dann atmete sie tief – und pfeifend – durch die Nase aus.

Im selben Augenblick begann der Berg zu vibrieren und ein Grollen ertönte – so laut, dass Ivas Ohren ploppten, als würde sie in einem Flugzeug sitzen und in ein Luftloch fallen. Bevor klare Gedanken von ihrem Kopf formuliert werden konnten, bewegten sich ihre Füße und Iva rannte. Rannte kopflos den Weg hinunter – weg, weiter weg von der Höhle.

*

Iva würde sich gerne vormachen, dass der Weg sie zwang mit dem Rennen aufzuhören, aber die Wahrheit war, dass sie kaum zehn Minuten aushielt, bevor Seitenstechen, Muskelschmerzen und Atemnot sie zu einem langsameren Trotten zwangen. Sie war schlank, ja, aber fit? Fit war sie nicht.

Sie war fast dankbar, als der Weg plötzlich endete und ihr eine Entschuldigung gab, sich mitten auf den Boden zu setzen und dann nach hinten zu fallen. Ihr Atem rasselte, während sie in den Himmel starrte und sich über die trockenen Lippen leckte.

„Eine Cola wäre genau das richtige. Mit klirrendem Eis", murmelte sie und konnte innerlich das Perlen der Kohlensäure in einem hohen Glas hören. „Durst", wisperte sie. „Durst ist schlecht. Durst ist die erste Stufe der Dehydration. Oder zweite? Waren trockene Lippen davor oder danach? Oder Kopfschmerzen?" Sie war sich sicher, dass sie darüber in einem schmalzigen Liebesroman gelesen hatte, in der die beiden Hauptfiguren in Seenot geraten waren und auf einer unbewohnten Insel landeten.

„Drei", nickte sie sich selbst zu und beobachtete einen Vogel, der hoch über ihr kreiste. „Drei Minuten ohne Luft, drei Stunden ohne Wasser, drei Tage ohne Essen, drei Wochen ohne Unterkunft, drei Jahre ohne sozialen Kontakt." Das Überleben des Menschen als Faustregel mit der Drei war irgendwo beschrieben worden. Oder hatte sie das in einer Dokumentation gesehen? Ein Youtube-Video? Hm. Waren es drei oder sieben?

Sie rieb sich mit schmutzigen Händen vorsichtig durchs Gesicht und zuckte zusammen, als sie ihre Nase unabsichtlich berührte. Dann richtete sie sich mühsam wieder auf und sah sich um. Kein glitzernder Bach war zu sehen. Stattdessen das Ende des Weges, der einfach in einer Schlucht endete, als hätte eine Faust den kompletten Rest weggeschlagen und wie bei Modellierton danach alle Unebenheiten glatt gestrichen.

Iva musste umkehren und eine geeignete Stelle suchen, an der sie herunter klettern konnte. Doch es war so heiß. Die Mittagssonne knallte mit all seiner Gewalt gegen die Bergkette. Warum hatte sie nicht auf der anderen Seite landen können? Dort herrschte noch Schatten!

Sie schauderte. Okay, nein. Sonnenlicht war besser. Ein bisschen zumindest.

Mühsam bewegte sie sich wieder den Weg hinauf, bis sie eine Stelle erreichte, die nicht im Tod endete, sondern abflachte und ihr die Möglichkeit gab, sich hinunter zu hangeln, bis sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Dort ließ sie sich wieder auf den Boden plumpsen und ruhte sich aus.

„Mittagssonne bedeutet Stunden, die ich gewandert bin", sinnierte sie. „Und ich habe gerade Mal die Baumspitzen erreicht. Bei diesem Tempo werde ich heute Nacht im Wald landen." Irgendwie war Iva instinktiv klar, dass es eine schlechte Idee war, sich nachts im Wald aufzuhalten. „Damit befasse ich mich, wenn ich den Wald erreichte", entschied sie. „Eins nach dem anderen."

Ihr Blick huschte suchend über die Umgebung, aber keine Quelle sprang plötzlich in ihrer Nähe auf. Wenigstens war hier der Boden flach genug, das sie geradewegs auf eine Klippe zugehen konnte. Dahinter konnte sie die Spitzen der Bäume sehen. Der Winkel ließ es wirken, als würde sie geradeaus in hüfthohe Bäume laufen. Nur das logische Wissen, dass das wohl nicht stimmte, zerschmetterte die Illusion.

„Auf, auf!" Iva reckte wie Superman in den Comics ihre Faust in die Luft und lachte innerlich. „Einen Fuß vor den anderen! Weiter geht's!"

Heroes are stupid!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt