Kapitel 6

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Bevor Iva die Augen öffnete, wusste sie, dass sie immer noch da war. Im Monsterland.

Es fehlten die normalen Geräusche ihres Schlafzimmers. Das Ticken der Uhr, das Surren der Laptopventilatoren und Verkehr vor den Fenstern.

Unter normalen Umständen hätte sie wahrscheinlich geheult, bis ihr die Kraft ausging und dann weitergeschlafen, aber etwas hielt sie auf, bevor sie in Selbstmitleid verfallen konnte: Eine volle Blase.

Stöhnend rollte sie sich deshalb auf, rieb die Stelle, wo ihr BH sie drückte und wankte gekleidet in ihren Umhang in den Hauptraum, drehte ab und kämpfte einige Augenblicke mit dem schweren Eingangstor, bevor sie nach draußen schlurfte. Dort erst wurde sie vom kalten Wind und den hellen Strahlen der Sonne genug geweckt, um sich klar zu machen, dass ihr instinktiver Bewegungsdrang darin resultieren sollte, dass sie sich ins Gras hockte und...

... Ja...

Nein.

Sie drapierte den Umhang – der übrigens mal blau oder violett gewesen war und nun... nicht mehr – neu um ihren Körper und sah sich um. Im ersten Morgenlicht wirkten die Gebäude nicht mehr so gruselig. Und keins von ihnen sah aus wie ein Wohnhaus mit funktionierender Toilette. Stattdessen sah sie ein Hexenhaus mit einem riesigen zugenagelten Fenster, eine Scheune oder Stall, eine Windmühle, eine verfallene Ruine aus Stein und ein Häuschen mit einem Holzschuppen. Alle waren in einem Kreis ausgerichtet mit einem gewissen Abstand dazwischen, wo Büsche mit verschiedenen Blüten sich angesiedelt hatten.

Es war schö... Nun, es hatte einen gewissen mittelalterlichen Charme. Auch wenn das Dorfzentrum – oder was auch immer dies darstellte – sehr verfallen war.

Iva ließ sich nicht lange mit der Betrachtung der Gemäuer ablenken, sondern umrundete das Langhaus auf der Suche nach einer Toilette. Doch es gab keine zweite, hintere Häuserreihe mit funktionierenden Abwasserleitungen. Stattdessen stand sie vor einem Stück Wiese, das auf einer Klippe endete.

Rechts von ihr schmiegte sich die Mühle eng an die Klippe und die gebrochenen Windräder zuckten traurig im Aufwind. Links von ihr war mehr Wiese zwischen Klippe und Langhaus zu sehen und mitten drin stand ein glorreiches, wundervolles... Scheißhaus. Aus Holz. Mit einem abgewinkelten Flachdach. Und einem originalen herzförmig ausgeschnittenen Loch in der Tür.

„Ob da drin ein Märchenbuch liegt aus dem Seiten fehlen?", lachte Iva und eilte über den taubedeckten Rasen, riss die Tür auf und...

„Oh! Sorry!"

...schmiss sie wieder zu.

„Ich wusste nicht, dass besetzt war! Tut mir leid, dass..." Erst dann fingen Ivas Synapsen an zu feuern und sie verstummte. Sie wollte sich gerade umdrehen, um zu fliehen, als die Tür auch schon wieder aufflog und etwas – jemand Großes sich aus dem Eingang herausfaltete.

Er sah aus wie ein Dämon. Wie eine Mischung aus Hellboy aus den Comics oder Satan von South Park. Nur abgemagert. Ivas Augen huschten über die Gestalt. Lederstiefel, feste Stoffhose – keine Ziegenbeine, soweit sie erkennen konnte und kein Schwanz – ein massiver, wenn auch eingefallener Oberkörper unter einem langarmigen Hemd mit zahlreichen Gürteln um seine Brust geschnallt, muskulöse Arme, hageres Gesicht mit eingefallenen Wangen. Tief geformte Falten über seinen Augenbrauen, runde Ohren, in wilden Zöpfen geflochtene Haare mit Perlen-, Federn und kleinen Knochen als Schmuck. Und zwei kleine, schwarze Hörner knapp unter dem Haaransatz auf seiner Stirn.

Und roter Haut.

Nicht die Art von Sonnenbrand-Rot, sondern rot-rot. Feuerwehrwagen-Rot.

Eine seltsame Ruhe ging durch Ivas Glieder. Nicht die Art von Ruhe, die Entspannung signalisierte, sondern eine Weichheit in den Muskeln, die das Blut schneller pulsieren ließ, damit sie beweglicher war. Schneller.

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