3 - Abstürze in der Wüste

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»Alkohol kann dich impotent machen, was wird dann aus deinen Söhnen, die du Bilbo und Frodo nennen wolltest? Äh... und durch zu viel Alkohol bekommst du einen Bierbauch. Ich glaube nicht, dass Ana so einen besonders attraktiv fände. Außerdem können Krebserkrank- sag mal, hörst du mir eigentlich zu?!«

Ich nicke brav, sage »Jaja, natürlich« und fahre damit fort die Eiswürfel aus der Form zu quetschen. Maike quittiert das mit einem Schnauben und gibt zurück: »Du weißt schon, dass ›Jaja‹ gleichbedeutend mit ›Leck mich am Arsch‹ ist?«

In der hellgrünen Schale vor mir liegen schon vier Eiswürfel, der fünfte will nicht aus seiner Form rauskommen, egal wie sehr ich mich bemühe.

»Ich gehe mal davon aus, dass du mit den Eiswürfeln keinen Cocktail für mich machst, mit dem du dich für meine Fürsorglichkeit und meinen guten Willen bedankst?« fragt Maike und ich höre die Resignation in ihrer Stimme mitklingen. Ich gebe mich schließlich mit fünf Würfeln zufrieden und lege die Eiswürfel-selber-machen-aber-nichts-rausbekomm-verdammte-Scheiße-Form wieder in unsere Kühltruhe zurück.

»Da gehst du richtig von aus« stimme ich ihr zu und schlendere grinsend aus der Küche. Maike rauscht an mir vorbei zu ihrer Zimmertür, dabei schimpft sie »Jungs sind so behindert« und ihre langen dunkelblonden Haare mit den blauen Spitzen wehen mir ins Gesicht. Autsch. 

Das Knallen ihrer Zimmertür begleitet mich, als ich den Flur entlang schleiche. Raphas Zimmertür steht einen Spalt weit offen und ich erkenne, wie er sich gerade ein Sportshirt überstreift und es warum auch immer (zumindest nicht aus stylischen Gründen) in seine Jogginghose stopft. Es ist die perfekte Gelegenheit. Leise schlüpfe ich in sein Zimmer und mit einer raschen Handbewegung ziehe ich sein Shirt am Nacken nach hinten, um drei Eiswürfel hineinfallen zu lassen.

»Waah!« erschrickt Rapha sich und fängt an panisch mit seinen Händen an seinem Shirt herumzuziehen. Von dem Lärm angelockt kommt Phips aus seinem gegenüberliegenden Zimmer herein und gleich darauf hat er die restlichen zwei Eiswürfel im T-Shirt. Und so stehe ich an 'nem Samstagmittag nur in Boxershorts und T-Shirt laut lachend neben meinen beiden Mitbewohnern, die mit an traditionelle Tänze von Ureinwohnern erinnernden Bewegungen versuchen, dem eiskalten Grauen zu entkommen. Das hört sich gut an, stelle ich fest. Ich sollte es gleich auf meine Bewerbung schreiben.

Rapha funkelt mich aus seinen hellgrünen Augen wütend an und Phips, der seine Eiswürfel wesentlich einfacher losgeworden ist, beschwert sich: »Ey, was soll das?«

Ich zucke mit den Schultern und ziehe an einer imaginären Zigarre. »Mal überlegen... Wart das nicht gestern ihr, Lord Raphaël und Mister Phil Krantz, mit dem Duschüberfall? So, das war meine Rache. Auf Wiedersehen und einen schönen Samstag wünscht Nikthe fucking Capone den Herren noch.«

Ich zücke einen ebenfalls nicht vorhandenen Hut und verbeuge mich. Dann schreite ich grinsend an meinen blödguckenden Deppen durch die Tür und über einen weiteren fiktiven roten Teppich in mein Zimmer. Bei alledem was ich nicht habe und trotzdem benutze, könnte ich glatt der König aus diesem einen Märchen sein. Wie hieß das noch gleich? Ich schnappe mir mein Handy und suche nach „König ohne Kleider".

Dabei fällt mir auf, dass ich selber ein König ohne Hosen bin. Darum wühle ich in meiner Kommode nach einer kurzen Hose und werde mit einer knielangen, hellblauen Jeans fündig. Google hat derweil das Märchen gefunden. Ach ja, stimmt. „Des Kaisers neue Kleider" von Hans Christian Andersen. Neben einem Wikipedia-Artikel und einer Buchvorschau werden mir auch mehrere YouTube-Videos angeboten.

Langsam wandert mein Blick zu meinem Schreibtisch, auf dem sich meine Bücher stapeln. Eigentlich wollte ich heute noch lernen, aber es reicht ja auch, wenn ich später anfange. Ohne schlechtes Gewissen werfe ich mich auf mein Bett und öffne das animierte Kindervideo. Und wie es immer so ist, falle ich in die endlose Spirale der YouTube Videos. Nebenbei beziehe ich mein Bett mit einem neuen Laken, verheddere mich in meinem Bettbezug und ziehe einen neuen mit schwarzweißem Karomuster auf. Ein Video führt zum nächsten und ehe ich mich versehe, ist es auch schon dunkel draußen. Haha nein, ist nur ein Scherz. Es ist Sommer und es ist meistens noch endlos lange hell draußen. Trotzdem erstaunt mich die Tatsache, dass jetzt, um sechs, im Winter schon längst die Sonne untergegangen wäre. Und das nur dank der Zeitumstellung. Klick, das nächste Video, diesmal eine Doku über Absturznächte und wie schädlich sie sind.

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