8 - gute Bierdeen

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Ich sitze faul auf dem Balkon, esse Erdbeeren mit Sahne, summe die Melodie von ›Probier's mal mit Gemütlichkeit‹ und überfliege die Mitschriften vom Freitag, die Janko mir nach der Vorlesung in die Hand gedrückt hat, als auf einmal aus dem Fenster nebenan Beethovens Neunte gespielt wird. In Gedanken laufe ich einmal vom Balkon durch das Wohnzimmer und durch den Flur zum Zimmer nebenan, um mich daran zu erinnern, wer darin wohnt. Es ist das Zimmer von Phips. Logisch, wer sonst aus der WG würde klassische Musik auf voller Lautstärke pumpen?

Ich versuche mich von meinem Stuhl so über die Brüstung zu lehnen, dass ich in Phips Zimmer sehen kann, aber die Vorhänge sind wieder zugezogen. Ich schüttle befremdet den Kopf und schaue abwechselnd auf Timos Mitschriften, die Sahne-Erdbeeren und auf das Fenster von Phips. Die Mitschriften kann ich auch noch später lesen, die Erdbeeren mit Sahne kann ich mit Phips zusammen essen. Ich entscheide mich zugunsten der zwischenmenschlichen und sozialen Beziehungspflege, denn schließlich ist, wie meine Mama immer so schön sagt, Schule nur das halbe Leben.

In der Küche rühre ich eine noch größere Schale mit geviertelten Erdbeeren und Sahne zusammen, pflücke Minzblätter zur Dekoration und fülle zwei große Biergläser mit Gin Tonic aus dem Tiefkühlfach. Das alles drapiere ich nebst zwei Schüsseln und Löffeln auf einem Tablett und bugsiere es in Phips Zimmer, was sich trotz ordentlicherem Boden durch den abgedunkelten Raum als Schwierigkeit herausstellt und fast in einer Kollision mit dem Schrank endet.

»Niki? Bist du das?« höre ich Phips müde Stimme. Soweit ich im Dämmerlicht erkennen kann, hat er seinen Laptop nicht wieder vom Schreibtisch genommen, wo ich ihn gestern hingestellt hatte. Stattdessen liegt er auf dem Rücken in seinem Bett und starrt an die Decke.

»Jap. Ich habe Erdbeeren mit Sahne und Gin Tonic dabei. Magst du mal die Vorhänge aufmachen?« fordere ich ihn auf, damit er sich mal ein bisschen bewegt und stelle das Tablett auf die Kommode. Widerstandslos folgt Phips meiner Aufforderung. Ich setzte mich auf sein Bett und als er sich neben mich plumpsen lässt, drücke ich ihm seine Schale mit Erdbeeren und einen Löffel in die Hand.

Schweigend essen wir vor uns hin und ich warte darauf, dass Phips anfängt zu sprechen. Ich lasse meinen Blick durch das nun erhellte Zimmer schweifen und entdecke im Mülleimer unter dem Schreibtisch das Exemplar der limitierten und wunderschön neuillustrierten Auflage von ›Romeo und Julia‹, eines von Phips Lieblingsbüchern. Es ist zerknickt.

Erschrocken springe ich auf, um es schnell noch zu retten. Wenn man ein paar dicke Bücher drauflegt, dann geht der Knick vielleicht noch raus.

»Was ist denn damit passiert?« hake ich nach. Phips sieht nur kurz verächtig auf und widmet sich dann wieder seinen Erdbeeren.

»Ist absoluter Schrott. Wahre Liebe existiert nicht.«

Ein wenig geschockt starre ich auf Phips Ex-Lieblingsbuch und kann nicht fassen, was er da gerade gesagt hat. Noch vor kurzem durfte ich es nicht mal anfassen, weil es sein großer Schatz war. Und jetzt schmeißt er es einfach in die Tonne, nur weil irgendein Mädel ihm gesagt hatte, er sei nicht gut genug?

Weil ich mir sicher bin, dass er mir später dafür danken wird, packe ich das Buch kurz entschlossen unter seinen mächtigen Geschichtsatlas und stelle zur Sicherheit noch einen Schwung Bücher aus seinem Regal oben drauf.

Dann warte ich weiter darauf, dass er seine Gedanken auspackt und ich seine Selbstzweifel wieder dahin schicken kann, wo sie hergekommen sind. Sich so fertig zu machen, hat er nämlich gar nicht nötig. Sicher, er ist ein bisschen pummelig, seine Frisur ist unspektakulär und die große Nase Geschmackssache, aber im Grunde geht es doch nicht darum.

Weil Phips schweigt und schweigt, ergreife ich irgendwann einfach Eigeninitiative.

»Was beschäftigt dich noch?«

positive, reckless & late [very, very slow updates]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt