9 - Nanu, hier ist es voll, Nana

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Meine To-Do-List für den nächsten Tag- einem ebenso hochsommerlichen Dienstag-, hatte mich nicht davon abgehalten, direkt nach der Uni das zu tun, was ich mir die ganze Zeit gewünscht hatte, als ich müde und gähnend in der Vorlesung gesessen und alles außer dem, was vorne an der Wand stand, in meinen Block gekritzelt hatte.

In mein Bett fallen und wie ein Stein den gesamten Nachmittag zu verschlafen.

Als ich um Viertel nach Sieben ausgeruht mein Bett verlasse, steht mir das meiste von der Liste also noch bevor. Naja, außer dem Gespräch mit Martha, das geht schließlich nur in der Uni. Aber ich wollte ja auch noch ein Gespräch mit Maike führen, deswegen beschließe ich sie suchen zu gehen. Die höchste Wahrscheinlichkeit meine Mitbewohnerin zu finden ist natürlich erstmal ihr Zimmer. Ich klopfe an ihre Zimmertür, an der eine Menge Postkarten und Aufkleber hängen. Die meisten davon sind mit irgendwelchen Sprüchen versehen, manchmal auch solche Standards wie ›Rettet die Erde, sie ist der einzige Planet mit Schokolade!‹ Ich schmunzle.

Da Maike mich entweder nicht hört, weil sie ihre Kopfhörer auf hat, oder mich schlichtweg einfach ignoriert, drücke ich die Tür auf und stehe vor eine Überraschung. Das Zimmer ist leer. Zumindest leer von Maike. Ansonsten ist ihr Zimmer nämlich eher voll. Nicht diese chaotische Art von unaufgeräumt voll, dass es aussieht als hätte eine Bombe eingeschlagen, sondern mehr so, als hätte Nanu Nana hier eine Filiale aufgemacht. Am besten gefallen mir Maikes Möbel, die knallbunt sind. Bei einem ihrer Regale hat jedes Brett eine andere Farbe bekommen, in der Farbfolge des Regenbogens. Die Wände sind vollgehängt mit Plakaten- die meisten von Nirvana, wobei da auch Schallplatten dazwischen sind-, Polaroids, zu kleinen Regalen umfunktionierte Holzkisten, ein Spiegel, Girlanden, ein Hirschkopf aus Papier, eine Wandleuchte in Form einer Gitarre und eine in Form eines Totenkopfes, eine Pinnwand, eine Lochwand und ein paar Pflänzchen, die aussehen, als würden sie mal wieder Wasser vertragen.

Bevor ich überhaupt einen Fuß in Maikes Reich setzen kann, höre ich sie meinen Namen rufen. Ich drehe mich erstaunt um und sehe, wie Maike aus dem Bad gestürmt kommt, einen Bademantel um den Körper gewickelt und einen rauchenden Fön in der Hand.

»Niklas!« sagt sie nochmal und wirft mir einen warnenden Blick zu, der wohl meinem Vorhaben, ihr Zimmer zu betreten, gilt. Dann fällt ihr Blick auf den rauchenden Fön und Verzweiflung macht sie auf ihrem Gesicht breit.

»Ich war gerade duschen und wollte mir danach die Haare föhnen und auf einmal gab es einen Knall und der Fön ging nicht mehr. Ich hab schon richtig oft versucht den Fön wieder anzuschalten, aber er ist wohl kaputt gegangen. Kann ich mir deinen ausleihen?«

Überlegend lege ich den Kopf schief, betrachte Maikes halbnassen Haare und ihren flehenden Blick. Dann lache ich. »Du dachtest doch nicht wirklich, ich würde dir dass nicht erlauben?!«

Maike grinst dankbar und will sich schon umdrehen, aber ich halte sie am Ärmel fest.

»Aber... damit du in Zukunft nicht immer meinen benutzen musst, wäre es doch einfacher, wenn du mich direkt nach einem neuen fragst.«

Maike schießt die Röte ins Gesicht und sie senkt ertappt den Blick.

»Also?« hake ich nach.

»Na guuut, wenn du meinst«, tut sie ergeben. »Lieber Niklas, könntest du mir bitte einen neuen Fön besorgen?«

»Liebe Maike, das könnte ich wirklich, allerdings möchte ich im Austausch dafür alles von deinem Date gestern Abend erfahren.«

Sie sieht mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank und als sie bemerkt, dass ich keinen Witz mache, boxt sie mir erst gegen die Schulter, verschränkt dann die Arme und murrt: »Ey, Männer sollten kein Interesse an Klatsch und Tratsch haben. Müsste dich das nicht total abschrecken oder wurden bei dir irgendwelche Synapsen falsch verkabelt?!«

Scharf ziehe ich Luft ein, lege mir in gespielter Empörtheit die Hand auf die Brust und tadele sie: »Ach ja? Du als Frau darfst ja eigentlich auch nicht deine Fingernägel kurz haben und... als Lesbe keine langen Haare haben!«

Damit kriege ich sie, denn sie kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Siegessicher werfe ich ihr einen Blick zu, sie seufzt und meint: »Okay, meinetwegen. Ich muss noch meine Haare föhnen, dann erzähl ich dir alles, einverstanden?«

Als Antwort zeige ich ihr meine nach oben gereckten Daumen und grinse fröhlich. Bevor sie wieder im Bad verschwindet, dreht sie sich nochmal um.

»Vergiss meinen neuen Föhn nicht!«

Es ist schon nach Acht, als Maike endlich in der Küche auftaucht. Unbegreiflich, wie lange sie dafür braucht, nur ihre Haare trocken zu bekommen.

»Was ist das denn?!«

Verwirrt folge ich ihrem Finger, der auf meine Marmeladentoast deutet.

»Äh, ja, was? Ich hab Toast gemacht.«

Maike schüttelt den Kopf. »Marmeladentoast zum Abendbrot. Willst du mich eigentlich verarschen.«

Es ist keine Frage, also antworte ich nicht, und Maike wartet auch nicht darauf. Sie stellt Käse, Butter und Schwarzbrot auf den Tisch, schneidet sich eine Scheibe von dem Brot ab und belegt es mit Käse. Ich beobachte sie dabei, während ich meine süßen Toasts verschlinge.

Ja, gut, ich weiß, dass es nicht sonderlich gesund ist. Aber mal ehrlich, wer mag schon dieses komische, körnige Schwarzbrot? Ich liebe Toasts und deswegen esse ich sie auch zum Abendessen. Wie heißt es so schön? Essen und essen lassen.

Obwohl essen lassen sich so anhört, als wenn man sich vor einer Gruppe Kannibalen extra noch mit Salz und Pfeffer bestreut, damit man erst recht gegessen wird und das...

»Also Niklas«, beginnt Maike und unterbricht mich darin, gedankenverloren in die Ferne zu starren und mir den Toast gegen die Lippe zu ditschen. Schnell lecke ich mir die Marmelade von den Lippen und sehe zu Maike.

»Jaaaa?« frage ich erwartungsvoll nach. »Wie heißt sie? Was habt ihr gemacht? Wie alt ist sie eigentlich? Und wie sieht sie überhaupt aus?«

»Sie heißt Jennifer, wir waren zusammen was Essen und ich hab keine Ahnung, wie alt sie ist.«

»Och Maikiii!« unterbreche ich sie.

»Man, Niklas«, stöhnt sie. »Sie ist in meinem Alter. Ich angele mir schon keine Hauptschülerin, keine Sorge.«

Aber ich bin mit meinen Gedanken schon viel weiter und will wissen, wie sie aussieht. Maike zeigt mir ein Foto und erzählt ein wenig von ihrem Treffen, bis ihr auffällt, dass sie ihre Hausarbeit morgen abgeben und sie diese nochmal auf Fehler korrigieren muss. Schneller als ich meinen fünften Toast essen kann, ist sie verschwunden.

Aber das ist nicht weiter schlimm, denn so hab ich Zeit meine Mama anzurufen.

»Niklas? Das ist ja schön, dass du anrufst!«

»Ja, ich wollte fragen, ob ich nicht mal in den nächsten Tagen zum Essen vorbeikommen kann«, schlage ich vor und stelle mich in meinem Zimmer ans Fenster.

»Natürlich, keine Frage! Weißt du was, bring mir deine dreckige Wäsche einfach mit und ich werfe direkt die Maschine an, dann kannst du danach deine saubere Wäsche mitnehmen.«

»Großartig«, sage ich und beobachte, wie zwei Typen versuchen eine Kommode in ihrem Auto zu verstauen. »Hat Papa auch Zeit?«

»Ach, diese Woche sind wir viel verabredet, aber am Samstag ginge. Oder nächste Woche Dienstag?«

»Samstag ist super«, beschließe ich und beende das Gespräch mit Mama nach ein wenig belanglosem Smalltalk zur selben Zeit, in der es die beiden Typen endlich schaffen, die Kofferraumklappe zu schließen

Ich klatsche Beifall und nachdem sie mich auf dem Balkon entdeckt haben, verbeugen sie sich.

Zugegebenermaßen wäre ich den Rest des Abends gerne genauso produktiv gewesen wie Maike, aber schlussendlich habe ich den Abend damit verbracht, musikhörend in der Galerie meines Handys zu stöbern und das ein oder andere Foto zu löschen. Erst wollte ich nur nach einem wichtigen Screenshot suchen, aber dann war auf einmal eine Stunde vorüber. Naja, mit meiner Galerie verhält es sich eben so, wie mit Maikes Zimmer und meinem Zustand nach exzessiven Alkoholkonsum- sie ist einfach voll.

positive, reckless & late [very, very slow updates]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt