Wie jeden Sonntag bin ich heute mit Matteo, Bojan und Janko im Park verabredet. Und wie jeden Sonntag bin ich jetzt definitiv schon zu spät dran. Laut Wetterbericht hat es sich ein wenig abgekühlt, darum habe ich diesmal eine Jacke dabei, als ich die Treppen herunter hüpfe. Es ist ein altes Treppenhaus- wir leben schließlich auch in einem Altbau-, die Streben des Treppengeländers sind schön geschnitzt, der Handlauf ist glatt, abgerundet und führt durchgängig um jede Kurve. Ob ich wohl darauf rutschen könnte? Ich beschließe es auszuprobieren, doch in dem Moment als ich an ihr vorbeilaufe, öffnet sich die Tür im ersten Stock.
Die alte Frau Distel wirft mir schon beim Abschließen einen finsteren Blick zu. Sie kann mich gar nicht leiden und würde mich bestimmt bei der Hausmeisterin verpetzen, wenn ich jetzt anfangen würde auf dem Geländer zu rutschen. Frau Distel ist klein, schrumpelig und immer die erste, die uns die Polizei wegen Ruhestörung auf den Hals hetzt, wenn wir in der WG eine Party feiern. Maike bringt ihr dann immer Blumen und Selbstgebackenes als Entschuldigung vorbei, deswegen kann Frau Distel Maike noch am ehesten leiden. Ich lächle ihr charmant zu und lasse ihr den Vortritt bei der Treppe. Und das, obwohl ich schon so spät dran bin.
Frau Distel scheint meine Eile zu bemerken und läuft absichtlich langsam. Es fühlt sich wie Ewigkeiten an, bis sie endlich den Weg freigibt, ich ihr noch zuvorkommend die Tür aufhalten, über den Innenhof zum Durchgang und auf die Straße sprinten kann.
Exakt eineinhalb Minuten später komme ich an unserem kleinen Park an, er ist mehrere Ecken entfernt in unserem Kiez nicht nur für uns ein beliebter Treffpunkt. In der Nähe gibt es lauter kleine Bars und Cafés, perfekt also, wenn das Wetter tatsächlich noch umschlagen sollte. Gerade scheint es aber nicht so, strahlend blauer Himmel und keine einzige Wolke zu sehen. Wenn wir Glück haben bleibt das so, aber ich hätte auch nichts dagegen irgendwo rein zugehen. Vor allem, weil ich echt mordsmäßigen Durst habe.
Schon von weitem sehe ich die Jungs auf einer Parkbank und zum Teil auch auf dem Boden davor sitzen. Neben den dunklen, kurzen Haaren meiner Freunde erkenne ich sofort auch noch die blonden, langen Haare von Esme, Matteos Freundin. Sofort muss ich an Asche denken und habe den Geruch von Lagerfeuer in der Nase. Kein Wunder, den Gedanken hat Esme mir schließlich regelrecht eingesetzt. Hellaschblond, dunkelaschblond, hellaschbraun, mittelarsch- äh... aschblond. Ich hab zwar keine Ahnung welche genaue Farbe sie jetzt hat- unabhängig davon interessiert es mich auch nicht wirklich-, aber ich weiß, dass sich ihre langen Fingernägel in circa zehn Sekunden bei einer Umarmung in meine Oberarme bohren werden. Sie hat mich als erstes bemerkt, winkt überschwänglich und kommt mir langsam entgegen.
»Hallo Niklas!« begrüßt sie mich mit ihrer angenehm tiefklingenden und melodischen Stimme, die mich jedes mal wieder überrascht. Positiv natürlich, denn wer will denn schon einem kreischenden Feuermelder zuhören, wie er über Haarfarbentöne spricht?
»Hey Esme, was geht?« frage ich, grinse breit und begleite sie zu den anderen. Dabei fällt mir ein mir fremdes Mädchen mit auf, das mir bereits in der nächsten Sekunde von Esme vorgestellt wird.
»Das hier ist Martha, meine beste Freundin. Ich dachte, es wäre cool, wenn ihr sie mal kennenlernt.« Ich nicke Martha freundlich zu und sie lächelt verlegen.
»Jooo, Niklas!« ruft Matteo begeistert und wir geben uns eine Ghettofaust. Bojan und Janko stehen beinahe synchron vom Boden auf, pflücken sich lässig die Zigaretten aus dem Mund und ziehen mich nacheinander an sich, um mir mit ihrer Hand auf den Rücken zu klopfen. Selbstverständlich erwidere ich die Begrüßungsgeste, wobei ich die Luft anhalte, um so wenig Zigarettenrauch wie möglich einzuatmen. Jemand tippt mir auf die Schulter. Als ich nicht sofort reagiere, packt Janko mich an den Schultern und dreht mich um. Vor mir steht Martha, sie hat die Arme ausgebreitet und ich könnte mir selbst den Kopf einschlagen. Wie unhöflich bin ich denn bitte?
Ich nehme sie in die Arme und drücke sie- wie zu einer Entschuldigung- besonders fest. Sie keucht erschrocken und auch bei ihrer im Gegensatz sehr schwachen Umarmung, beschleicht mich der Verdacht, dass ich sie ein wenig überrumpelt habe. Schnell stelle ich sie wieder auf die Füße- sie ist kleiner als ich und ich habe sie in meinem Schwung doch glatt von den Füßen gehoben- und fasse mir etwas unsicher an den Nacken.
»Jaja, unser Niklas ist schon ziemlich stürmisch, aber er will wirklich niemandem was böses«, erklärt Esme ihrer Freundin und nimmt danach einen langen, schlürfenden Schluck von ihrer Rhabarber-Schorle.
»Genau, uhm... sorry, falls ich dir wehgetan habe. Ich lad dich dafür auch auf einen Kakao ein, okay?« entschuldige ich mich zerknirscht. Sie winkt nur ab, lächelt wieder ein wenig peinlich berührt und schaut mich mit so 'nem ganz komischen Ausdruck in den Augen an. Bojans Gedanken kann ich mir per angucken dagegen leicht denken: »Direkt verschissen?« Ich zucke nur grinsend mit den Schultern und der Serbe lacht kratzig.
Janko nimmt mich kurz zur Seite und fragt nach Mittschriften vom Freitag. Er studiert so wie ich BWL, während Bojan bei der DB eine Ausbildung zum Lokführer macht. Ich lache und frage ihn, ob er ernsthaft denkt, dass ausgerechnet ich die Mittschriften hätte.
»Tja«, macht Janko nur. »Da ham' wa' wohl een Problem.«
Er will sich wieder wegdrehen, als ich widerspreche: »Ne. Kein Problem. Wir fragen morgen einfach Timo. Der kann uns bestimmt seine geben.«
Janko nickt zustimmend und wir bekommen vom Gespräch der anderen gerade noch mit, dass es angeblich schneller und viel praktischer ist, seine Nudeln in der Pfanne zu kochen. Während unseres Gesprächs verfallen Bojan und Janko immer wieder ins berlinerische. Sie sind beide ziemlich gut darin. Logisch, schließlich sind sie hier aufgewachsen und haben es so gelernt. Gleichzeitig können sie aber auch noch serbisch. Sie benutzen es, wenn sie sich untereinander „beraten". So nennen sie es zumindest, aber jeder weiß, dass sich die Zwillinge dann eigentlich zoffen.
Während ich dem lockeren Gespräch meiner Freunde zuhöre, bemerke ich zwei Dinge. Erstens, dass ich sonst fast nie nur still daneben sitze, aber zu Haushalttipps- und Tricks kann ich nun wirklich nichts sinnvolles beisteuern, und zweitens, dass Martha, die sich auch nur wenig am Gespräch beteiligt, mich ihrerseits betrachtet. Als sich unsere Blicke treffen, schaut sie schnell weg. Oh shit, ich hab's mit ihr anscheinend echt vermasselt und jetzt hält sie mich für einen beschränkten, rüpelhaften Trottel. Oder für ein Backfeifenjesicht, wie Bojan sagen würde. Jemandem, dem man eine Backpfeife geben will eben.
Aber ich bin noch nicht bereit aufzugeben, ich werde sie dazu bringen mich zu mögen. Also springe ich auf und verkünde, dass mein Durst unaushaltbar sei und ich mir unbedingt im Summersmash einen eisgekühlten Mango-Lassi holen muss. Ohne weiter auf mich einzugehen, quatschen die Jungs weiter- nur Esme bestellt sich bei mir eine neue Rhabarber-Schorle und drückt mir ihre leere Flasche in die Hand. Bevor ich mich allerdings auf den Weg begebe, spreche ich Martha direkt an und halte ihr meine Hand hin. »Kommst du mir? Ich hab dir doch noch einen Kakao versprochen.«
Martha ist sichtlich überfordert, stammelt »Ja, nein, äh... Was?!« und sieht nicht gerade aus, als würde sie sich in den nächsten Sekunden entscheiden könnte. Entschlossen greife ich nach ihrem Handgelenk und ziehe sie hoch. »Okay, cool, dass du mitkommst.«
Während wir gehen, mache einen kurzen Rundumblick über die Schulter zu meinen Freunden. Matteo, wie er wild gestikulierend einen Badezimmer-Lifehack verteidigt: Zahnpasta in einem alten Seifenspender, Esme lacht und wuschelt ihm durch die Haare (aka sie zerstört seine Frisur), Janko, wie er mit geschlossenen Augen die Sonne genießt und trotzdem mitredet und Bojan, der sich die nächste Zigarette anzündet. Dann sehe ich zu Martha, die mich ansieht, schmunzelt und feststellt: »Es ist viel zu warm für Kakao.«
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positive, reckless & late [very, very slow updates]
Teen FictionNiklas ist ein Sunnyboy und Optimist. Warum auch nicht? Er hat schließlich keine Probleme. (Nicht mal mit Pickeln!) Dafür haben seine Freunde nicht gerade wenige Probleme, aber die löst Niklas im Handumdrehen. Er ist kerngesund, attraktiv und charm...