Kapitel 6

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Casey schreckte hoch.

Sie hatte von ihrer Nanny geträumt. Es war eigentlich ein schöner Traum gewesen, bis ihre Eltern aufgetaucht waren, und Rose mit sich zogen. Casey schrie und wehrte sich, aber sie nahmen sie unaufhaltsam mit sich, zogen sie in einen langen Leichenwagen und fuhren weg. Dann, auf ein Mal, waren überall um Casey ihre alten Klassenkameradinnen erschienen. Sie hatten lachend auf sie gezeigt und immer Burger-Mädchen gerufen. Zu diesem Spitznamen war sie natürlich auch nur dank ihrer Eltern gekommen. Ihre Eltern hatten ja keine Ahnung, wie sehr Casey gelitten hatte. Weil es sie nie interessiert hatte. Rose hatte es interessiert. Sie hatte Casey getröstet, als sie mit kaputten und zerrissenen Heften nach Hause gekommen war. Sie hatte sie jeden Tag ermutigt, wieder hin zu gehen, und sie war es gewesen, die sich dafür eingesetzt hatte, dass nach der Grundschule zuhause unterrichtet worden war. Und dann war sie gestorben. Seit dem war sie alleine gewesen.

Sie richtete sich auf und sah auf die Digitaluhr, die neben der Tür auf einem Tisch stand.

Sie brauchte ein paar Sekunden, um die Zahlen zu erkennen, weil ihr verletztes Auge ihr wieder zu schaffen machte.

4:27

Das war entschieden zu früh. Sie wollte wieder schlafen gehen, musste vorher aber dringend etwas trinken gehen.

Als sie aufstand und in dem schwachen Licht der Digitaluhr und des Mondes, der hinter den Vorhängen hervorlugte, sah sie, dass eine leere Matratze neben der von Jake lag.

Sie sah sich die anderen, friedlich schlafenden Jugendlichen an und merkte schnell wer fehlte. Aber was hatte Milos Matratze so nah bei Jake zu suchen? War Jake nicht angeblich ein soo toller Anführer? Dann sollte er sich von so einem asozialen Kiffer doch wohl fernhalten?!

Vorsichtig stieg sie über Jonas und Lucy, die Arm in Arm eingeschlafen waren und ging zur Tür.

Sie ging zur großen Mädchentoilette, die sie sich aber teilten, weil genug Platz war und die Jungen sonst andauernd durchs gesamte Gebäude laufen müssten.

Im Türrahmen blieb sie wie angewurzelt stehen.

Milo stand im Bad. Er hatte kein T-Shirt an.

Auf den ersten Blick hätte Casey gesagt, dass er kein besonders schlechter Anblick war, doch als sie genauer hinsah, entdeckte sie überall auf seinen Schultern und Oberarmen kleine rote Striche.

Sie war mehr als verwirrt. Sie hatte nicht geglaubt dass das mit dem Ritzen wirklich ein Ding war. Und wenn, dann doch bei 13 jährigen Mädchen und sicher nicht bei so einem Typen wie Milo?! Aber das wahren definitiv Narben.

Es war offensichtlich, dass die Striche überall waren, wo man sie unter einem weiten T-Shirt nichtmehr sehen konnte. Auf einmal wurde Casey bewusst, dass sie Milo noch nie in etwas kurzärmligen gesehen hatte.

Casey wusste nicht was sie tun sollte, doch genau dann zog sich Milo einen Pullover über den Kopf und drehte sich um.

Sie war überfordert. So überfordert, dass sie nichts anderes zu tun wusste als gehässig zu lachen.

Sie wollte es nicht. Sie wusste selbst, dass es sie es nicht tun sollte. Es war fast so, als hätte sie sich daran gewöhnt... Dabei wollte sie gar nicht immer nur die gemeine sein.

Trotzdem setzte sie jetzt einen spöttischen Blick auf.

„Mit dem Emo Lifestyle hast du wohl ein bisschen übertrieben, hm?"

Sie wusste nicht mal, was sie damit sagen wollte, aber es kam einfach raus. Milo sah sie kurz an, nickte dann knapp und ruckartig, nahm seine Sachen und ging an ihr vorbei.

Projekt "Neue Welt"Where stories live. Discover now