Mütterliche Augen und ob das etwas gutes ist

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Es war ein seltsames Gefühl meiner Mutter hinterher ins Haus zu gehen und zu bemerken, dass sie noch weniger von der Situation verstand als ich.
"Ja natürlich ist dein Vater da oben Thaila, er ist der Himmel selber. Du verstehst das noch nicht, aber irgendwann wir er es dir erklären. Wasch dir die Hände."
Aber ich war es nicht, die hier nicht verstand. Unbekümmert kridelte meine Mutter an meinen Haaren herum und versuchte sie in eine flache Position zu bringen, während ich mir überlegte wie ich ihr erklären sollte, das mein Vater sich gerade in Luft aufgelöst hatte. Und dass er nicht vorhatte zurück zu kommen.
"Hör schon auf zu weinen Thalia, das war nur ein Gewitter. Als die Tochter deines Vaters darfst du keine Angst davor haben." Ach Mommy, was war sie nur für eine liebreizende Frau... Ich schüttelte den Kopf und wischte mir die Tränen von der Wange. "Dad ist nicht im Himmel. Er ist weg."
"Natürlich ist er das. Er hat gerade gedonnert."
"Mom das war er nicht, das war böse."
"Thalia du dummes Mädchen. Donner ist nicht gut oder böse."
"Aber die Menschen die ihn machen schon." flüsterte ich leise und trat unwohl von einem Bein auf das andere.
"Menschen machen kein Gewitter Thalia, das machen Götter, wie dein Vater. Aber du musst keine Angst davor haben, er beschützt uns." Sie ging vor mir die Knie und strich mir über die Wange. "Hör auf zu weinen Thals, es ist alles gut." Aber ich konnte nicht aufhören. Es war nicht so, dass ich begriff was gerade auf der Terasse geschehen war, aber ich wusste dass es nicht gut war. Und ich wusste das Zeus sicher nicht da war um uns zu beschützen. Das war jetzt... Entsetzen breitete sich in mir aus, als ich begriff. Mich an seine Worte erinnerte. Das war jetzt meine Aufgarbe und ich würde dabei sterben! Schluchzend schlang ich die Arme um den Hals meiner Mutter und dann brach es aus mir herraus: "Er... er ist w...weg! Weg!"
"Shhhh ist ja gut."
"I...ich hab nur gespielt und dann kam er und. Und er hat gesagt, es... es ist mein Schicksaal. Ich, es... es tut mir Leid."
"Thalia, es ist gut. Er wird wieder kommen."
"Ich hätte nicht spielen dürfen, d...deswegen ist er gegangen. Er wollte eine andere Tochter!"
"Thalia, er liebt dich. Und ich liebe dich auch, keiner verlässt dich. Du weist doch wie er ist."
Tatsächlich war Zeus natürlich nicht die letzten vier Jahre bei uns im Haus rumgehangen, aber er kam immer wieder zu uns zurück. Manchmal dauerte es länger, manchmal kürzer. Aber er hinterließ Nachrichten wenn es mehr als ein Monat war und wenn er zurückkam beschenkte er meine Mutter großzügig. Die längste Phase die sie getrennt verbrachten war ein halbes Jahr, als ich gerade drei war. Damals fing meine Mutter das Rauchen an.
Diesmal war es anders, wenn er ging verabschiedete er sich von meiner Mutter.  Nicht von mir. Ich war es auch nicht zu der es ihn immer wieder zurück zog stellte ich eines Tages verbittert fest. Oft wachte ich eines Morgens auf und meine Mutter, lag noch im Bett, mit tiefen Ringen unter den Augen und zerzausten Haaren. Dann zog sie mich an den Armen heran, egal wie sehr ich mich wehrte. Ich hatte Angst vor dieser Frau, die so überhaupt nicht die Mom war die ich kannte, ohne Energie, ohne jegliche Lebensfreude. An den Tagen nach dem Zeus auf den Olymp zurück kehrte und es für länger als zwei Wochen war schlief ich bei ihr im Bett. Keine von uns beiden stand meistens den ganzen Tag über auf und wenn ich es versuchte, dann hielt sie mich zurück. "Bleib bei mir Thals. Bleib da, du riechst wie er." Sie hielt mich ganz fest, roch an meinen Haaren und schaute mir in die Augen. "Du bist wirklich seine Tochter, Thalia. Du bist sein Blut."
Ich kann meiner Mutter vieles vorwerfen. Dass sie dumm war, dass sie gesoffen hatte, dass sie Drogen nahm, dass sie nie da war, dass sie Jason verlor, dass sie ihn lieber mochte als mich, dass sie eine furchtbare Mutter war.
Aber sie hatte mich geliebt. Sie hatte mich wirklich geliebt. Zumindest eine Zeit lang.

"Du bist ja völlig fertig Thals, ich bring dich ins Bett. Na komm." Meine Mutter nahm mich auf den Arm und trug mich die Treppen hinauf, während ich weiter in ihren Hals schluchzte. Sie legte mich in mein Bett und deckte mich zu, wischte mir die Tränen ab und setzte sich neben mich. "So und jetzt noch mal von vorne. Wohin sagst du ist dein Vater hin gegangen?" Langsam beruhigte ich mich etwas  unter der Decke spürte ich wir meine Finger das Holz und das kalte Metall der letzten Geschenke meines Vaters umklammerten. Ich spielte mit dem Gedanken sie ihr zu geben. Der Ring hätte Mum sicher gefallen. Aber dann dachte ich an Zeus Worte: "Mit welcher Waffe in der Hand bist du bereit zu sterben." Ich wollte nicht das meine Mum stirbt. "Er meinte er hoffe das wir uns nie wieder begegnen. Und dass ich jetzt alleine bin und. Und dass ich nicht mehr spielen darf. Mom ich..." Die Worte blieben mir im Hals stecken. Ich suchte, sie versuchte sie heraus zu ziehen aber es gelang nicht. "Er hatte Angst." Versuchte ich es auf andere Art zu beginnen.
"Wovor sollte er Angst haben."
"Ich...ich weiß nicht, aber da war jemand anderes. Da war mehr." Ja ich weiß... da war mehr ist keine wirklich starke Beschreibung, aber selbst Shakespeare hätte es meiner Mutter wohl nicht so schönreden können, dass sie das Verschwinden ihrer großen Liebe hingenommen hätte.
"Mom, er..." der Metallring grub sich scharf und kalt in mein Fleisch. "Er hat nicht vorgehabt zurück zu kommen."
Mom schien offenbar keine Lust mehr zu haben sich das ganze anzuhören. Oder sie bekam Angst,  das ich die Wahrheit sagen würde. Auf jeden Fall stand sie auf und gab mir einen Kuss auf die Stirn. "Wer braucht ihn schon. Ich hab ja dich. Du bist genauso, wie er. Schlaf jetzt Thals und morgen wenn du aufwachst, wir es regnen und stürmen. Ich bitte Dad darum. Dann siehst du dass er noch da ist. Ich hab dich lieb." Mit diesen Worten knipste sie, dass Licht aus und ich lag wach und schaute verstört in den wolkenlosen, windstillen Abendhimmel.
Es war das letzte mal dass meine Mutter mich ins Bett brachte. Hätte ich das gewusst, hätte ich es vielleicht mehr genossen. Hätte ich das gewusst hätte ich vielleicht versucht besser zu erklären warum Zeus verschwunden war, als: Da war mehr.
Ich stelle mir vor dass sie sich an den Küchentisch setzte und über meine Worte nachdachte. Wie sie sie im Kopf hin und her wälzte bis ihr Gehirn wund gescheuert war. Und dann griff sie nach der Zigarettenpackung von vor einem  halben Jahr. Und als die leer war, nach der zweiten. Sie ging auf die Terasse und sprach zu Zeus. Aber die einzige Person die ihr antwortete war wohl eine äußerst erzürnte Hera mit dem wütenden Muhen einer Kuh. So stelle ich es mir zumindest vor. Und als mein Vater nicht kam, setzte sie sich auf die Stufen und versuchte das Gespräch zu rekonstruieren das ich mit Zeus geführt haben musste. Irgendwann stand sie auf und ging neue Zigaretten bei der Tankstelle kaufen und dann setzte sie sich in die Küche schaute aus den Fenster und wartete, das mein Vater wiederkäme. So hatte ich sie zumindest am nächsten morgen gefunden.

Ich machte in dieser Nacht auch kein Auge zu. Kaum das Mom das Zimmer verlassen hatte. Setzte ich mich wieder aufrecht hin und zog Kästchen und Ring unter der Decke hervor. Behutsam legte ich den Armreif auf meinen Nachttisch und begutachte das Holzstück. Es war erstaunlich schwer. In etwa wie, das kennst du gar nicht mehr, nehme ich an, wie so ein altes Nokiahandy.
Als Zeus es aus der Luft griff, oder wie man das nennt, hatte es die Größe eines Sperres gehabt und ich brauchte diesen, wenn ich mich verteidigen wollte. Ich klopfte auf das Holz, schüttelte es und drückte darauf herum. Eine Gebrauchsanweisung wäre hilfreich gewesen. Frustriert wollte ich den Gegenstand schon  durch den Raum schleudern, da fühlte ich eine klein Vertiefung unter meinen Fingern. Die Schachtel war aus zwei Stücken zusammen geschoben. Mit dem Daumen drückte ich die Holzteile auseinander, ganz vorsichtig und langsam... Der Sperr schoss auseinander als das Holz aufschnappte und um ein Haar hätte ich mich beinahe selber durchbohrt. Die Luft roch verbrannt und mein Mund schmeckte eckig. Blaue Blitze jagten den Schafft auf und ab, ich konnte die Ladung in meinen Haaren knistern hören. Ohne es zu wollen, schlich sich ein Grinsen auf mein Gesicht. Das war ein verdammt cooler Stock.
Ich lehnte ihn gegen die Wand und kaum, dass er meine Hand verließ hörte er auf zu knistern. Ich lud den Sperr mit meiner eigenen Energie auf. Dann wand ich mich dem Armreif zu. Wie der funktioniert fand ich sehr schnell raus. Wobei hier eine Warnung ganz nett gewesen wäre. Arglos tippte ich das Metall an und warf es schreiend von mir. Ein Schild war hervorgesurrt. Aber das war nicht das erschreckende, sondern die Frau die mir entgegenschaute. Blankpoliert, dass man sich darin hätte spiegeln können schaute mir anstelle meiner selbst aus der Mitte des Kreises nicht ich selbst sondern eine Fremde entgegen. Den Mund weit aufgerisse, mit blutunterlaufenen, toten, Augen. Aber tote Augen hätten nicht so lebendig seien dürfen. Sie folgten mir genauso wie die Schlangen auf ihrem Kopf. Ich dachte ich könnte sie zischen hören. Panisch tastete ich nach dem Lichtschalter. Aber das machte alles nur noch schlimmer. Jetzt schien mich die Dame auszulachen, laut, schallend und bösartig. Ich griff mir den Sperr und rannte aus dem Zimmer ins Treppenhaus. "Mom!! Mom!Moooom!" Schrie ich. Niemand antwortete. Ich war allein. Alleine im Haus, mit einem Spiegel in dem ein Monster wohnte. Hecktisch rannte ich auf den Hof. Die Nachtluft war schwül und schwer, als wäre Zeus den Tag über sehr zornig gewesen. Suchend blickte ich mich um. Weglaufen war dumm, ich war nicht angegriffen worden, aber zurück ins Haus traute ich mich auch nicht. Und weil ich sonst nicht wusste was ich tun sollte fing ich an zu kämpfen. Manch einer mag sagen ich trainierte. Aber für mich war es nie Training gewesen.  Für mich gab es immer nur Spiel oder Kampf. Ich duckte, schlug, stach und wirbelte herum. Versuchte den viel zu langen Stock unter Kontrolle zu bringen. Als plötzlich Lichter die Einfahrt erhellten. Rasch sprang ich hinter ein Gebüsch und ließ den Sperr los damit er aufhörte zu glühen. Meine Mutter stieg aus dem Auto. Sie prabbelte vor sich hin immer wieder das gleiche, während sie sich eine Zigarette ansteckt. "Gleich trifft mich der Schlag. Oh bitte lass es gewittern. Gleich trifft mich der Schlag." Ich war kurz davor hinter ihr her zu laufen und sie in den Arm zu nehmen. Aber was hätte ich schon ausrichten können. Ich konnte es nicht gewittern lassen. Ich war nicht mein Vater und bald würde meine Mom das auch merken. Ich war einfach nur ein kleines Mädchen das gerade gegen ihren eigenen Schatten verloren hatte.
Als ich mir sicher war, dass genug Zeit vergangen war und meine Mutter im Bett lag, schlich ich zurück ins Haus. Ich war schon fast auf der Treppe als ich eine leise Stimme aus der Küche hörte. "Zeus bist du das? Ich kann spüren dass du das bist." Ein Schauer überlief meinen Rücken. Ein Stuhl bewegte sich. "Geh nicht zu ihr. Lass mich bitte nicht allein." Ich konnte den Rauch riechen. Es war kein schöner Rauch, wie nach einem Strohmschlag. Durch diesen Rauch wurde die Luft schlecht. Ich konnte ihre Tränen hören. "Ich kann sie nicht alleine aufziehen Zeus. Wir gehören zusammen. Wie eine Familie, das hast du versprochen." Aufeinmal dachte ich an die klammen Hände meiner Mom die mich umfassten, die Augen die mich anstierten und in sich aufsaugten. Die erwarteten dass ich ihnen etwas gab, was ich nicht hatte. Und plötzlich kamen mir Medusas Augen gar nicht mehr so furchtbar vor.
Ich eilte die Treppe hoch, verkroch mich verstört in der hintersten Ecke meines Bettes und versuchte verzweifelt einen Gott zu finden, zu dem ich beten konnte.

 The broken trio (Percy Jackson ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt