Kapitel 3

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Die Fabrik war ein düsterer, kalter Ort. Alte, verrostete Förderbrücken belagerten das Betongebäude. Das Dach war kaputt und es gab schon länger keine Fenster mehr. Nur noch ihre leeren Rahmen zeugten davon, dass es einmal welche gegeben hatte. Totenstille legte sich über das Gelände. Die mystische Umgebung ignorierend liefen wir hinein.

„Johannes?!?", riefen wir aus vollem Halse, doch niemand antwortete. Ich rief noch einmal Robert an. „Habt ihr ihn gefunden?", fragte er. „Noch nicht. Gibt es irgendeinen bestimmten Raum hier wo ihr oft wart? Einen Lieblingsplatz?"
„Hmm.. den Haupteingang gerade aus. Bei der zweiten Kreuzung links geht es in eine große Halle. Rechts vom Eingang ist eine Leiter zu einer alten Kontrollplattform. Da waren wir manchmal."
Ich bedankte mich und gab die Informationen weiter. Die Sanitäter folgten uns mit einer Bare die endlosen Gänge entlang.

In der Halle angekommen hielten wir Ausschau nach der Plattform.
Der Ort hatte etwas Magisches. In Mitten der Förderstraßen thronte eine riesige Stahlplattform. Brauner Rost bedeckte ihre Stahlbeine und schenkte dem Gebilde einen majestätischen Anblick. Das musste es sein.
Wir rannten zu dem Kontrollturm, dessen Sprossen zuerst von den Ärzten erklommen wurden. Als ich als letzter oben ankam, schauten sich die anderen ratlos um. Eine Kontrollarmatur stand dicht neben der anderen. Lauter Knöpfe, Schalter und Regler wurden von Zeichen und nicht mehr lesbarer Schrift zugeordnet. Dazwischen waren in jedem Freiraum Kontrollleuchten, deren Licht ich mir gut vorstellen konnte. Es musste sich erhaben angefühlt haben, hier zu arbeiten.

In der Mitte prangte ein faustgroßer, roter Knopf mit Abdeckung. Seine Funktion war selbst nach den vielen Jahren ohne eine Menschenseele, die hier arbeitete, noch klar ersichtlich.
Aber außer uns war niemand hier.

Ein Lichtstrahl blendete mich. Gegenüber von uns, hinter einem Fenster, spiegelte sich die Sonne in einem blanken Gegenstand, der hier offensichtlich nicht hingehört hat. Was ein unglaublicher Zufall!
„Können Sie mich mal hochheben", fragte ich den größeren Polizisten.
„Warum?", fragte dieser.
„Ist nur so ne Vermutung", beschwichtigte ich.
Als ich mich noch weiter nach oben bewegte, erkannte ich, dass jemand im Raum hinter dem Fenster lag.
„Da drüben!" rief ich aufgeregt.
Hastig kletterten wir die Leiter wieder herunter, rannten durch die Halle und endlose Gänge, verliefen uns mehrfach und blieben schließlich vor einer Tür stehen.
„Theoretisch müsste es die sein", stellte einer der Sanitäter mit offensichtlich gutem Orientierungssinn fest.
Er öffnete die Tür.
Als ich das Innere des Raumes sah, brach ich weinend zusammen. Bis dorthin hatte mich das Adrenalin an den Tränen gehindert, aber bei diesem Anblick verlor es schlagartig seine Wirkung.

Es war ein kleiner Büroraum. Schreibtische, Röhrenbildschirme und ein Faxgerät, waren zurückgelassen worden, als dieser Ort verlassen worden war. Gegenüber der Tür unter dem Fenster lag Johannes in einer roten Pfütze. Das Blut am Rand trocknete schon langsam. Er hatte sich die Pulsadern an beiden Handgelenken mehrfach aufgeschnitten. Vor ihm lag neben einer glänzenden Klinge ein Stück Pappe auf dem mit roter Farbe folgende Sätze standen:
Heute ist der Tag gekommen, an dem ich mein beschissenes Leben endgültig beenden werde. Wenn ihr kommt, ist es schon zu spät, weil mich hier niemand finden wird. Wahrscheinlich bemerkt nicht Mal jemand, dass ich nicht da bin. Solange ich bei Bewusstsein bin, schreibe ich diese Nachricht mit meinen eigenen Blut. Ich werde niemanden von euch je vermi
Dann brach der Text ab, nur zwei Schlieren von der Stelle, wo er den nächsten Buchstaben schreiben wollte, war noch zu sehen.

Anscheinend war er mitten im Satz ohnmächtig geworden. Die Sanitäter eilten zu ihm.
Sie verbanden die Wunden und taten all das, was Sanitäter eben machten. Ich bekam das kaum mit.

„Schwacher Puls, geringer Blutdruck", sagte einer von ihnen. „Heißt das, er lebt?", fragte ich rhetorisch.
„Ja, aber er muss sofort ins Krankenhaus."
Ich war ein wenig erleichtert.
Die Polizisten halfen mir hoch, während die Ärzte Johannes auf die Trage legten. Blut suppte durch seinen Verband.
So schnell es ging, liefen wir zum Krankenwagen zurück. Dort angekommen wurde die Trage hineingefahren.
„So, für uns ist der Einsatz hier beendet", sagte einer der Polizisten. Er sagte es so emotionslos, dass es mich nachgerade aggressiv machte. Aber ich schluckte meine Wut herunter und bedankte mich. Irgendwie machte er eben doch nur seinen Job.
„Brauchen sie Hilfe von einem Psychologen?", fragte er mich. Ich hatte diese Frage noch nie verstanden. Kein halbwegs normaler Mensch antwortet auf so etwas „Ja, bitte rufen Sie einen an."

„Nein, das geht schon.", sagte ich stattdessen.
Ich fügte hinzu: „Darf ich mit ins Krankenhaus fahren?"
Einer der Sanitäter antworte: „Von uns aus wäre das okay. Sie müssen wissen ob das gut für Sie ist."
„Für mich nicht, aber ich muss für ihn da sein, wenn er aufwacht."
„Dann steigen Sie bitte ein!"

Auf der zehnminütigen Fahrt ins Krankenhaus sprachen wir nicht viel.
Dort angekommen brach plötzlich Hektik aus. Die Türen wurden aufgerissen, Ärzte riefen sich Daten zu und Johannes wurde schnell durch die Gänge gefahren. Ich hatte das Gefühl nur noch im Weg zu sein und verzog mich schnell.

Es war keine schwierige Operation. Die tieferen Wunden mussten genäht werden und er bekam 2 Blutkonserven in den Kreislauf.

JohannesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt