Kapitel 6

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Einen weiteren Tag später, wieder in Physik, kamen erneut die beiden Psychopathen. Schon wieder in Begleitung der beiden Polizisten. Langsam wurden sie mir wirklich unsympathisch.

Alle vier hatten schon wieder dieses selbstgefällige Grinsen aufgesetzt.

„Hallo Johannes, heute kommst du wirklich mit. Wir lassen uns nicht drei Mal veralbern", sagte einer. Ich hätte gerne irgendwas lustiges wie 'Schlimm genug, dass es zwei Mal klappt', erwidert, aber mein Hals war wie zugeschnürt. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass Johannes wirklich in der Psychiatrie verrotten sollte.

„Ich glaube, das war's", sagte ich traurig und gut hörbar. Gerade noch konnte ich mich daran hindern, meinen Kopf auf Johannes' Schulter zu legen.

Doch Johannes schüttelte das Haupt.

„Wenn ich schon gehen muss, dann nicht ohne ein bisschen Chaos"

Damit sprang er auf und schrie die vier an: „Einen Schritt weiter und hier fliegt alles durch die Gegend!"

Ich hätte das etwas eindrucksvoller formuliert, aber die Nachricht war ja da.

Er fügte hinzu: „Wenn ihr mich in die Psychiatrie bringt, finde ich einen Weg, mich umzubringen!"
Diese Worte legten Stille über den Klassenraum. Keiner wagte es sich zu bewegen. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.

Nach einiger Zeit sagte die Psychologin: „In einer Psychiatrie sind sämtliche Möglichkeiten zum Selbstmord unterbunden." Zu den Polizisten gewandt, meinte sie wie in einem schlechten Krimi: „Schnappt ihn euch!" Das war das Kommando für Johannes, völlig auszurasten.

Die Arbeit der Polizisten war zugegebenermaßen etwas erschwert. Auf ihrem Weg zu Johannes flogen ihnen sämtliche Gegenstände, begleitet von „Nimm das" oder „leck mich" und anderen wenig freundlichen Grüßen um die Ohren. Eine Buch (ich glaube, es war Deutsch), gefolgt von zwei Heftern, die lose Blätter wie Schnee über die Klasse rieseln ließen, flog nur knapp an ihnen vorbei. Auch zwei Vasen, die an der Tafel zerschellten und ihren Inhalt über Wändli entleerten, verfehlten nur knapp. Die ersten drei Stifte hingegen trafen die Polizisten. Wahrscheinlich war Johannes aufgefallen, dass er mit Munition sparsamer umgehen musste.

Ein Füller, der sich beim Aufprall auf die Wampe der Psychologin öffnete, tauchte das weiße Top in einen schönen Blauton. Ein Leimstift ohne Kappe blieb, mit der klebrigen Seite voran, in ihrem Mund stecken, den sie nach dem ersten Angriff noch nicht wieder geschlossen hatte. Ein Tisch und ein Stuhl versperrten schon den Weg der Beamten, als eine weitere Orgie von Heftern und Büchern auf sie niederging. Eine Colaflasche mit Mentos entleerte sich explosiv in den Händen des Psychologen, der sich grade feierte, weil er gefangen hatte. Eine Schere segelte eng an der gegelten Frisur des Polizisten vorbei, aber die darauf folgende Federmappe traf seinen Kopf, was circa 90% der Stifte auf ihn nieder rieseln ließ.

„Kommt Leute, die Chance habt ihr nur einmal!", schrie Johannes. Er verfehlte sein Ziel nicht. Nachdem die Klasse allmählich realisierte, was passierte, und aufgehört hatte, sich über die Absurdität des Geschehens zu wundern, lösten sie sich aus ihrer Schockstarre und begannen ebenfalls, wahllos Gegenstände in Richtung Feind zu schleudern. Als Feind war alles zu definieren, was älter als achtzehn war, oder wahlweise ein persönlicher Gegner des Alltags war. Nur die zwei Schleimer gingen eilig in Deckung. Jemand zog einen Schirm hervor und fühlte sich solange sicher, bis eine fliegende Schere ihn sauber durchschlug. Auch ich Schoss ein paar Papierkugeln ab, sonst war die Munition in meiner Nähe weitestgehend von Johannes verbraucht. Also befasste ich mich mit Lachen.

Johannes. Ich vermisste ihn jetzt schon. Auch wenn er einen coolen Abgang hinlegte, würde er doch gefasst werden. Wie gerne ich ihn wenigstens nochmal umarmen würde... Ich wurde je aus meinen Gedanken gerissen als ein Blindgänger nur knapp mein Ohr verschonte. Dass ich als einer der wenigen noch regelmäßig meinen Kunstbeutel mitbrachte, machte mich zum privilegierten Besitzer einer besonderen Waffe.

Ich schraubte den Deckel des Magenta-Farbtopfes ab und schleuderte beides in Richtung der Psychologin. Die Farbe war gerade genug ausgetrocknet, um sich nicht über die Schüler vor mir zu ergießen, aber den Farbtopf bei Eintreffen in der Hochsteckfrisur zu verlassen. Die anderen 19 Farbtöne verteilte ich so gerecht wie möglich auf die vier Gegner. Leider war gerade der Farbtopf in Cyan, der sein Ziel leider nicht traf, aber stattdessen im Gesicht von Wendti landete besonders ausgetrocknet, sodass er ohne Wirkung von ihrer Wange abprallte. Nach meinem Artilleriefeuer waren die Polizisten in Marineblau, Gelb und anderen wirklich schönen Farben dekoriert. Mit etwas kaufmännischem Geschick hätte man das sicherlich als moderne Kunst versteigern können.

Ihr Pfefferspray hatten die beiden bereits weitestgehend wirkungslos verbraucht. Robert schleuderte eine besonders große Vase gegen die Decke, sodass ein Erdregen in einem Umkreis von 2 Metern auf die Erde ging. Johannes sprang mit Anlauf gegen einen Schrank, der darauf langsam zur Erde ging und seinen Inhalt vorher auf dem Boden verteile und warf eine Vase durch das geschlossene Fenster, welches darauf mit einem schönen Ton in tausende Scherben zerbrach. Die Vase, die den Aufprall überstanden hatte, krachte einige Sekunden später durch die Frontscheibe von Wändlis Auto. Mittlerweile schätzte ich den Sachschaden auf mehrere hundert Euro.

Dann waren die Polizisten bei ihm. „Vergessen Sie nicht was ich gesagt habe. Ich werde eine Möglichkeit finden!" Er wurde in Handschellen abgeführt, ging aber mit erhobenem Kopf und einem breiten Grinsen im Gesicht. Das war mein Johannes! So war er und so wollte ich ihn. Jubelrufe und Applaus begleiteten ihn. Wändli hatte derweil immer noch nicht realisiert, was passiert war. Sie guckte wie ein Karpfen in der Sahara durch die Klasse und versuchte die Haupttäter auszumachen. Sascha sagte: „Rufen sie ruhig weitere Polizei, die haben bestimmt nichts Besseres zu tun als eine ganze Klasse aufs Revier zu bringen. Übrigens, das kaputte Auto da unten ist Ihres!" Alle lachten.
Wändli stürzte zum Fenster. Sie sah aus als würde sie gleich ohnmächtig werden, aber behielt einigermaßen die Kontrolle über sich und sagte: „Wenn hier bei drei nicht alles aufgeräumt ist..." „Dann?", fragte Maik. „Zählt sie bis vier", sagte Moritz. Ich konnte leider nicht mitlachen, weil Johannes, trotz eines tollen Abgangs auf dem Weg in die Anstalt war. Ich verstand auch nicht, wie allen anderen das egal sein kann.

Freitag, 07. April 2017

18:10

Johannes: „Kannst du mich mal besuchen kommen? Mir fällt hier die Decke auf den Kopf. Hier gibt es nichts, was irgendwie Spaß machen könnte. Selbst mein Handy darf ich nur zwei Stunden am Tag benutzen. :("

18:14

Ich: „Klar, wann kann ich kommen?"
Johannes: „Übermorgen zwischen 15 und 18 Uhr."
Ich: „Ich werde da sein <3"

18:15

Johannes: „Ach und kannst du nen 12er Maulschlüssel mitbringen?"
Ich: „Warum xD"
Johannes: „Lass dich überraschen"
Ich: „Okay wir sehen uns <3"
Johannes: „Cool"

JohannesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt