Ein schlecht gewählter Zeitpunkt

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"Verflixt!", keuchte Adrien.
Irgendetwas war ihm ins Auge geflogen. Es brannte entsetzlich. Er rieb sich die Augen mit beiden Händen.
"Chloé, ich ...", setzte er an.
"Schon gut", unterbrach sie ihn bissig.
Als er die Augen öffnete und sie blinzelnd ansah, war alles anders.
"Chloé", seufzte er, "was habe ich getan. - Verzeih mir."
Chloé runzelte die Stirn. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, nur um sie wieder zu lösen und sah nachdenklich auf die Haarspitzen ihres Pferdeschwanzes.
"Freunde", flüsterte sie verächtlich.
In ihren Augen schimmerten Tränen, bevor sie sich umwandte und davonlief.
"Chloé!", rief er ihr hinterher und versuchte den größer werdenden Abstand zu überbrücken. "Chloé, warte! Bitte!"
Er erreichte ihre Schulter und hielt sie fest.
"Was willst du noch?", fuhr sie ihn an.
Tränen liefen ihr die Wangen hinunter.
"Es tut mir leid. Was habe ich nur angerichtet", sprach Adrien sanft auf sie ein. "Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, Chloé."
Bedächtig kam er näher und wollte sie zu sich ziehen.
"Ach ja? Heb dir deinen Spott für andere auf!", zischte sie ihn an und drückte sich von ihm ab.
"Spott?", echote Adrien.
Chloé verdrehte die Augen.
"Spiel nicht mit mir", spie sie ihm entgegen, "und tu nicht so, als ob du dir deiner Außenwirkung nicht bewusst bist. - Ich weiß, dass ich nicht die einzige bin, die dir verfallen ist."
Er packte sie am Handgelenk.
"Die anderen sind nicht so ... wie du", sprach er sanft.
Chloé schnaubte unfein durch die Nase.
"Du warst sehr eindeutig", zischte sie und versuchte, seine Hand von ihrem Handgelenk zu lösen.
"Es war mir noch nie so ernst", flüsterte er und berührte sie vorsichtig am Unterarm. "Ich ... Chloé, es ging alles so schnell. Ich fürchte, ich habe überreagiert", schloss er.
Er suchte den Augenkontakt mit ihr. Die Zornfalte auf ihrer Stirn verebbte langsam. Sie sah ihn unverwandt an.
Er löste den Griff um ihr Handgelenk und wischte ihr stattdessen die Tränen aus dem Gesicht.
"Entschuldige, bitte. Ich habe nicht gewollt, dass es so endet", flüsterte er und rang nach den passenden Worten, um das vorher Geschehene abzumildern. "Man sagt, dass man erst erkennt, was man aneinander hat, wenn man es beinahe verliert ... Gerade das ist mir fast passiert. - Mit dir, Chloé", sprach er leise.
Ihre Augen wurden noch etwas größer. Etwas Verträumtes lag in ihrem Blick. Chloé griff nun ihrerseits nach seiner Hand.
"Und was bin ich für dich?", flüsterte sie atemlos.
Langsam neigte er seinen Kopf in ihre Richtung und lehnte seine Stirn gegen ihre.
"Alles", hauchte er, "du bist alles für mich, Chloé. Das ist mir gerade bewusst geworden."
"Oh, Adrien!", seufzte sie und fiel ihm überglücklich um den Hals, so dass er beinahe umfiel.
"He-hey, vorsichtig!", ächzte er unter Lachen.
Er drückte sie eng an sich und atmete tief ein. Wie hatte er ihr Parfum nur als aufdringlich bezeichnen können? Vanille und Kokos - er wünschte, er könnte für immer in ihrem Dunstkreis verweilen.
"Chloé, ma chere", wisperte er in ihr Ohr und bemerkte, wie sich die feinen Häärchen in ihrem Nacken aufrichteten.
Er hauchte ihr einen Kuss auf die Wange und bedauerte es zeitgleich, sich aus ihrer Umarmung zu lösen.
Er sah gerade noch, wie Chloé erwartungsvoll die Augen schloss und die Lippen spitzte. Ihre Finger strichen über seinen Nacken und bescherten ihm ein wohliges Kribbeln. Einen kurzen Moment lang genoss er den Anblick, bevor er den Kopf langsam, ganz langsam zu ihr hinunter neigte.
Er hatte das Gefühl, vor Glück zu zerspringen, als sich ihre Lippen berührten.
Warm und weich und mit einem dezenten Geruch nach Kokos küsste sie ihn stürmisch zurück.
"Endlich", flüsterte er. "Ich könnte die Welt umarmen. - Die ganze Welt soll wissen, dass du und ich zusammen sind!", rief er berauscht und wirbelte sie im Kreis herum.
"Oh, Adrikins, mon amour!", seufzte sie und sah ihn durch halb geschlossene Lider an.
In ihren Augen lag etwas Berechnendes, als sie nach Smartphone und Selfie-Stick hangelte und die Aufnahme startete. "Nur zu! Lass uns unser Glück teilen", rief sie und warf einen Kussmund in die Kamera.
"Hallo Welt! Ich liebe dich, Chloé Bourgeois!", rief er fröhlich lächelnd in die Kamera.
Chloé kuschelte sich eng an seine Schulter.
"Hach, Adrien. Das ist so romantisch", säuselte sie.
Er rückte ein kleines Stück von ihr ab, nur um ihr zärtlich über die Wange zu streichen und ihr noch einen weiteren Kuss zu stehlen.
"Er küsst wirklich fantastisch", seufzte sie in die Kamera. "Und er gehört mir!", fügte sie mit stählernem Unterton an.
Lächelnd wandte sie sich zurück an Adrien, der sich verwirrt durchs Haar strich.
Geziert knickte sie eines ihrer Beine ein und setzte zur nächsten Kussattacke an.
"Chloé ... nicht ... so stürmisch", brachte er atemlos hervor und lachte. Er hielt sie an der Taille.
"Marinette werden die Augen aus dem Kopf fallen!", kicherte sie.
"Marinette? Wie kommst du auf Marinette?! Sie ist eine gute Freundin! Meinst du, sie hat etwas gegen uns?", entgegnete Adrien.
Sie lachte kokett.
"So unscheinbar, wie sie ist, wundere ich mich nicht, dass du es nicht bemerkt hast ... Sie hat lange für dich geschwärmt. Na ja, jedenfalls bis vor kurzem, wenn man den Zeitungen traut. - Ich denke, das reicht jetzt", beschied sie und stoppte die Aufnahme.
"Marinette ist - oder war - verliebt in mich?", entfuhr es ihm. "Du ... hast mich aber nicht geküsst, um ihr eins auszuwischen, oder? - Das wäre nicht sehr nett!", merkte Adrien an. Er sah Chloé prüfend an.
"Ich? Pfft... wo denkst du hin, cherie?", entgegnete sie mit entrüsteter Stimme, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und ließ die Finger über das Display ihres Smartphones gleiten.
"Arme Marinette. Ich möchte nicht, dass sie sich schlecht fühlt. Du solltest das Video besser nicht verschicken", äußerte sich Adrien bedrückt.
"Zu spät", erwiderte Chloé lediglich.

Countess of BoredomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt