Luisa war verwirrt. Was sollte sie nun von Aiven O'Grady halten? Besaß er einen guten Charakter und sollte sie ihn vielleicht doch heiraten, um ihres Vaters Willen? Schließlich hatte er in seinem Leben auch einige Schicksalsschläge hinter sich bringen müssen...Oder war er nur ein vordergründiger Mensch, der auf Geld und schöne Frauen aus war. Sie war sich selbst nicht klar darüber. Aber dann sollte etwas geschehen, was ihre Meinung über den Gutsbesitzer ändern sollte.
Am nächsten Abend gab Mr. O'Grady ein großes Fest, zu dem er auch alle seine Nachbarn und Freunde eingeladen hatte. Es herrschte eine fröhliche Stimmung unter den Leuten und es wurde viel gegessen, getrunken und getanzt. Dann wurde es kühler und am Himmel zogen Wolken auf. Da bat Luisa ihr Hausmädchen: ,, Ach Katie, bringe mir doch bitte mein großes Tuch für die Schultern. Ich fange an zu frieren." Und das Mädchen lief sogleich ins Haus, um das Tuch aus dem Zimmer von Luisa, was sich im oberen Stockwerk befand, zu holen. Sie war bereits einige Stufen hinauf gegangen, als sie mitten auf der Treppe innehielt. War das nicht die Stimme von Mr. O'Grady, die da aus dem Arbeitszimmer tönte? Und mit wem unterhielt er sich da? Die Stimme kam Katie doch auch ziemlich bekannt vor. War das nicht die Stimme des Verwalters von Miss Luisas Vater - Kapitän Rowling gewesen? Was hatten die Beiden wohl zu besprechen? Neugierig schlich sich Katie lautlos an die Tür des Arbeitszimmers heran, das direkt neben der großen Eingangshalle lag, und belauschte, ganz gegen ihre Gewohnheiten, das Gespräch.
,,Vielen Dank, Daniel, dass Sie sich her bemüht haben, um mir den Plan zu bringen." hörte Katie Mr. O'Grady sagen. ,, Es ist wohl jetzt sehr schwer überhaupt einen Weg von Virginia bis hierher zu finden, so wie die Dinge stehen?!"
,,Naja, wenn man sich unmittelbar in den Kriegsgebieten befindet, dann schon!" bemerkte der Andere. ,,Sonst gibt es immer noch Möglichkeiten durchzukommen. Und ich kenne auch eine Menge an guten Schleichwegen!" fügte er lachend hinzu.
,,Trotzdem, jeder hätte das auch nicht gemacht!" meinte der Gutsbesitzer nachdenklich.
,,Na hören Sie, so gut, wie Sie mich dafür bezahlt haben?! Das würde ich doch nicht von Kapitän Rowling bekommen. Mein Herr steht jetzt ganz in ihrer Schuld. Was ich nur nicht verstehe, Mister, was wollen sie mit dem Plan anfangen?"
,,Können Sie sich das wirklich nicht vorstellen, Daniel?
,,Sonst würde ich ja nicht fragen!"
,,Na dann schauen sie mal hier her!"
Damit deutete Mr. O'Grady auf den Plan, der nun vor ihm ausgebreitet auf dem Schreibtisch lag. Katie machte große Augen, um alles zu erkennen. Aber sie sah nicht viel, weil ihr der Gutsbesitzer mit seinem Rücken die Sicht versperrte.
,,Hier im Keller des Gutshauses befindet sich ein geheimer Gang. Und in diesem Gang, so hat es mir Kapitän Rowling einmal anvertraut, liegt eine ganze Menge Gold. Das haben seine Vorfahren noch aus dem Unabhängigkeitskrieg retten können. Na? Verstehen sie jetzt, warum ich so dahinter her bin Miss Luisa zu heiraten und ihren Vater zu ruinieren?!"
Katie konnte gar nicht abwarten, was der Verwalter von Luisas Vater darauf noch zu erwidern hatte. So schnell sie konnte lief sie zu ihrer Herrin.
,,Miss Luisa, Miss Luisa!" rief sie, als Katie die junge Frau, die immer noch im Garten saß erreicht hatte.
,,Was ist los, Katie, du zitterst ja am ganzen Körper!" schaute sich Luisa verwundert nach ihrem Hausmädchen um. So außer Atem hatte sie Katie selten gesehen.
,,Miss Luisa, kommen sie schnell, ich muss ihnen etwas wichtiges sagen!"
Damit zog Katie ihre Herrin in einen dunklen Winkel des Gartens, wo niemand sie hören konnte. Aufgeregt erzählte sie Luisa von dem interessanten Gespräch, das sie belauscht hatte und Luisa spürte einen kalten Schauer, der ihr über den Rücken lief.
,,Wie gut, das du alles gehört hast!" sagte sie zu Katie. ,,Mein Gott, da wären wir beinahe einem ganz gerissenen Betrüger aufgesessen...!"
Katie nickte. ,,Und was wollen sie nun tun, Miss Luisa?"
,,Wir fliehen - noch heute Nacht!"
Aber plötzlich hörten Beide auf einmal laute Stimmen, die vom Haupthaus herüber tönten. Sie liefen schnell dort hin, um zu sehen, was dieser Lärm zu bedeuten hatte. Auf dem kleinen Vorplatz hatten sich die gesamten Haus- und Feldsklaven mit Fackeln in den Händen versammelt. Auf der Veranda erschienen nun auch Einige von den Gästen des Festes und selbst Mr. O'Grady trat heraus. Er fragte, was der Auflauf von Menschen zu bedeuten habe. Da trat ein großgewachsener Mann in die Mitte der Sklaven. Er zerrte dabei einen Schwarzen mit sich, den er mit einer Peitsche bedrohte.
,,Dieser Hund wollte von ihrem Gut fliehen, aber wir konnten ihn noch rechtzeitig erwischen und haben ihn wieder eingefangen!"
,,Das haben Sie gut gemacht, Herr Verwalter. Gebt ihm nun seine Peitschenhiebe...Die hat er sich verdient!"
Gerade als der Verwalter diese Anweisung ausführen wollte, humpelte ein Mann aus der Menge der Sklaven. Es war der Hausdiener Jim. Dieser flehte Mr. O'Grady an:
,,Bitte, Master, lassen sie von dieser Strafe ab. Er ist doch mein Bruder. Er wollte fliehen, um ein besseres Leben an zu fangen...!"
,,Das interessiert mich nicht, Jim. Dein Bruder wusste ja, was ihn erwartet, wenn er wegläuft!" rief Mr. O'Grady seinem Diener entgegen. ,,Und jetzt fangen sie endlich an, Herr Verwalter!"
,,Nein!" rief Jim und warf sich zwischen seinen Bruder und den Verwalter, der eben die Peitsche zu einem Schlag ausholen wollte. In der Gruppe der Sklaven begann es zu raunen, dann fing die Menge an zu rebellieren. Laute Rufe waren zu hören und die Sklaven gingen einige Schritte auf das Hauptportal zu, wo Mr. O'Grady immer noch stand. Nun entwickelte sich ein riesiger Tumult und auf einmal hörte Luisa einen Schuss. Er musste von einem Schwarzen abgefeuert worden sein. Dann schaute sie auf die Veranda, wo der Gutsbesitzer tödlich zusammen gebrochen war. Schnell lief sie zu den unteren Stufen des Portals. Mr. O'Grady lag im Sterben. Luisa war geschockt über die Ereignisse. Ein paar Männer beugten sich um den Gutsbesitzer. Einer von ihnen war der Verwalter von Luisas Vater. Als er aufschaute und das junge Mädchen am Treppenabsatz stehen sah, rannte er davon.
Dann ging alles sehr schnell. Die Gäste des Festes schrien und liefen durcheinander, aber auch einige Sklaven versuchten in der allgemeinen Aufruhr zu entfliehen. Keiner wusste mehr, was eigentlich vorging. Luisa stand immer noch an der Treppe, als sie Jemand von hinten mit sich wegzog. Es war Jim, der seinen Bruder mithilfe der anderen Sklaven aus der Hand des Verwalters befreien konnte und nun Luisa mit sich zog.
,,Kommen Sie schnell weg von hier, Miss. Sie und Katie müssen mit uns fliehen!"
Luisa zögerte noch etwas.
,,Halt, der Plan im Arbeitszimmer von Mr. O'Grady. Ich muss ihn holen, bevor unser Verwalter Mr. Daniel Sherlben ihn in seine Hände bekommt. Katie packe du inzwischen unsere Sachen zusammen. Wir treffen uns bei der Kutsche an den Pferdeställen. Vergiss Shadow nicht mit zu nehmen!"
,,Wohin wollen Sie denn, Miss?" fragte Katie ihre Herrin.
,,Erst einmal weg von hier - wohin ist egal, nun lauf schon Katie!"
,,Wir kommen mit, wenn sie ins Arbeitszimmer des Masters gehen!" meinte Jim zu Luisa. ,,Vielleicht brauchen sie uns, wenn sie auf ihren Verwalter treffen!"
,,Ich danke Euch!" gab Luisa zurück und alle Drei gingen in das Arbeitszimmer von Mr. O'Grady. Aber sie fanden den Plan nicht mehr dort vor. Mr. Sherlben hatte ihn wohl bereits mitgenommen und war damit geflohen.
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Miss Luisa - Irrwege einer großen Liebe
Historical FictionEine Liebesgeschichte in den Südstaaten während der Wirren des amerikanischen Bürgerkrieges.