Einige Wochen später kam der Tag, an dem Luisa fünfzehn Jahre alt werden sollte und ihr Vater wollte ihr ein eigenes Pferd schenken. Also fuhren sie zum Viehmarkt, der jährlich im Ort abgehalten wurde. Auf dem Platz vor der Kirche drängten sich sehr viele Menschen und Händler priesen ihre Pferde und andere Waren lauthals an. Jeder behauptete, dass seine Tiere die Schönsten und Besten wären. Und wirklich, es waren ein paar edle Rösser darunter. Aber man brauchte auch einen guten Pferdeverstand, um Rasse von einem alten Ackergaul zu unterscheiden. Luisa und ihr Vater prüften nun das Maul, die Zähne und die Fesseln der Pferde, um sicher zu gehen, dass sie ein gutes Tier vor sich hatten. Schließlich entschied sich das junge Mädchen für einen feurigen Rappen. Er war beinahe ganz ausgewachsen und völlig schwarz. Nur an der Stirn besaß er einen kleinen weißen Fleck. Sein seidiges Fell glänzte in der Nachmittagssonne und Luisa gab ihm den Namen: Shadow! Ihr Vater handelte gerade den Preis aus, als sie lautes Schimpfen und Schreien weiter hinten auf dem Platz wahrnahmen. Luisa rannte in die Richtung, von wo sie die Stimmen gehört hatte und sah ein paar Männer ihrer Gemeinde, wie sie um einen weiteren Mann herumstanden. Dieser trug ein kariertes Hemd und eine graue Weste, worin bereits mehrere Motten ihren Hunger gestillt hatten. Neben ihm stand ein Junge, der auf Luisa einen ganz besonderen Eindruck machte. Auch er trug verschlissene Kleider. Beide starrten wütend einen dickwanstigen Verkäufer an. Der Mann in der zerlöcherten Weste war sehr aufgeregt und packte den Pferdehändler an dessen Jacke:
,,Diese Wucherpreise kann doch keiner bezahlen!"
,,Dann lasst es eben bleiben!" entgegnete ihm der Verkäufer kalt lächelnd.
,,Aber ohne Pferd kann ich unseren Acker kaum rechtzeitig bestellen!"
,,Was geht das mich an? versetzte der Händler nur verächtlich. ,,Ich habe auch meine Unkosten und muss die Pferde zu einem bestimmten Preis verkaufen! Und jetzt lass mich los!"
Der Verkäufer versuchte sich aus dem Griff des Mannes, der ihn immer noch festhielt, zu befreien und weil er ein bisschen stärker, als der Andere war, warf er diesen zu Boden. Die Umstehenden fingen an zu lachen:
,,Na, Graham, hast du Staub geschluckt? Was legst du dich auch mit dem dicken Miller an?"
Luisa machte große Augen: Das war also dieser Nachbar von ihrem Vater, über den alle redeten. Langsam erhob sich Mr. Graham und wischte sich den Staub aus dem Gesicht.
,,Ich verstehe schon!" versetzte er verächtlich. ,,Euch ist der eigene Profit eben wichtiger, als eure Mitmenschen.
,,Wir brauchen hier keine Indianer - Freunde!" tönte es aus der Menge.
Damit machten alle ein paar bedrohliche Schritte auf Vater und Sohn zu.
,,Was ist denn hier los?"
Ein hochgewachsener Herr drängte sich an den Umstehenden vorbei. Es war der Scheriff!
,,Was los ist kann ich ihnen sagen! Dieser Gentleman wollte ein Pferd bei mir kaufen - zu einem Spottpreis! Dabei habe ich auch meine Ausgaben. So ein edles Ross kostet schließlich Geld... und die Arbeit, die diese Biester machen...!" dabei begann er zu stöhnen und verdrehte die Augen.
,,Das sind keine Biester!" mischte sich nun auch der Sohn von Mr. Graham in das Gespräch und Luisa konnte das Blitzen in seinen schwarzen Augen erkennen.
,,Sie Pferdeschinder!"
,,Wie nennst du mich? Du kleiner dreckiger Indianer - Bengel?" schrie der Händler in an und sein rundes Gesicht lief dabei ganz rot an.
,,Ich sage die Wahrheit! Ihr quält sie immer mit der Peitsche und dem Stock, wenn sie nicht spuren und außerdem seid ihr ein Wucherer!"
,,Sag das noch einmal und ich vergesse mich...!" empörte sich der Händler wutentbrannt und machte wieder ein paar Schritte auf die beiden Grahams zu. Die Anderen taten es ihm gleich und der Kreis wurde enger. Luisa fühlte die Spannung, die nun in der Luft lag.
,,Hört auf!" brüllte der Sheriff und drängte die erregte Menge erneut auseinander.,,Wir wollen hier keinen Streit! Das ist hier ein friedlicher Ort!" versuchte er die Beteiligten zu beruhigen.
,,Ha, ein friedlicher Ort!" murrte Mr. Graham. Darauf schaute ihn der Sheriff scharf ins Gesicht und meinte:
,,Wenn du nicht willst, dass noch etwas passiert, dann geh' lieber!"
Mr. Graham schaute in eine Weile an, dann schweifte sein Blick über die umstehenden Männer. Schließlich sagte er:
,,Ja, du hast wohl recht!" damit stieß er die ihm in der Runde am nächsten standen zur Seite und ging mit seinem Sohn davon. Die Männer sahen ihnen nach, bis sie auf der staubigen Landstraße im Schein der untergehenden Sonne langsam am Horizont verschwanden.
Erst jetzt bemerkte Luisa, dass ihr Vater die ganze Zeit hinter ihr gestanden hatte. Auch er schien von dem Vorfall betroffen zu sein. Nach einer Weile sagte er allerdings:
,,Komm, Kleines! Wir fahren nach Hause. Es ist schon spät!"
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Miss Luisa - Irrwege einer großen Liebe
Ficción históricaEine Liebesgeschichte in den Südstaaten während der Wirren des amerikanischen Bürgerkrieges.