Unsanft

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Noch bevor die Sonne aufgegangen war wurde ich unsanft von einer Maus, die über mein Gesicht lief, geweckt.
Mein panischer Schrei musste so laut gewesen sein, dass keine zwei Sekunden später, Nick in der Türschwelle stand und mich irriert musterte.
Als er mit einem kurzen Blick die Lage erkannt hatte, verengten sich seine Augen und eine Ader trat bedrohlich pochend hervor.

„Bist du noch ganz dicht?!" brüllte er mich mit hochrotem Gesicht an, „wenn du es darauf anlegst entdeckt zu werden dann mach ruhig weiter so einen Lärm! Selbst eine Taubstumme Oma, 5 Blocks weiter hätte dich gehört!"
„Ich.. Es war die Maus.." in genau dem Moment als die Worte meinen Mund verlassen hatten, wusste ich wie erbärmlich sich das anhörte. Beschämt senkte ich meinen Blick und murmelte eine Entschuldigung, die er wahrscheinlich nicht einmal mehr gehört hatte.
Wütend stampfte er aus dem Raum und brüllte mir noch zu dass ich mich fertig machen sollte, da wir in einer halben Stunde den Termin für die Papiere hatten.
Während ich mich aus meiner Decke schälte, starrte ich wütend der Maus hinterher, die sich durch ein kleines Loch aus dem Staub machte.
In den letzten Tagen hatte ich mich für Taffer gehalten, selbstbewusster, Erwachsener. Ich bildete mir ein, dass einen so eine Art von Schicksal nur stärker machen würde und dann, kam eine Maus und ließ mich dastehen wie den letzten Trottel.
Sauer warf ich die Decke in die nächst beste Ecke und stand auf.

In der kleinen Abstellkammer angekommen, betrachtete ich mein Gesicht in dem kleinem Teil des Spiegels der noch an der Wand hing. Es war nicht viel übrig geblieben, dennoch reichte es um mir mit einem Blick zu bestätigen wie ich mich fühlte. Ich sah scheisse aus.
Mein Gesicht war eingefallen und meine Haare.. Oh gott, meine Haare..
Ich verzog mein Gesicht zu einer leidigen Miene. Meine einst so langen Haare standen nun strubbelig und viel zu kurz von meinem Kopf ab.
Als Nick von einem umstyling gesprochen hatte, dachte ich an einen Friseur Besuch oder wenigstens an jemanden der Ahnung hatte.
Falsch gedacht.. Als wir angekommen waren hat Nick sich eine Küchenschere geschnappt und meine Haare einfach abgeschnitten. Das Resultat war grauenvoll, schief und krumm, hinten kürzer als vorne und vereinzelte Strähnen waren komplett kurz geschnitten worden.
„Die wachsen ja wieder.. " war sein Kommentar gewesen, als ich heulend auf dem Boden saß und die Reste meiner Haare in den Händen hielt.

.. Als wäre ich in einen Fleischwolf gefallen.. Dachte ich frustriert und fuhr mir mit meiner Hand durch das Unkraut auf meinem Kopf, in der Hoffnung vielleicht doch noch etwas Retten zu können.
„Kommst du nun bald oder soll ich ohne dich gehen? " seiner genervten Stimme nach zu Urteilen hatte er heute anscheinend nicht gerade seinen besten Tag, also schob ich mir eilig, eine viel zu lange Haarsträhne hinter mein Ohr und eilte in den großen Raum, in dem sich auch mein provisorisches Nachlager befand.

Dort erwartete mich Nick mit verschränkten Armen und grimmigem Gesicht.
Ich machte mir erst garnicht die Mühe zu fragen warum seine Laune heute besonders schlecht zu sein schien sondern folgte ihm nur stumm nach draußen.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, anderenfalls wären wir das Risiko, auf offener Straße unterwegs zu sein, niemals eingegangen. Nach wenigen hundert Metern bogen wir in eine wenig benutze Seitenstraße ein, die Straßen Laternen schimmerten in einem dunkel orangen Licht, welches nicht wirklich ausreichend war um den Weg zu erleuchten.
Die wenigen Häuser um uns herum waren allesamt noch dunkel und die Bewohner wohl noch im Land der Träume.
Nur wir waren schon unterwegs, zwei Personen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können und trotzdem kamen wir irgendwie miteinander aus.
In den letzten Tagen war ich froh gewesen Nick bei mir zu haben, obwohl ich immer noch nicht verstand warum er zu mir hielt und es wohl auch nie erfahren werde, war ich froh nicht allein zu sein.

Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Wagens erleuchteten kurzzeitig den Weg vor uns.
Dieser kurze Moment reichte aus, um zwei Gestalten auszumachen die nur wenige Meter vor uns an der Hauswand lahnten.
Blitzschnell zog Nick mich in eine kleine Gasse neben der Straße und drückte mich gegen die Hauswand.
Mit einer Handbewegung signalisierte er mir still zu sein.
Ich bemerkte wie sich seine Hände zu Fäusten spannten. Normalerweise wahrte er immer die Beherrschung, zumindest wenn ich in der Nähe war. Er wurde oft wütend und war aufbrausend, aber so angespannt und nervös kannte ich ihn nicht. Selbst wenn er die grausigsten Verbrechen verübt hätte die man sich nur vorstellen konnte, behielt er einen kühlen Kopf und handelte ziemlich rational.
In Situationen in denen ich am liebsten vor Angst zusammenbrechen würde verhielt er sich ruhig und besonnen und gab mir dabei das Gefühl, er würde immer einen Schritt voraus planen können.

Ich fühlte mich sicher bei ihm, ganz so als könnte es nichts geben, was er nicht lösen könnte.. Sicher.. Ich fühlte mich sicher bei einem Massenmörder..ganz toll, Mia. Irgendetwas in mir war anscheinend ziemlich zerstört worden.
Bevor mir diese Gedanken aber weiter verunsichern konnten, hörte ich leise Stimmen die immer näher kamen.
Ich hielt den Atmen an und schloss meine Augen. Ich spürte wie Nick sich neben mir verkrampfte und betete inständig, dass die zwei Personen einfach an uns vorbei laufen würden. Weitere Leichen würden meinen Karma Punkten sicherlich nicht gut tun und ich wollte zumindest versuchen ohne Altlasten ein neues Leben anzufangen,soweit das jedenfalls noch möglich war.

Sekunden später, die sich allerdings wie Stunden angefühlt hatten, verklangen die Schritte der Personen. Wir hatten Glück gehabt, ohne uns zu beachten und leise sprechend liefen die beiden an uns vorbei.
Mein Herz pochte wie verrückt und ich versuchte wieder einigermaßen normal zu Atmen.
Unsanft zog Nick mich am Arm, wieder hinaus in die dunkle Straße. Mit einem Blick zum Himmel, auf dem langsam die Morgenröte zu erkennen war, beschleunigte er seine Schritte.
„Beeilen wir uns!" befahl er harsch und zog mich mit sich.

Keine zehn Minuten später befanden wir uns vor einem in die Jahre gekommenen Wohnhaus.
Kinderfahrräder waren achtlos davor hingeworfen worden, die Müllsacke stappelten sich bereits und es roch ziemlich unangenehm.
Wir liefen jedoch am Haupteingang des mehrstöckigen Gebäudes vorbei und hielten vor einer Kellertür, die sich am hinteren Ende des Gebäudes befand.
Nick zog leicht daran und sie öffnete sich mit einem leichten Knarren.
Im Inneren war es stockdunkel und das Gefühl, dass sich in meiner Magengegend ausbreitete, ließ mich erstarren.
„Ich geh da nicht runter.. ", nervös betrachtete ich die vielen steinernen Treppenstufen, die nach unten führten und deren Ende man nicht erkennen konnte.

„Dann lass es." Nick betrat den dunklen Gang und betätigte einen Lichtschalter der sich an der Wand befand. Sofort wurde das Treppenhaus in spärliches flackerndes Licht getaucht, dieses flackern bestätigte mein ungutes Gefühl. Wie in einem Horrorfilm.. schoss es mir durch den Kopf.
Ich stand immer noch oben vor der Hölzernen Keller Türe, während Nick seinen Gang nach unten fortsetzte.

Um mich herum erwachten nach und nach die Menschen, denn die Lichter in vereinzelten Wohnungen gingen an.
Die Wahrscheinlichkeit entdeckt zu werden wurde mir schlagartig bewusst.
Mit einem schnellen Blick versicherte ich mich, dass niemand in meiner Nähe war und betrat dann, mit schnell pochendem Herzen den Keller.
Ich schloss die Tür hinter mir und lief langsam die Stufen nach unten.







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