Last Chance

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Lustlos kritzelte ich auf dem Blatt vor mir herum. Sieben oben rechts.. Nein.. Eher links weil sie sonst mit der fünf nicht übereinstimmen würde..
Frustriert ließ ich gerauschvoll die Luft aus meinen Lungen entweichen und starrte aus dem Fenster welches sich links neben mir befand. Es sollte doch tatsächlich Menschen geben die Spaß daran hatten diese Sudoku Rätsel zu lösen. Für mich sah alles aus wie eine zufällig ausgewählte Reihenfolge aus Zahlen, die man mit großem Glück irgendwie zu einer Sinnvollen Form zusammenwürfeln konnte.

Ein lautes 'Plopp' ließ mich erschrocken zusammenfahren und ich warf der Person neben mir, die es anscheinend witzig fand, einen Kaugummi direkt neben mir zum Platzen zu bringen, einen bösen Blick zu.
„Was soll der Mist, Tina?"
Anstatt einer Antwort grinste diese nur blöd und ließ den Kaugummi noch einmal auf eine beachtliche Größe anschwellen, ehe sie ihn wieder platzen ließ.
Genervt senkte ich den Blick und kritzelte weiterhin Zahlen auf das längst zum scheitern verurteilte Soduko Blatt vor mir.
„Hätte gedacht deine Laune wäre heute ausnahmsweise mal besser, hast ja eigentlich Grund zum Feiern oder?", meldete sich Tina nun doch zu Wort.
Genervt stöhnte ich auf und versuchte mich auf meine Aufgabe zu konzentrieren.

Natürlich wusste ich, dass sie Recht hatte. Ich sollte mich freuen und gut drauf sein. Mein erstes Gespräch mit Dr. Stein war mittlerweile schon zwei Monate her und in dieser Zeit hatte sich viel getan.
Wöchentlich hatte ich ein bis zwei Sitzungen mit ihr und sprach über alle möglichen Themen. Das wichtigste war wahrscheinlich das ich endlich meine Diagnose erhalten hatte: Schizophrenie mit einer affektiven Persönlichkeitsspaltung.

Am Anfang hatte ich mich schlicht weg geweigert so einen Blödsinn mit mir in Verbindung bringen zu müssen, doch mittlerweile war es mir ziemlich gleichgültig. Sollten Sie doch auf Ihr Papier schreiben was sie wollten. Ich wusste es besser.

Die Tabletten, die sie mir gaben nahm ich brav. Augenscheinlich jedenfalls.
Nach ein paar Wochen hier hatte ich schnell herausgefunden wie, und wo das Personal sah was man tat. Also fand ich auch die Ecken in denen niemand nachsah. Und genau dort 'lagerte' ich meine Gesundmacher. Ich bildete mir ein, dass die kleinen Topfpflanzen noch besser wuchsen nachdem sie all die Psycho Mittelchen als Dünger bekamen. Ein schlechtes Gewissen hatte ich deshalb nicht wirklich.

Die Gespräche mit meiner Ärztin hatten mir viel Stoff zum Nachdenken gegeben.
Vor allem über meine Vergangenheit.
Sie hatte mir erklärt, wie traumatische Ereignisse sich auf die Psyche eines Menschen auswirken konnten. In meinem Fall war das die Verdrängung.
Als meine Eltern gestorben waren hat mich das ziemlich fertig gemacht. An den genauen Ablauf erinnere ich mich bis heute nicht, doch im Verlauf der vielen Sitzungen sind nach und nach Bruchstücke der Erinnerung zurück gekehrt.
Sie hatte mir erzählt, dass es bei einem Autounfall, in dem ich und meine Schwester zusammen mit meinen Eltern, eine Tante besuchen wollten geschah. Wieso genau mein Vater mit dem Auto von der Fahrbahn abgekommen war, konnte oder wollte mir niemand erzählen. Das einzige was sie mir sagen konnten war, dass meine Schwester, von der ich bis zu diesem Tag nicht mehr wusste das es sie gab, zusammen mit mir überlebt hatte.

„Hey! Du träumst wieder!", mit einem unsanften Stoß holte mich meine Sitznachbarin in die Realität zurück  „Mach dich endlich fertig. Dein Besuch kommt doch bald."

„Sorry", meinte ich entschuldigend und versuchte mich an einem leichten Lächeln. So nervig ich Tina auch von der ersten Sekunde an gefunden hatte, so gern hätte ich sie mittlerweile auch. Sie war immer gut drauf und wollte anderen immer ein Lächeln ins Gesicht zaubern und dafür sorgen, dass es ihnen gut ging. Unter anderen Umständen hätte ich mir gut vorstellen können mich mit ihr anzufreunden. Doch leider lief nicht immer alles so wie man es sich wünschte.
„Mach endlich!", rief sie etwas zu euphorisch und gab mir einen sanften schubser, der mich zum aufstehen anregen sollte.
„Du bist echt nervig.." stöhnte ich genervt und erhob mich von meinem Platz. Mit dem Blatt Papier in meiner Hand lief ich Richtung Ausgang um zu meinem Zimmer zu gelangen.
„Ich hab dich auch lieb!" hörte ich Tina's schrille Stimme noch rufen bevor ich die Tür hinter mir schloss und mir überlegte wie das Treffen, welches mich gleich erwarten würde wohl ablaufen würde.
Ich war unglaublich nervös und gleichzeitig auch so voller Freude dass ich garnicht wusste, wohin mit meinen Gefühlen.
Grinsend zog ich mir meine lange Strickjacke an und wartete ungeduldig auf meine Schwester.

Kurz vor 16 Uhr klopfte es an meiner Zimmertür, mit einem zitternden „Ja bitte?! " erwartete ich sehnlichst die Ankunft meiner verloren geglaubten letzten Verwandten.
Zu meiner Überraschung trat Dr. Stein ein und lächelte mich aufmunternd an.
„Darf ich mich setzten?"
Etwas argwöhnisch nickte ich nur. Hatte meine Schwester doch keine Zeit gefunden her zu kommen? Oder hatte sie es sich komplett anders überlegt? Verübeln würde ich es ihr nicht. Schließlich war eine Psychiatrische Einrichtung nicht gerade der Ort, an dem man ein Familien Treffen abhalten wollte und trotzdem wäre es sehr enttäuschend, meine Anstrengungen der letzten Wochen waren doppelt so hart ausgefallen, nachdem Dr. Stein mir die Möglichkeit eines Treffens in Aussicht gestellt hatte.

„Sie wird nicht kommen, oder?", murmelte ich mit schwindender Hoffnung in der Stimme.
„Doch, Miss Jones. Das wird sie. Trotzdem wollte ich noch kurz mit ihnen sprechen.", die Miene der Frau vor mir wurde ernster und ihr Körpersprache ließ erkennen wie angespannt sie war.
Mit einem nicken signalisierte ich ihr, dass sie weitersprechen solle.
„Sie wissen, wie stolz ich auf die Fortschritte bin die sie in den letzten Monaten erlangt haben. Sie halten sich an Anweisungen, nehmen ihre Medikamente und nehmen immer pünktlich an alles Programmen teil. Ihre Verfassung hat sich stabilisiert und das ist etwas, was sehr gut ist."
Ich zeigte ein schwaches Lächeln und versuchte freundlich dreinzublicken. Diese Frau vor mir, hatte absolut keine Ahnung wie falsch sie mit allem lag.
Meine Verfassung hat sich nicht Dank pseudo Medikamenten verändert oder weil sie mit ihrer dämlichen Diagnose richtig gelegen hatten, sondern nur an der Aussicht hier raus zu kommen.
Ich hatte lediglich erkannt, dass weder auf die Polizei noch auf diese Mediziner verlass war. Niemand hatte mir meine Geschichte geglaubt sonder mich sofort als Krank abgestempelt. Ich musste hier raus kommen um Nick zu finden umdiesem Schlamassel in das er mich geritten hatte, ein für alle mal zu entfliehen.
Dennoch nickte ich brav und bedankte mich für ihre Worte ehe sie fortfuhr:„ Wir kennen uns mittlerweile gut genug und ich denke sie haben Vertrauen zu mir gefasst, Miss Jones."

-Nein

„Ja, das stimmt. Sie haben mir sehr geholfen", erwiderte ich, anstelle des gedachten.

„und deshalb möchte ich sie bitten, mir ehrlich zu sagen wie es ihnen geht. Die Sache mit ihrem erfundenen Freund, hat ihnen ja schrecklich zugesetzt...“

-er ist nicht erfunden!

Ich nickte betroffen und senkte den Kopf.
„Das Absetzen ihrer Medikamente würde erheblichen Schaden bei ihnen Anrichten. Sie könnten einen Rückfall bekommen, der ungeahnte Folgen mit sich bringen könnte."

-welche Medikamente?

„Ja, ich fühle mich wirklich besser, seitdem ich sie nehme. Ich habe nicht vor damit aufzuhören."

Zufrieden mit meinen Antworten notierte sich die Ärztin etwas auf ihrem Notizblock.
„Dann steht ihrem Wochenendausflug nichts mehr im Wege, sie können vorne warten, ihre Schwester müsste gleich hier eintreffen."
Auf dem Weg hinaus wendete sie sich jedoch noch einmal zu mir um.
„Sie wissen, wenn es ihnen zu viel wird.. Sie dachten ja Jahrelang sie wäre nur ihre Freundin.. Aber es war zu ihrem eigenem Schutz, das wissen sie nicht wahr?"

-ach, ist das so?

„Natürlich, machen sie sich keine Sorgen.", aufmunternd lächelte ich sie an und folgte ihr mit einigem Abstand.
Ich war wirklich gespannt auf meine Schwester, auf Su.
Ich kannte sie Jahrelang, hatte sie als meine einzige Freundin betrachtet und doch war sie es die mich die ganze Zeit über belogen hatte. Zu meinem eigenen Schutz, wie sie es alle nannten. Die traumatische Erinnerung an meine Eltern wollten sie nicht wieder aufkommen lassen. Aber ich wusste es. Meine Erinnerung hatte eine Pause eingelegt, doch jetzt waren sie aus ihrem Tiefschlaf erwacht. Ich erinnerte mich! An alles.

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