Villeneuve

470 21 5
                                    


Belle seufzte, als sie auf die Uhr sah. Es war acht Uhr morgens, also genau die Zeit, um die das kleine Dorf wie jeden Tag den frühen Morgen begrüßte. Sie setzte ein Lächeln auf ehe sie das Haus verließ, damit man nicht noch auf die Idee kam sie für wundersamer zu halten, als die Dorfbewohner es sowieso schon taten.

Alle hier folgten einem täglichen Rhythmus, der sich nie zu verändern schien. Als sie durch die schmalen Straßen zum Markt ging, begrüßte sich jeder untereinander, wünschte sich einen guten Morgen und ging dann routiniert seiner Arbeit nach. Wie an jedem Morgen roch es beim Bäcker nach frischem Brot, welches sie gleich kaufte und in die Tasche verwahrte, die sie an ihrem Kleid befestigt hatte. Es war kein besonders aufwendiges Kleid, dafür hätten sie auch nicht das Geld gehabt. Belle war eigentlich immer schlicht unterwegs. Die langen Ärmel hatte sie beidseitig bis zum Ellbogen hoch gekrempelt. Der weiße Stoff war weich, aber gewiss nicht hochwertig. Um nicht ganz einfarbig unterwegs zu sein – und weil das Kleid an Rücken und Brust etwas zu dünn war und sie leicht fröstelte – hatte sie sich noch zusätzlich aus blauem, etwas dickerem Stoff etwas genäht, was sie sich umbinden und an ihrer linken Seite zuknöpfen konnte. Im ersten Moment sah es wohl so aus als hätte sie sich eine Schürze umgebunden, doch dem war nicht so. Die trug sie schlicht nur um die Hüften geschnürt, wo sie noch weitere Taschen eingenäht hatte, damit sie keinen Korb benötigte, wenn sie ihren Erledigungen nach ging. Die langen, braunen Haare trug sie immer in einem Zopf zusammen gebunden. In dieser Hinsicht dachte sie einfach praktisch und das reichte den meisten Bewohnern hier im Dorf um sie als sonderbar zu bezeichnen. Das und die Tatsache, dass sie gerne Bücher las, bzw. überhaupt das Lesen beherrschte, und sich mit ihren zwanzig Jahren mit niemandem verlobt hatte. Ein regelrechter Skandal im bornierten Dorf Villeneuve.

»Guten Morgen Belle«, hörte sie eine bekannte Stimme hinter sich. Sie drehte sich um und lächelte den Mann freundlich an. »Guten Morgen Monsieur Louis.«

Der ältere Mann vor ihr war ihr immer sympathisch gewesen. Er war immer etwas vergesslich und wirkte, als würde er stets etwas suchen, aber nicht genau wissen was er eigentlich verloren hatte. »Haben Sie wieder etwas verloren?«, fragte ihn Belle, als er sich ein wenig umschaute.

»Ich glaube, das habe ich, aber ich weiß nicht mehr was«, meinte er, lachte daraufhin aber und tat es ab als hätte er sich an den Umstand längst gewöhnt. Dass ihm lieber war das Thema zu wechseln fiel Belle auf, doch stocherte sie nicht weiter nach. Sie wusste selbst gut genug wie es war, wenn man gezwungen wurde über ein unleidiges Thema zu reden.

»Was hast du noch vor?«, fragte er sie, als sie unwillkürlich einen Schritt zurück setzte, als wollte sie gehen. »Ich möchte noch zu Père Robert und ein Buch abgeben.«

Père Robert war der Inhaber der einzigen Bibliothek in Villeneuve, falls man einen Tisch mit ungefähr zehn bis zwanzig Büchern darauf als Bibliothek bezeichnen konnte. Doch er ging häufig auf Geschäftsreisen und brachte manchmal ein neues Buch mit, welches Belle sich sofort auslieh um es zu lesen. Monsieur Louis hingegen teilte ihre Begeisterung für Bücher nicht. Er schnaubte, schüttelte leicht den Kopf. »Das klingt öde, aber gut, ich will dich nicht länger aufhalten.« Derartige Reaktionen war sie allerdings schon gewohnt, weswegen sie sich die Zeit sparte eine hitzige Diskussion anzufangen, ihm einfach nur zunickte und sich wieder auf den Weg machte.

Während alle um sie herum ihrer morgendlichen Routine folgten, ging sie weiter, bis sie vor einem kleinen Haus stand. Die meisten aus dem Dorf waren hier eher selten anzutreffen, was auch damit zu tun hatte, dass die wenigsten Frauen lesen konnten. Belle hingegen liebte es. Es war die einzige Möglichkeit dem drückenden Alltag hier zu entfliehen. Kaum, dass sie einen Fuß in das Haus gesetzt hatte, begrüßte sie Père Robert auf seine übliche, freundliche Weise. Er war mindestens einen Kopf größer als sie, etwas jünger als ihr Vater und zeichnete sich mit seiner Art vom Rest des Dorfes ab.

Beauty and the Beast (wlw)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt