20. Ashley

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Ich sitze auf meinem Platz in der letzten Reihe und schaue auf mein Handy. Die Zeit bis zur Abgabe ist viel zu schnell vergangen. Jetzt sitze ich hier, starre auf mein bescheuertes Telefon und warte darauf, dass Frau Altenstein endlich die Noten bekannt gibt.

Alma hat mich mit den Punkten tatsächlich noch eingeholt, denn ich habe die vergangenen Wochen nichts gemacht. Nicht einen Jungen. Gedanklich bin ich andauernd bei Bennets Wörter und dem Abendessen.

Küss mich
Bennets Stimme hört sich klar und verständlich in meinem Kopf an, genauso wie an dem Nachmittag. Dieser Junge macht, dass ich mich ganz merkwürdig fühle. Er hat mich dazu gebracht, dass ich mich öffne, ihm Dinge erzähle, die er eigentlich nicht wissen dürfte.

Meine Mutter, mein Wunderpunkt. Ich habe bei ihm Schwäche gezeigt, mich geöffnet, dem Jungen von mir erzählt. Nicht einmal Alma und Court wissen, wie oder wo meine Mutter umgekommen ist, die beiden kennen mich eigentlich nicht. Das ist mir bewusstgeworden, als mein Vater Bennet nach seinen Freunden gefragt hat. Er hat seinen besten Freund, aber was habe ich? Ich nenne sie meine Freunde, aber wann habe ich ihnen etwas Intimes von mir erzählt? Unsere Freundschaft basiert doch nur auf Spaß, Sex und dummen Zeug.

Auf meinem Display poppt eine kleine Nachricht auf und ich starre sie einige Minuten an.

Wir müssen gleich reden Ashley

Ich starre Almas Namen noch länger an und merke gar nicht, wie sich alle umsetzen. Erst als sich jemand neben mir niederlässt, schrecke ich hoch.
„Gott verdammte Scheiße", fluche ich.
Bennets blauen Augen mustern mich. „Was ist?"
„Erschreck mich nicht so." Ich rutsche etwas von ihm weg und lasse mein Handy in meine Hosentasche gleiten.

„Redet sie wieder mit mir, ja?", fragt Bennet gereizt und lässt seinen Collegeblock auf den Tisch fallen.
„Wann habe ich nicht mit dir geredet?"
„Seit dem Abendessen hast du mich quasi ignoriert", erklärt er mir und ich ziehe die Augenbrauen zusammen.
Du hast mich ignoriert. Du hast mich plötzlich ignoriert", stelle ich klar.

„Nein, nein, nein, nein, nein", sagt er hastig. „Ich habe dir geschrieben, aber du hast es nicht gelesen."
„Nein, das stimmt nicht."
„Doch, das stimmt, Ashley, guck doch nach", sagt er beleidigt und zeigt auf mein Handy, das in meiner Tasche steckt. Ich hole mein Handy wieder heraus und öffne meine Chats.

Und tatsächlich. Drei Nachrichten von Bennet, die ich übersehen haben muss.
„Scheiße."
„Siehst du."
Ich seufze und stecke mein Telefon wieder weg. „Ich habe sie wohl irgendwie übersehen."
Bennet nickt. „Habe ich gemerkt."
Soll ich mich entschuldigen? Das würde merkwürdig rüberkommen, oder? Aber es wäre das richtige, nicht? Ich seufze und stütze meinen Kopf auf die Hände.

„Wieso sollten wir uns überhaupt umsetzen?", frage ich und mustere Bennet. Er hat seine Haare wohl geschnitten, denn seine Seiten sehen kürzer aus. Bennet trägt heute eine lange Jeans und ein schwarzes Shirt. Nichts Besonderes, nichts Auffälliges.
„Sie gibt uns unseren Aufsatz zurück", antwortet er mir netterweise und fährt sich durch die Haare.

Seine Augen zucken zu meinem Dekolleté, bevor sie wieder mein Gesicht fixieren. „Dein Vater ist sehr nett."
Ich lache. „Wie kommst du da jetzt drauf?"
„Wir haben an dem Abend nicht mehr viel geredet. Er ist sehr sympathisch."
„Das werde ich dann wohl an ihn weitergeben. Wird ihn freuen."

Bennet lächelt und hält meinen Blick stand. Sein Knie berührt plötzlich meines und es fühlt sich wie ein Stromschlag an, der durch meinen Körper zuckt. Ruckartig wende ich den Blick ab und versuche meine Röte zu verbergen.
Weil ich in die andere Richtung schaue, fange ich den verwirrten Blick von Emily auf. Sie schaut uns einige Sekunden an, bevor sie von meiner Lehrerin angesprochen wird.

„Arbeitest du eigentlich nebenbei? Also irgendwie?"
Mein Blick wandert wieder zu meinem Partner und ich hoffe, dass ich nicht allzu rot bin. „Wie meinst du das genau?"
„Du hast viele Klamotten von... teuren und hochwertigen Marken."
„Ach so." Ich schaue auf meinen Gürtel, der eine große, goldene Schnalle hat. „Ich arbeite noch nicht, nein. Das meiste ist von meinem Taschengeld."
„Dann musst du viel bekommen?", lacht Bennet nervös. Wenn er nur wüsste...
„Ich bekomme recht viel Taschengeld, stimmt schon", versuche ich mich aus der Situation zu retten.

Mein Partner nickt stumm und verschränkt seine Finger miteinander.
Wir sitzen schweigend nebeneinander, während sich unsere Mitschüler lautstark unterhalten. Das ist eine unangenehme Situation.
„Sind deine Brüder immer so?", fragt Bennet mich schließlich.
„Du stellst ziemlich viele Fragen", rutscht es mir heraus. Ashley, was zum Teufel ist in dich gefahren?! Lass den Jungen doch fragen! „Das... das war nicht so gemeint."

„Ist schon okay, Ashley." Bennet schaut mich nicht an, meidet meinen Blick.
Ich möchte etwas sagen, mich entschuldigen, aber es kommt nicht aus meinem Mund. Die Wörter liegen auf meiner Zunge, aber ich kann sie nicht aussprechen. Was stimmt mit mir nur nicht? Wieso fällt mir eine Entschuldigung so schwer?

Plötzlich landet ein Stapel Blätter auf unserem Tisch. „Wundervoll", ruft meine Lehrerin. Sie nimmt sich einen freien Stuhl von dem Tisch neben uns und lässt dich darauf fallen. Ihr Tablet legt sie auf den Tisch und tippt darauf.

„Wirklich, das haben Sie zwei toll gemacht. Hier musste ich Sie jedoch korrigieren." Frau Altenstein zeigt auf einen Abschnitt, der rot markiert ist. Mein Blick huscht zu Bennet, der ihrem Finger aufmerksam folgt. „Da haben Sie wohl zwei Sachen verwechselt, aber ansonsten, top. Die beste aus dem Kurs. Sie zwei haben das Thema gut getroffen, wie würden Sie sich selber einschätzen?"

Ich schaue Bennet an, der sich räuspert. „Eine eins minus oder zwei plus?" Meine Lehrerin schiebt ihr Tablet zu uns und öffnet eine Tabelle.
„Das ist Ihre Benotung. Hier die Anforderungen und hier sind Ihre Punkte. Sehen Sie das beide?" Sie deutet mit ihrem Finger auf die rechte Spalte, die unsere Punkte anzeigt. Bennet und ich nicken.

Ich überfliege die Punkte grob und uns fehlen kaum Punkte. „Hier", sagt sie etwas leiser und zeigt auf unsere finale Punktzahl. Dreiunddreißig von sechsunddreißig. „Das ist Ihre Note. Elf Punkte." Frau Altenstein schiebt das Bild etwas zur Seite und deutet auf eine andere Tabelle. „Sie können sich glücklich schätzen. Ihre Zeugnisnote sieht somit toll aus."

***

„Wir müssen über zwei Dinge reden", sagt Alma ohne eine Begrüßung. Sie packt mich am Handgelenk und zieht mich hinter sich her. Ich komme gerade aus meinem Kurs und werde von ihr direkt aus dem Gebäude gezogen?
„Über welche?", frage ich, aber sie antwortet mir nicht. Als wir bei Courtney angekommen sind, die an einem Baum wartet, lässt sich mich los. „Was ist denn in dich gefahren?"

„Wir müssen über Bennet reden."
„Bennet?"
Courtney nickt. „Ja, Ash."
„Wieso müssen wir über Bennet reden?" Ich schultere meine Handtasche richtig und ziehe mein Oberteil zurecht.
„Und über Cody", mischt sich Alma ein.
Ich schaue die beiden ungläubig an. „Wie bitte?"

„Ash, so geht das nicht mehr weiter."
„WAS denn?", rufe ich verwirrt. „Ihr redet so durcheinander." 
Alma nickt nach rechts. „Lass uns das auf den Weg uns Café klären."

Ash- kalt wie EisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt