~1~

292 14 3
                                    

„Ich hasse Berlin", misepetrig sah Pan sich um. Der Platz vor dem Brandenburger Tor war hoffnungslos überfüllt, wie jedes Wochenende. Passanten schrien, rannten, aßen, rempelten sich gegenseitig an, und schossen mit überteuerten Canon-Kameras Bilder. Paare zeigten durch Knutscherei, wie süß sie doch zusammen waren, und ältere Menschen beugten sich ratlos über Stadtpläne. Ich musste bei dem Anblick meines Bruders grinsen.
„Man lernt's lieben", belehrte ich ihn, während ich meine Kopfhörer entknotete. Kritisch runzelte Pan die Stirn: „Glaub ich nicht. Hier sind alle so ruppig."
„Die Touris vielleicht", gab ich nachdenklich zu, und musterte einen Mann, der auf 'Berlinerisch' seine Freunde begrüßte, „Berliner haben ihren eigenen Vibe, an den man sich gewöhnen muss."

„So wie die reden, könnten das alles Massenmörder sein!"
„Hunde, die bellen, beißen nicht", sagte ich, und erhob mich von der Bank, die wir ergattert hatten, „Und nun komm', Kayla sieht ziemlich hilflos aus."
Beim Anblick unserer kleinen Schwester, brach Pan endlich in Lachen aus, seine schlechte Laune schien vergessen; Kayla stand einige Meter von uns entfernt, und versuchte die zwei Hunde zu bändigen, von denen einer vor Angst starb, während der andere schwanzwedelnd alle Menschen anspringen wollte.
Ich hatte die beiden undefinierbaren Mischlinge nacheinander vor zwei Jahren und vor drei Monaten von der Tierschutz-Organisation Seelen für Seelchen adoptiert.

Die kleine Hündin Abbey, welche als erstes zu mir gefunden hatte, hatte erst zwei Jahre und drei Monate auf dem Buckel, und gab nicht mehr als 34cm her.
Abbey war noch immer extrem schreckhaft und skeptisch gegenüber großen Menschenmengen, wenn ich nicht in ihrer unmittelbaren Nähe war, obwohl sie zuhause gern mal frecher war, als ihr guttat. Durch ihr beiges, mittellanges Fell wirkte sie allerdings extrem flauschig. Das zog fremde an, die dann enttäuscht feststellen mussten, dass mein Hund sich eben nicht von jedem berühren ließ.
Ihr komplettes Gegenteil war der alte Rubber. Ein zottliger, 70cm großer Bursche mit langem, grau-weiß-schwarzem Fell und einem erblindeten Auge. Auf seine alten Tage hatte ich ihm einen Platz neben mir im Bett reserviert, denn das Fußende war für ihn schlichtweg zu klein, und außerdem nahm diesen Platz bereits Abbey ein. Rubber war ein bequemer Bursche, der sich über jedes Bisschen Aufmerksamkeit freute, welche ihm viel zu lange verwehrt geblieben war.

Eilig stopfte ich meine Kopfhörer wieder in die große Tasche meiner schwarzen Serpent-Jacke aus Kunstleder, um Kayla von den Leinen zu befreien. Dankbar sah sie mich an, während ich beinahe unter den beiden freudigen Tieren begraben wurde, die sich etwas zu sehr darüber freuten, dass ich wieder in unmittelbarer Nähe war.
„Lasst uns mal aus diesem Gewusel raus. Wolltet ihr nicht noch Souvenirs kaufen?", schlug ich vor, und sah mich nach dem nächsten Laden um.
„Dad wollte, dass wir welche kaufen", korrigierte mein Bruder mich, nun viel entspannter als zuvor, „Und dich sollten wir nebenbei auch wieder heim holen. Was findet er nur so an dir? Ich mein'... Du bist zwanzig. Volljährig. Du kannst doch allein leben!"
„Tue ich ja auch", seufzte ich, „Aber Vater hat ein ziemlich großes Interesse an meinen Kräften."
„Und an seinen Plänen", steuerte Kayla zu dem Gespräch bei, während wir uns einen Weg vom Platz bahnten, auf den nächsten Shop zu.

Während die beiden eintraten, um passende Geschenke zu suchen, wartete ich mit Rubber und Abbey draußen, und versuchte, die zwei zu bändigen. Gerade heute hatten die zwei offenbar beschlossen, mir das Leben durch verknotete Leinen schwer zu machen. Vertieft in die unlösbaren Knoten bekam ich kaum mit, dass sich uns ein junger Mann näherte. Erst, als er einen Ruf der Überraschung ausstieß, riss ich den Kopf hoch. „Rubber!", entsetzt riss ich den Hund zurück, und beobachtete den kurz strauchelnden Mann.
„Oh Gott, das tut mir so leid!", entschuldigte ich mich kleinlaut bei ihm, „Aber bei dem alten Jungen ist jede Erziehung sinnlos, und Menschen, die er sympathisch findet, springt er eben an, wenn man kurz nicht aufpasst..."

„Na dann seh' ich das mal als Kompliment", lachte der Mann verschmitzt, und erleichtert stellte ich fest, dass er es mir nicht krumm zu nehmen schien. Einige Herzschläge lang sahen wir uns nur schweigend an. Ich schätzte den Fremden auf 20 bis 25 Jahre, wobei die dunklen, langen Locken ihn vermutlich um einiges jünger aussehen ließen. Er schien recht gut gebaut, trug ein schwarzes T-Shirt, welches in weißen Lettern sein Fandasein zu Sherlock verkündete. Die blaue Jeans, die grauen Schuhe und die schwarze Uhr an seinem Handgelenk wirkten dagegen eher schlicht gewählt.
„Kann ich mich trotzdem irgendwie bei dir entschuldigen?", als er gerade bescheiden etwas sagen wollte, gab ich ihm mit einem nachdrücklichen Lächeln zu verstehen, dass ich keinen Widerspruch duldete. „Ich kenne ein gutes Café in der Nähe."
„Eigentlich gern", sagte er, und warf einen Blick nach rechts. Ich tat es ihm gleich, und bemerkte eine Gruppe von jungen Männern, die uns beobachteten. „Aber ich treff' mich mit meinen Kollegen wegen der Arbeit. Hast du vielleicht morgen Zeit?"

„Morgen klingt gut", stimmte ich nach kurzem Überlegen zu, „Meine Geschwister sind zu Besuch, aber die werden sich sicher mal ein wenig selbst beschäftigen können. Wenn du mir noch schnell deine Nummer gibst, müssen deine Kollegen nicht länger warten, und wir können später alles genauere besprechen."
Nun zögerte er kurz, bevor er nickte. Schnell war die Nummer diktiert.

„Wie soll ich dich eigentlich einspeichern?"
„Ich heiße Jay Samuelz", antwortete er, „Und du?"
„Alycia Zander", stellte ich mich vor. Nach einem kurzen Blick zum Shop stellte ich fest, dass Pan und Kayla sich uns näherten, „Also dann, da kommen meine Geschwister auch schon wieder. Bis morgen, Jay!"
„Bis morgen, Alycia", verabschiedete er sich, und als ich mich zu meinen Geschwistern gesellte, spürte ich noch kurz seinen Blick auf mir ruhen, bevor auch er sich seinem eigentlichen Ziel widmete.

Just like Spiderman // Jay Samuelz (Jay & Arya) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt