Es war der 4. Dezember des selben Jahres.
Ein halbes Jahr nach meiner ersten Entlassung aus der Klinik, als mir meine Psychiaterin, nachdem ich gestanden hatte dass ich wieder versucht hatte mich umzubringen(weil ich bis dahin nie den Menschen gefunden habe der mich genauso lieben würde und meine Hoffnungen für die Zukunft gleich null waren)
,einen Einweisungsschein ausstellte und ich mich noch am selbigen Tag in der Jugendpsychiatrie vorstellen sollte.
In diesem Moment ist bei mir nach all den, erst kürzlich hinter mir gelassenen, Grausamkeiten die Sicherung rausgeflogen. Ich hatte panische Angst vor den Ärzten die mir wieder ein falsche Diagnose und Krankheit zuschreiben könnten. Ich hatte Angst vor dem Aufenthalt der sich ins Unendliche ziehen konnte ohne Aussicht auf Entlassung. Ich hatte Angst vor der Abgeschiedenheit und Unterwerfung. Ich hatte einfach Angst vor all dem was ich dort erlebt hatte.
Und diese Angst wuchs in mir mit jedem Stück das wir in Richtung Krankenhaus zurücklegten. An der Rezeption wurde mir schlecht, ich konnte seltsamer Weise kaum Atmen. Ich sah einfach rot.
Das war der Punkt, an dem ich mich umgedreht habe, den Schalter für die elektronische Tür gedrückt habe, und gerannt bin solange ich noch konnte.
Ich bin gerannt wie ein Tier das gejagt wurde. Weil ich wusste, dass alle gesetzlich dazu verpflichtet waren mich nun jagen und einsperren zu müssen.
Bin durch den Park davor gehastet, habe mich ständig umgedreht um zu sehen ob mir jemand nach kam, vorbei an spielenden Kindern und Hunden, bis ich eine Straßenbahnhaltestelle erreichte. Dort stieg ich ein und fuhr in die Innenstadt zum Verkehrshotspott. Ich wollte so weitläufig wie möglich in Bewegung bleiben um nicht gefasst zu werden.
Währenddessen klingelte mein Handy ununterbrochen unter den Anrufen meiner Eltern, die sich natürlich ungeheuerliche Sorgen machten. Aber ich ging nicht ran. Denn sie wollten, dass ich nach Hause komme. Was jedoch die sichere Gefangenschaft bedeuten würde.
Ich hatte Angst jederzeit aufgegabelt und zurückgebracht zu werden. Ein Freund von mir schrieb mich an. Bei ihm stand die Polizei vor der Tür. (Die engeren Kontakte wurden abgeklappert und befragt) Meine Emotionen gingen durch und ich fuhr und eilte durch die gesamte Stadt. Vorbei an bekannten Ecken, vorbei an Orten die ich nie gesehen hatte, immer weiter. Hauptsache frei. Und erst auf dem überfüllten Weihnachtsmarkt, der sich durch die komplette Innenstadt mit tausenden Besuchern zog, fühlte ich mich einigermaßen sicher. Dort schaltete ich mein Handy aus um die Chance geortet zu werden zu minimieren.
Dann verweilte ich 2 Stunden zwischen den Menschen, die uneingeschränkt und ohne Furcht die Vorweihnachtszeit mit Glühwein und gebrannten Mandeln genossen. Keine angenehme Sekunde verstrich für mich und die innere Spannung legte sich nicht. Und in diesem Zustand der Verzweiflung und dem ziellosen Umherirren bin ich ironischer Weise in dem Getümmel auf eine Freundin gestoßen. Diese schaffte es mich für den Moment zu beruhigen und kam der Bitte meiner Mutter nach mich nach Hause zu bringen.
Als ich durch unser Gartentor schritt und klingelte stand kein Einsatzwagen in der Straße. Dafür aber ein Dutzend Polizisten im Hausflur sobald sich die Tür öffnete. Alle einen Kopf größer und eine Schulter breiter als mein 16 jähriges Ich. Es lief mir kalt den Rücken runter und ich wäre am liebsten einfach wieder gegangen, doch das wäre zwecklos gewesen. Stattdessen versuchte ich zu kooperieren und machte deutlich dass ich unter keinen Umständen in die Klinik wollte und weshalb. Darauf hin wurde ein Notarzt herbeordert. Einer der Polizisten meldete sich durch sein Funkgerät und erklärte die Suche nach mir für sämtliche Streifenwagen in der Umgebung für beendet. Genauso wurde die Hundestaffel zurückgerufen, die tatsächlich an getragenen Klamotten von mir gerochen hatte. Wie mir meine Mutter im Nachhinein erzählte.
Der Notarzt traf ein und sollte einschätzen ob ich in die Psychiatrie musste oder nicht. Eine kurzzeitige Hoffnung, die relativ schnell wieder zerschlagen wurde. Denn der Einweisungsschein einer Psychiaterin war in der medizinischen Hierarchie ein direkter Befehl der nicht verweigert oder überdacht werden durfte. Somit zählte ich meine Kontra-Argumente auf, um von einem simplen: „Ja das steht hier aber recht eindeutig geschrieben." völlig entmachtete zu werden.
Demnach wurde ich also nett gezwungen in einen Krankenwagen einzusteigen und in die Jugendpsychiatrie gefahren. Wir hatten zwar angeboten dass mich meine Mutter hinfahren könnte, dieser Vorschlag wurde jedoch, nicht ganz unverständlich, ausgeschlagen. Gut 2 Tage nach meiner Entlassung trudelte dann im Briefkasten eine Rechnung für den unvermeidlichen Transport im Rettungswagen in Höhe von 10€ ein. Ich war zwar gezwungen worden dort mitzufahren, aber immerhin kostete es nicht die Welt. (Bleibt dennoch eine kleine Unverschämtheit ) Demnächst müssen Insassen eine Strafe zahlen, weil sie eine Zelle belegen. Genauso wie Fußballspieler, die nach einem Platzverweis das Spielfeld verlassen.
(Wenigstens kann ich nun von mir sagen, dass ich in einem Krankenwagen mitgefahren bin.)
Und so bin ich erneut in der Klinik gelandet. Es gab das ganze Programm in seiner vollen Bandbreite. Von Nervenzusammenbrüchen, über dramatische Sinnlosigkeiten, bis hin zur absoluten Königsdisziplin der Fixierung.
Achja. Bei den Schreien kam die Nostalgie an vergangenen Aufenthalt und man wusste sofort wo man war.
Eine große Abweichung zum Bisherigen lieferte jedoch die Länge meines dortigen Bleibens. Dieses ging nämlich nur unglaubliche 3 Wochen. (Zwar wieder ohne festes Entlassungsdatum und mir wurde erst einen Tag vorher gesagt dass ich gehen darf, aber ich will mich nicht beklagen)
Worüber ich mich allerdings beschweren muss ist dass ich echt deepthroaten musste um noch vor Weihnachten raus zu kommen. Ich habe mich unterbuttern lassen, wie eine Scheibe Brot. Die Anderen hatten weniger Glück. Denn bei den meisten stand schon im Vorhinein in den Akten fest, dass sie die Feiertage dort verbringen mussten.
Merry Christmas ❤️👌😒
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Never again! [Meine Zeit in der Jugendpsychiatrie]
Ficção Adolescente„Die schwierigste Zeit in unserem Leben ist die beste Gelegenheit, innere Stärke zu entwickeln." ~Dalai Lama Du dachtest immer das Gefängnis wäre schlimm? Dann lasst mich euch von einem drastischerem Ort berichten dessen Leute völlig unschuldig sind...