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«Ach, komm schon Korra. Alle machen mit.» Iris lächelte mich freundlich an. «Nein, schon gut. Wahrheit oder Pflicht ist echt nicht mein Ding. Ausserdem...» Ich sah auf mein offenes Biobuch, das auf meinem Kissen lag, «ich muss noch das letzte Kapitel bearbeiten.» Iris sah auf das Biobuch, runzelte die Stirn und sah mich verwirrt an. «Aber wir haben nächste Woche doch gar keine Prüfung. Oder doch?» «Nein aber...» «Nichts da, Korra, aufstehen! Es GEHT nicht, dass du nicht mitspielst. Über wen sollen wir den sonst lachen?» Debrah kam in mein Zimmer getrottet und grinste mich spottend an. Ich verdrehte nur die Augen und las weiter. Ich hasste dieses Mädchen. Diese fiese Schlange hatte es in der ersten Klasse geschafft, alle gegen mich aufzuhetzen und seither bin ich die Aussenseiterin. Keiner wollte mit mir befreundet sein, denn sonst hätten sie es mit Debrah zu tun gehabt. Sie war der Liebling der Klasse; sie war schön und beliebt, hatte immer die coolsten Klamotten und war super selbstbewusst. Und natürlich hatte sie sich den Badboy der Schule gekrallt. Wie auch immer, ich hatte mich schon längst damit abgefunden, dass sie mich als Zielscheibe nahm und ging nicht mehr auf ihre Sticheleien ein. Naja, jedenfalls versuchte ich es. «Na koooooomm schon» Debrah machte einen Schmollmund und sah mich zuckersüss an. Genau in dieser Sekunde tauchte Castiel hinter ihr auf, wahrscheinlich war er auf der Suche nach ihr. Ich schluckte und schaute schnell wieder in mein Buch, bevor irgendjemand bemerkte, dass ich rot wie eine Tomate wurde. Natürlich fand ich ihn toll, wer nicht? «Lasst sie doch, wenn sie nicht will, ist das ihr Problem. Die anderen warten schon», sagte er genervt und ging wieder. Na toll, dachte ich traurig, er muss mich für die komplette Streberin halten. Iris zuckte nur die Schultern und folgte ihm, Debrah aber blieb. «Wenn du nicht kommst, meine Liebe, erzähle ich in der ganzen Schule, dass du noch in der achten Klasse nicht wusstest was ein Tampon ist. Willst du wirklich, dass noch eine Abartigkeit auf die Liste der Abartigkeiten kommt, die um dich herum kreisen?» «Mach doch was du willst», nuschelte ich. Natürlich war es mir nicht egal, aber ganz ehrlich, was machte es schon, wenn sie ein weiteres Gerücht über mich in die Welt setzte? Es würde sich rein gar nichts an meiner jetzigen Situation ändern. «Na gut, dann erzähle ich Cassylein dass du voll auf ihn stehst und zuhause eine «Ich-Liebe-Castiel-Box» mit allerlei ekligen Sachen von ihm hast» Ich erbleichte augenblicklich. «Na also, geht doch. Jetzt komm, die anderen warten schon», sagte sie wieder mit ihrer gekonnt zuckersüssen Stimme und hielt mir die Zimmertür auf. Ich seufzte und legte das Buch weg. Wie schlimm konnte es schon werden? Es interessierte sich sowieso niemand für mich, also würde mich auch niemand etwas fragen.

Als mich die anderen erblickten, ging es schon los. Einiges an Gepfeife und «Ooooh's» war zu hören. Mit hochrotem Kopf setzte ich mich schnell zwischen Viola und Armin hin. Letzterer fing sofort an, mich zu necken. Ich ging nicht weiter auf seine Sticheleien ein und starrte auf den Boden vor mir. «Na gut, die Regeln sind folgendermassen», wie toll, dachte ich mir, natürlich musste Debrah das Spiel leiten. «Maximal zweimal Wahrheit hintereinander, es soll ja nicht langweilig werden. Der Zufallsgenerator entscheidet, so kommen sicher alle einmal dran. Ach, und jede und jeder hat EINE Chance, jemand bestimmtes anzufragen, kapiert? Ach ja, und wehe jemand beantwortet die Fragen nicht wahrheitsgemäss», dabei sah sie sehr offensichtlich mich an und alle mussten lachen. Das wird ja lustig, dachte ich mir und sank ein Stückchen weiter in mich zusammen. «Sind noch Fragen? Nein? Na dann, los!»

Entgegen meiner Erwartungen wurde es ganz lustig. Ich hatte Glück und wurde nur zweimal gewählt. Beides mal hatte ich Wahrheit genommen und musste bescheuerte Fragen wie «hattest du schon einen Freund» und «aber geküsst hast du doch schon» beantworten. Als ich die zweite bejahte, wurde es kurz still, Kentin, der die Frage gestellt hatte, fragte sofort, wer es denn gewesen sei. Ich rollte mit den Augen und erwiderte lächelnd, dass er nur eine Frage stellen dürfe. Ein paar mussten sogar lachen. Natürlich konnte Debrah diese Tatsache nicht unkommentiert lassen. «Lass sie, Kennilein, wenn sie nicht mit der Wahrheit rausrücken will, ist das ihre Sache. Wir wollen sie ja nicht blamieren.» Ich konnte nicht anders als rot zu werden aber zum Glück ging niemand auf ihre Bemerkung ein. Kentin zog eine Schnute, er hasste es, wenn die anderen ihn Ken nannten, wagte es aber nicht, zu kontern. Wie denn auch, mit Castiel an ihrer Seite? Das Spiel ging weiter, die meisten hatten schon was getrunken und die Stimmung war super. Die Pflichtaufgaben wurden immer intimer, Kim zum Beispiel musste Armin küssen und Rosa Nathaniels Sixpack streicheln, der bei seiner Pflichtaufgabe vorher sein Shirt ausziehen musste. Zum Glück spielten doch recht viele mit, und so kam mein Name gar nicht mehr dran. Auch wurden die Jokerfragen ausgespielt, Melodie zum Beispiel verlangte einen Kuss von Nath, der wiederrum küsste sie auf die Wange mit der Bemerkung, dass sie nicht explizit gesagt hatte, wohin er sie küssen solle. Das Spiel neigte sich dem Ende zu. Armin stellte seine Jokerfrage Debrah und nachdem sie Pflicht wählte, musste sie in Unterwäsche ums Haus rennen. Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper, zog ihre Sachen aus und stolzierte raus. Sie hatte auch keinen Grund, sich zu schämen, ihre Figur war perfekt. Als sie zitternd reinkam (draussen war es doch sehr kalt geworden) und ihre Sachen wieder anzog, blickte sie in die Runde. Unsere Blicke kreuzten sich und sie grinste mich arglistig an. «Meine Jokerfrage geht an Korra» Oh neinneinnein, dachte ich, während ich immer bleicher und bleicher wurde. «Wahrheit», stotterte ich. «Nichts da, meine Liebe, das hattest du schon zweimal». Die anderen stimmten ihr zu, natürlich, dachte ich mir. Als ich nichts erwiderte, wurde ihr Grinsen immer breiter. «Aber ich will mal nicht so sein, ich stelle dir zwei Aufgaben und du darfst wählen, ok?» Als ob sie meine Zustimmung bräuchte, dachte ich mir, ich nickte aber trotzdem. «Also dann», sagte sie, «entweder...» sie schaute wieder im Raum herum und ihr Blick bliebt an Castiel hängen. Bitte, bitte nicht! Ich sah sie flehend an, doch dadurch wurde ihr grinsen noch breiter. «Entweder, du bläst Castiel einen...» Ich soll was? Auch Castiel schaute fragend zu seiner Freundin. Im Raum wurde es plötzlich ganz still, alle hingen an Debrahs Lippen. «oooder du... wirst für zwei Wochen sein Mitbewohner» Das war nun anscheinend auch für Castiel zu viel, denn nun war er es, der ein verwirrtes «was?» hervorbrachte. «Ach, komm schon, Schatz, als hättest du nicht genug Platz», meinte sie genervt und schaute ihm in die Augen. Nach einer Weile zuckte er nur mit den Schultern und sah dann zu mir rüber. Ich wiederrum war wie erstarrt, was wollte Debrah damit bezwecken? Ich sah mich panisch um, doch alle Blicke waren auf mich gerichtet. «Ich an deiner Stelle würde das erste nehmen, du hältst es keine drei Stunden bei mir zuhause aus», sagte Castiel plötzlich schmunzelnd und alle mussten lachen. Wieso lachen jetzt alle, was ist so lustig daran? War das sein Ernst? Ich werde ihm sicher keinen blasen, doch nicht so! Geh einfach, sagte eine Stimme in mir. Es ist nur ein Spiel, steh auf und geh! Doch ich war wie festgewurzelt. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. «Was ist, hat es dir die Sprache verschlagen?», fragte Debrah zuckersüss. Wut kochte in mir auf. Na gut, wenn beide es unbedingt wollten. «Das zweite, ich wähle das zweite». Ich erkannte meine Stimme kaum wieder. Castiel sah überrascht hoch, doch ich beachtete ihn nicht. In meinen Ohren pochte das Blut und mir wurde schwindelig. Was habe ich da gerade getan? Ich kann nicht so einfach für zwei Wochen weg. Was soll ich nur meiner Mutter sagen? Oh Gott, und wie wird Nihaku reagieren? Was habe ich nur getan? Plötzlich bemerkte ich, dass alle applaudierten. Nur Debrah starrte mich fassungslos an.

Wie kam es soweit?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt