Die Beachparty fand bei uns mitten in der Stadt statt, was ich erst einmal für außerordentlich komisch hielt. Strand in einem Meer von Beton und Glastürmen? Doch während die Sonne am Horizont versank, als ich abends am vereinbarten Treffpunkt auf Aiden wartete, konnte ich schon von weitem erkennen, dass die Veranstalter sich echt Mühe gegeben hatten. Auf dem Platz war eine Menge Sand verteilt, man konnte kein Stück der Straße mehr erkennen. Dazu kam ein großer Pool, der von täuschend echt aussehenden Palmen umgeben war. Und was natürlich auch nicht fehlen sollte – Stände über Stände mit Alkohol.
„Huhu!", ein winkender Arm tauchte in meinem Augenwinkel auf. „Da bin ich!" Mit federndem Gang kam Aiden auf mich zugelaufen. Ich konnte es mal wieder nicht lassen verstohlen sein Outfit zu bewundern. Für die Beachparty trug er ein schwarzes Tanktop, das locker um seinen Körper herumwehte und auf dem ein Totenschädel, welcher von einer weißen Schlange umkreist wurde, abgebildet war. Um seine Handgelenke tummelten sich schwarze Armbänder von allen möglichen Anlässen, an seinen Fingern befanden sich mit Silberverzierungen besetzte Ringe. Seine Beine steckten ihn einer engen Lederhose, welche an den Seiten durch ein in Kreuzen geschlängeltes Band zusammengehalten wurde. An den Füßen trug er dicke Boots mit etwas Absatz.
„Hast du nicht vor schwimmen zu gehen?", lenkte ich meinen Blick wieder auf sein Gesicht.
„In dem Aufzug geht das ja schlecht." Entschuldigend deutete er auf seine Klamotten. „Du aber offensichtlich auch nicht, oder?" Aiden nutzte diesen Kommentar um auch mich gehörig zu mustern. Augenblicklich fühlte ich mich gleich noch hässlicher in meinem bunten Hawaiihemd (welches Aiden mir letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte und eigentlich so gar nicht in meinen Kleiderschrank passte) und der ausgebleichten Shorts, die ich mit ausgelatschten, braunen Flipflops kombiniert hatte.
Ich senkte meinen Blick und vermied es in seine Augen zu schauen. Ich hatte Angst in ihnen zu ertrinken. Wieder. Stattdessen fragte ich etwas ungeduldig: „Wollen wir jetzt endlich los?"
„Ich bin stets bereit!", erwiderte Aiden gut gelaunt und rauschte voran. Etwas langsamer folgte ich ihm. Nachdem wir an der Kasse unsere Tickets vorgezeigt hatten, verschafften wir uns erst einen kurzen Überblick. Aiden bewunderte mit großen Augen die Plastikpalmen, während mein Blick eher nach einem ruhigen Plätzchen Ausschau hielt. Die Gäste dieser Beachparty bestanden hauptsächlich aus Schülern unserer Jahrgangsstufe, was mich kaum wunderte, denn eine andere Schule gab es hier in der Nähe nicht.
„Yo Aiden!" Neben uns kamen Valentin und seine Freunde angeschlichen, jeder mit einem Cocktail bewaffnet. „Ihr seid aber spät dran. Hat dein Kumpel immer noch Stress gemacht?" Bei diesen Worten gruben sich seine pechschwarzen Pupillen in mein Gesicht und mich schauderte es. In seinem gewöhnlichen Aufzug, der fast wie bei Aiden nur aus komplett schwarzem Stoff bestand, wirkte Valentin doch schon recht unheimlich. Seine Haare, die wild zur Seite gestyled waren und dadurch sein rechtes Auge halb verdeckten, machten das Ganze nicht gerade angenehmer.
„Ach was!", wimmelte Aiden ihn ab, „Im Gegenteil! Eigentlich war ich zu spät, ihr kennt doch meine Pünktlichkeit." Ich nutzte das Gespräch um mich geschwind davon zu schleichen. Aiden warf mir zwar einen etwas vorwurfsvollen Blick zu, doch machte keine Anstalten, mich davon abzuhalten. Ein winziger Stich durchfuhr mich.
Ich beschloss mich an eine der Bars zu setzen und den ganzen Abend hier zu verbringen. Da ich mir mit Alkohol wahrscheinlich eine gewaltige Tracht Prügel zuhause einbringen würde und er mir ohnehin nicht schmeckte, bestellte ich mir einen alkoholfreien Cocktail. Den Kopf auf den an der Bar aufgestellten Arm gestützt, beobachtete ich wie die flotte Barkeeperin das Getränk zubereitete. Ihre Hände arbeiteten flink und zielstrebig, sie hatte diese Arbeit wohl schon tausende Male vollbracht. Trotzdem war es faszinierend zuzuschauen mit was für einer Geschwindigkeit sie die Getränke zusammenmixte und dabei an keiner Sorgfältigkeit verlor. Irgendwie kamen ihre Haare mir bekannt vor...
„Bitte schön!", knallte sie das Glas, verziert mit Schirmchen und Strohhalm, vor mir hin.
„Marie?", platzte es im selben Moment aus mir heraus. Ungläubig musterte ich ihr Namensschildlichen, um mich noch einmal zu vergewissern. Tatsache, es war Marie, meine ältere Schwester.
„Weiß Dad, dass du hier bist?"
„Wüsste nicht, was dich das angeht", zischte sie, während ihre rechte Hand angestrengt einen Fleck von der Bar-Theke wegwischte.
„Weiß Dad denn, dass du hier bist?", fragte sie im nächsten Moment, begleitet von einem hämischen Lächeln.
"Ja", nickte ich, beinahe fühlte es sich so an, als würde ich ihr damit eins auswischen, denn ihr Gesicht verfinsterte sich wieder. „So lange ich keinen Alkohol trinke und morgen früh wieder da bin, darf ich."
„Wahrscheinlich hofft er, dass du endlich mal dir eine Freundin aufgreifst. Aber du bist ja lieber mit deinem seltsamen Kumpel unterwegs." Innerlich verdrehte ich die Augen, aber wahrscheinlich hatte sie mit dieser Annahme Recht. Auf diese Idee hätte ich auch schon selbst kommen können...
„Aber wer würde denn schon mit dir ausgehen?", hackte sie weiter auf mir herum. Wo sie Recht hatte, hatte sie aber auch nun mal Recht.
„Du hast doch selber keinen Freund...", versuchte ich murmelnd zu kontern, doch das löste nur ein spöttisches Lachen bei ihr aus.
„Wenigstens hatte ich schon mal eine Beziehung." Herausfordernd stützte sie sich mit ihren Armen auf der Theke ab und grinste mir ins Gesicht. Mir reichte das Theater. Ich wollte mich nicht von meiner Schwester noch mehr runterziehen lassen, also trank ich das Getränk mit einem Schluck leer und knallte es vor ihr auf den Tisch, wie sie es auch vor wenigen Momenten tat. Ihr den Rücken zukehrend suchte ich nach einem anderen Platz, an dem ich meine Ruhe finden würde.Schließlich entschied ich mich für die Schaukelbank aus Holz, die etwas abseits des ganzen Geschehens stand. Hier hinten dröhnte die Musik nicht so laut und Leute waren hier auch nicht. Perfekt.
Von weitem beobachtete ich wie Aiden sich lautstark mit seinen Freunden unterhielt. Sie schienen Spaß zu haben. Ab und zu streckte er den Kopf aus der Menge und sah sich suchend um, doch aufgrund meiner Position konnte er mich nicht sehen. Zum Glück. Wenn er überhaupt nach mir suchen würde...„Na, ganz alleine?" Eine weibliche Stimme zerrte mich aus meinen Gedanken. Der Richtung der Stimme folgend schaute ich nach links. Mein Blick fiel auf ein Mädchen, welches man zweifelsohne als hübsch bezeichnen konnte. Wenn ich hetero wäre, würde ich mich dann zu ihr hingezogen fühlen?
Sie stolzierte gemächlich auf mich zu, ihre Füße steckten in hohen, schwarzen Stiefeln mit einem mordsmäßigen Absatz. In ihrer Hand hielt sie ein Glas mit einer hellen Flüssigkeit, verziert mit Früchten und einem ausgefallenem Strohhalm. Ihre Haare hatten die Farbe einer Kastanie, ihre Lippen waren blutrot. Selbst ich konnte die Ladung von Schminke auf ihrem Gesicht erkennen.
„Hast du Lust auf ein wenig Spaß?" Ihre Stimme hatte den Klang einer summenden Biene. Sie wollte wohl verführerisch klingen, doch da hatte sie Pech gehabt. Ihre Worte lösten nichts in mir aus, da konnte sie noch so sehr mit ihren Hüften wackeln oder auf ihren Stelzen auf mich zu tänzeln. Andererseits – vielleicht könnte ich mich so endlich mal ablenken. Das Bild von Aidens Hand in meiner verdrängen. Vielleicht war ich ja doch nicht schwul und ich musste mich nur einmal auf ein Mädchen einlassen? Es gäbe nichts, was ich mir lieber wünschen würde. Dieser verdammte Crush auf Aiden zerstörte mich.
Zögernd setzte ich mich gerade hin und nickte. Wie bescheuert ich wohl aussehen musste. Ich hatte doch noch nie etwas mit irgendjemandem, weder Junge, noch Mädchen, woher sollte ich denn wissen, was ich tun sollte? Überhaupt, was hatte das Mädchen hier eigentlich zu suchen? Hier, abseits von der Musik und dem Spaß. Warum sollte sie wegen jemandem wie mir hier her kommen?
Das Mädchen ließ sich langsam auf meinen Schoß gleiten. Ihre Arme umschlangen meinen Rücken und drückten mich fest gegen ihre Brust.
„Ich heiße Jenny", hauchte sie mir ins Ohr. Mit den Worten konnte ich die Alkoholfahne, die von ihrem Mund ausging, riechen. Das alles war mir so unangenehm. Ich mochte dieses Mädchen nicht, warum machte ich das hier? Wem wollte ich etwas beweisen? Mir? Meiner Schwester? Meinem Vater?
Obwohl ich am liebsten sofort weg gerannt wäre, zwang ich mich dazu, mitzuspielen. Ich wusste nicht wohin mit meinen Armen, also legte ich sie einfach um ihre Hüfte. Jenny strich sich langsam ihre Jacke von den Schultern, während ihr Gesicht sich allmählich meinem näherte.
„Du bist so angespannt...", ihre rotlackierten Fingernägel spielten mit meinen Haaren. „Entspann dich doch ein bisschen..." Ja Jenny, ich wünschte, ich könnte das. Ich wünschte, ich könnte es genießen, verdammt noch mal. Warum? Warum war ich so?
Inzwischen war ihr Gesicht fast unmittelbar vor meinem. Ich konnte jeden ihrer Atemzüge in meinem Gesicht spüren. Sie würde mich küssen. Ihre roten Lippen waren gespitzt. Weg mit ihr! Schrie mein Kopf. Weg mit ihr! Schrie mein Herz. Und endlich kam wieder Leben in meine Arme.
Ich stieß sie von mir, stärker, als ich es eigentlich beabsichtigt habe. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich die ganze Zeit den Atem angehalten hatte und japste nach Luft.
„Es tut mir leid", keuchte ich, aber ich wusste nicht was ich sonst sagen sollte. „Es tut mir leid!" Ich weiß nicht, was für eine Reaktion ich in diesem Moment von ihr erwartete, wie sie so da lag, ihre Beine etwas gespreizt, die Hände auf dem Boden abstützend, die Jacke wehte ihr sanft um den Oberkörper. Jedenfalls hatte ich nicht erwartet, dass sie anfangen würde zu lachen.Ihr Lachen passte nicht zu ihrem Aussehen. Sie war hübsch, und ihr Lachen war hässlich. Es wär grauenvoll, spöttisch, lächerlich, ohrenbetäubend. Und als ich mich umsah, bemerkte ich, dass sie nicht die einzige war, die lachte. Rund um mich herum waren spöttische Gesichter. Und direkt hinter Jenny – meine Schwester.
Ich hätte es wissen müssen.
Warum besteht mein Leben nur daraus, im Unglück zuertrinken?
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Schwimmkurs || BoyxBoy
RomanceAiden kann nicht schwimmen. Und gottverdammt, Stanley kann ihn einfach nicht ertrinken lassen. Doch er bemerkt, dass er sich selbst kaum über Wasser halten kann. Eine abgeschlossene Kurzgeschichte in sieben Kapiteln.