Aiden führte mich an einen See. Er lag versteckt zwischen Schilf und Bäumen und ich hatte ihn bis jetzt noch nie bemerkt, obwohl er nur zehn Minuten Fußweg von Aidens Haus entfernt war.
Er hatte meine Hand wieder genommen. Inzwischen fing ich an, nicht mehr an Zufälle zu glauben.
Sein Blick war starr auf das ruhige Wasser gerichtet. Um uns herum herrschte wieder einmal Stille, doch diesmal war es eine angenehme Stille, da die Geräusche um uns herum mehr aussagten, als wir es selbst hätten ausdrücken können. Das Schilf raschelte. Tiere huschten durch das Gras. Ab und zu war ein leises Plätschern zu vernehmen. Die Regentropfen prasselten auf die Blätter der Bäume.
Es roch nach Nacht und Natur. Ein schöner Geruch. Mit Aiden an meiner Seite gelang es mir fast, die Geschehnisse zu vergessen.
Aiden zeigte auf das Wasser.
„Hier bin ich vor zehn Jahren beinahe ertrunken. Ich weiß noch genau, wie es sich angefühlt hat. Wie das Wasser meine Lungen füllte und in jede Pore meines Körpers eindrang, wie niemand meine gurgelnden Hilfeschreie hörte, wie die Schwärze mich allmählich verschluckte. Schlussendlich hat mich jemand bemerkt. Doch bis heute habe ich Angst vor Wasser." Ich hielt seine Hand fester. Ich wollte nicht, dass er wieder weinen würde.
Wir setzten uns in das Gras.
„Stanley, es gibt etwas, das ich dir beichten muss."
„Was ist es?"
„Bitte versprich mir, dass du nicht sauer sein wirst." Ich schwieg. Nach einer kurzen Pause fuhr Aiden trotzdem fort.
„Auf der Party am Freitag, da war ich gar nicht betrunken. Zumindest nicht so sehr, wie ich es dir vorgespielt hatte." Ich konnte sein Herz in meiner Hand klopfen spüren. Mein Verstand brachte es nicht fertig, die Aussage vollständig aufzunehmen.
„Kannst du dich an alles erinnern?", fragte ich nur. Er nickte.
Schweigen.
„Du hast mich an dem Tag gefragt, ob ich dir das Schwimmen beibringen könnte", sagte ich.
„Ja. Verstehst du, was ich meinte?"
„Ich glaube schon. Aber ich befürchte, ich kann selbst nicht mehr schwimmen. Mein Kopf wurde unter Wasser gedrückt, bis ich keine Luft mehr bekommen habe. Ich weiß nicht mehr, ob ich mich noch ins Wasser traue."
„Dann müssen wir wohl beide einen Schwimmkurs nehmen." Trotz der Umstände mussten wir beide leise lachen.
Aiden löste seine Hand aus meiner und legte stattdessen den Arm um meine Schulter. Er zog mich so nah an sich heran, dass ich seinen Geruch trotz der vielen Nachtgerüche wahrnehmen konnte. Er roch nach einer Mischung aus Zigaretten und Tee.
„Vielleicht müssen wir aber auch selbst lernen, zu schwimmen", murmelte er. „Vielleicht sollte ich aufhören in meinem Gedankenchaos zu ertrinken und endlich auftauchen. Endlich das sagen, was ich sagen möchte und nicht nur irgendetwas sagen, um von meinen Gedanken abzulenken. Vielleicht endlich aufhören, Angst vor dem Ertrinken zu haben..." Sein Blick schweifte in die Ferne. Ich schaute in den Nachthimmel. Man konnte die Sterne sehen, die wie kleine Diamanten am Himmelszelt funkelten. Der Mond schien immer noch so hell wie die Sonne. Der Regen fiel in grauen Fäden auf den See.
„Und ich sollte vielleicht aufhören, Angst vor dem Tauchen zu haben. Auch einen Sprung ins kalte Wasser zu riskieren. Mich nicht nur mit dem Strom treiben zu lassen, sondern eigenständig schwimmen."
„Das hört sich gut an."
„Aiden?"
„Ja?"
„Bitte lass mich nicht alleine."
Und in dieser Nacht spürte ich zum ersten Mal Aidens Lippen auf meinen.
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Schwimmkurs || BoyxBoy
RomanceAiden kann nicht schwimmen. Und gottverdammt, Stanley kann ihn einfach nicht ertrinken lassen. Doch er bemerkt, dass er sich selbst kaum über Wasser halten kann. Eine abgeschlossene Kurzgeschichte in sieben Kapiteln.