Mein Vater war homophob. Schon immer. Natürlich sagte er das nie laut. Aber ich konnte es spüren. Sein Blick, wenn im Fernsehen ein schwules Pärchen zu sehen war, verriet mir, wir gerne er sie erschlagen hätte. Einmal war er am Karotten schneiden, als eine Werbung auftauchte, in der ein lesbisches Mädchen ihre Freundin küsste. Sein Gesicht verzog keine Miene, doch seine Hand umklammerte das Messer fester, er zerteilte die Karotten immer gewaltvoller, so dass das Geräusch von Metall auf Holz sogar im Flur zu hören war. Seine Augen strahlten puren Hass aus. Zwar sah ich meinen Vater oft so – es gab vieles, was er nicht ausstehen konnte – doch zu sehen, wie sehr er diese Menschen hasste, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Es war offensichtlich, dass es mich nur in Gefahr bringen würde mich bei ihm zu outen. Und bringen würde es mir sowieso nichts. Auch meine Schwester war keine große Hilfe. Sie war genauso wie er. Kalt und voller Hass. Würde ich irgendwann auch so jemand sein?
Glücklicherweise hatte mein Vater heute Morgen nicht bemerkt, dass ich einen Cocktail getrunken hatte. Meine Schwester schien wohl entweder den Mund gehalten oder es gar nicht mitbekommen zu haben. Besser so. Was die Sache mit dieser Jenny anging, war ich mir schon weniger sicher, ob sie es für sich behalten hatte.
Es war ein Samstag und ich war gerade dabei meine Hausaufgaben zu erledigen, als mein Handy vibrierte. Es war Aiden.
„hey kann ich heute zu dir" Meine Finger schwebten zögernd über der Tastatur. Es war lange her, seitdem Aiden bei mir war. Aus gutem Grund. Mein Vater konnte ihn, wie so vieles, nicht ausstehen. Er sah ihn so an wie die schwulen Pärchen im Fernsehen. Ich war mir nicht sicher, ob Aiden es jemals bemerkt hatte, jedenfalls vermied er es eigentlich, zu mir zu kommen. Mit seinen Eltern – seinen Müttern, um genau zu sein – war es viel entspannter, weswegen wir uns wenn überhaupt bei ihm trafen.
„Warum?", antwortete ich also, „Können wir nicht zu dir?" „bei uns ist schlecht voll die baustelle hier", kam es schon wenige Sekunden nachdem ich ihm geantwortet hatte. Stimmt, Aiden hatte letztens davon gesprochen, dass sein Zimmer renoviert werden würde.
„Ich hab noch Hausaufgaben", versuchte ich mich herauszureden. „komm schooooon. ich war schon so lange nicht mehr bei dir möchte mal wieder dein zimmer mir anschauen" Ich legte mein Handy nachdenklich ab. Nervosität beschlich meinen Körper. Ich würde alles dafür geben ihn wiederzusehen. Seitdem ich mir selbst klar gemacht hatte, welche Gefühle ich für ihn empfand, schien jede Sekunde ohne ihn eine Qual. Wie gerne würde ich wieder seine Nähe spüren. So wie gestern Abend...Was war eigentlich aus meinem Vorsatz geworden, ihm aus dem Weg zu gehen?
„Weiß nicht", antwortete ich ihm nach kurzem Zögern, nachdem er mir erst einen Schwall von Fragezeichen geschickt hatte.
„ach komm sei doch nicht so" Und wieder konnte ich ihm nicht stand halten. Doch sollte er wirklich zu mir kommen? Hierher, wo mein Vater und meine Schwester sicherlich bereits meinen Untergang planten? „Können wir nicht irgendwo anders hingehen?"Die Tür wurde schwungvoll aufgeschlagen und ich zuckte zusammen.
„So so, der Herr lässt sich also schon wieder bei den Hausaufgaben ablenken. Muss ich wieder dein Handy einkassieren?" Ohne Vorwarnung griff mein Vater nach dem kleinen Gerät und sah sich die Nachrichten von mir und Aiden an. Widerstand würde nichts bringen. Ich kannte das Spielchen schon. Bitte bitte bitte lass Aiden nicht irgendwas Anstößiges geschrieben haben...
„Warum willst du nicht, dass dein Kumpel zu uns kommt? Hast du mir etwas zu verbergen?" Prüfend sah er mich an und betonte dabei das Wort „Kumpel" auf eine ganz besondere Art und Weise, als wollte er mich daran erinnern, auf keinen Fall mehr mit ihm anzufangen. Ich antwortete nicht und versuchte Augenkontakt zu vermeiden, obwohl ich wusste, dass er das nicht ausstehen konnte. Stattdessen betrachtete ich seinen grässlichen Kopf. Sein Gesicht schien nach unten hin zu verlaufen. Es hatte fast schon die Form eines Dreiecks, nur ohne Spitze. Das faltige Kinn bedeckte die schwarzen Stoppeln auf seiner Haut, der Haaransatz lag weit hinten. Zwischen den rot verlaufenden Augen, umarmt von Falten, hing die Nase herunter wie ein knochenloses Stück Fleisch. Sein Gesicht war fast so widerlich wie er selbst.
„Ich hab dich etwas gefragt! Antworte gefälligst, wenn dein Vater mit dir spricht!", brüllte er.
„Nein Vater, ich hab nichts vor dir zu verbergen. Ich... Ich dachte nur, ich könnte mal wieder etwas draußen unternehmen. Ich kam die letzten Wochen wegen der Schule kaum mehr raus."
„ Was erzählst du nur für einen Schwachsinn? Erst gestern habe ich dich auf diese Party gelassen! Heute bleibt ihr hier." Seine donnernde Stimme ließ keinen Widerspruch zu. „Er kann kommen, aber ihr bleibt hier. Und zwar erst, wenn du mit deinen gottverdammten Hausaufgaben fertig bist." Er wedelte mit dem Handy herum.
„Und das hier nehme ich mit. Damit du nicht abgelenkt wirst." Und damit schlug die Tür wieder zu.
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Schwimmkurs || BoyxBoy
RomanceAiden kann nicht schwimmen. Und gottverdammt, Stanley kann ihn einfach nicht ertrinken lassen. Doch er bemerkt, dass er sich selbst kaum über Wasser halten kann. Eine abgeschlossene Kurzgeschichte in sieben Kapiteln.