five

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3:06 Uhr

Brad stand gerade am Schalter und redete mit einem der Mitarbeiter, während ich Däumchendrehend am Rand — wer hätte es gedacht — auf dem Boden saß.

Ich beobachtete ihn und nahm ihn ganz anders war, als wenn er mit mir redete. Er sah ernst und angespannt aus, so ziemlich gegenteilig zu dem, wie er sich sonst so verhielt. Natürlich konnte man die Situation nicht vergleichen, aber trotzdem war es nun mal auch interessant für mich, diese Seite an ihm zu sehen.

Mir schien es, als wäre das alles ihm nicht zum ersten Mal passiert. Vielleicht reiste er ja viel und ab und zu kam das dann doch schon mal vor? Wieder einmal fiel mir auf, wie wenig und gleichzeitig viel ich von ihm wusste.

Ich kannte weder seinen vollen Namen, noch wusste ich, wo er herkam.

Was ich aber wusste, war, dass er für Musik lebte und hier in LA war, um Songs zu schreiben. Ich kannte seine Einstellung zum Leben und die gefiel mir ziemlich gut.

Mein Kopf war leer, als ich versuchte mich an all das zu erinnern, was er mir noch so erzählt hatte — aber auch, als ich versuchte an das zu denken, was ich noch nicht von ihm wusste. Irgendwie war es aber auch gar nicht so wichtig für mich.

Ich fühlte mich auf zwischenmenschlicher Ebene sehr verbunden zu ihm und einfach gut aufgehoben, auch wenn er bis vor ein paar Stunden noch ein Unbekannter für mich war.

Er runzelte gerade die Stirn und presste die Lippen zusammen. Mir war es jetzt schon ein paar mal aufgefallen, dass er das tat, wenn er sich in einer Situation nicht wirklich wohl fühlte, so, wie als ich ihm ungewollt die Abfuhr erteilt habe.

Der Mann hinter der Glasscheibe stand auf und ich sah Brad entnervt ausatmen. Er blickte zu mir und lächelte schwach, ehe der Mann seine Aufmerksamkeit wieder auf sich zog und irgendwelche Papiere zu ihm durchschob.

Vermutlich bedankte sich Brad und lief jetzt auf direktem Weg wieder auf mich zu. Meine Beine waren müde, der Kaffee hörte auf zu wirken und ich machte keine Anstalten aufzustehen, weshalb Brad vor mir stehen blieb und mir einen der Zettel reichte.

„Unsere Maschine hatte einen technischen Defekt und ist in Houston liegen geblieben. Zuerst haben sie versucht sie wieder fertig zu kriegen, aber dann wäre unsere Wartezeit unendlich lang geworden, weshalb sie jetzt eine Ersatzmaschine aus Phoenix angefordert haben." Er seufzte und ich lächelte ihn müde an. Brad sah nochmal zum Schalter, wo der Mann nun den nächsten, etwas unfreundlicheren Kunden beriet.

„Die Maschine ist da gerade gestartet, was bedeuten würde — wenn jetzt mal alles glatt läuft — dass wir vielleicht in zwei Stunden im Flugzeug sitzen könnten," fuhr er fort und ich ließ meinen Kopf nach vorne fallen und stöhnte.

„Ich möchte so langsam einfach nur schlafen," gab ich ehrlich zu und Brad sah mich verständnisvoll an. Warum sah er so wach und gar nicht müde aus?

„Zwei Möglichkeiten: Variante eins; Wir gehen zu unserem Gate und du kannst da auf den Stühlen vielleicht ein Nickerchen machen. Variante zwei; wir finden irgendeine Bäckerei oder ein Café und du genehmigst dir noch einen Kaffee," sagte Brad und reichte mir seine Hand, um mir hochzuhelfen.

Ich nahm sie mürrisch an und er zog mich auf die Beine. „Nummer Zwei. Kaffee. Ich möchte im Flugzeug schlafen," sagte ich und sah ihn erschöpft an. Er hob mit seinen Zeigefingern seine Mundwinkel an und nickte mir zu, weshalb ich nicht anders konnte, als zu grinsen, weil er so niedlich aussah.

„Ziel erreicht," strahlte Brad und schlug mir kurz gegen den Arm, „Lets Go!"

3:19 Uhr

„Erzähl mir mehr über dich," sagte er plötzlich und sah mich an, was ich im Augenwinkel wahrnahm. Ich lächelte und rührte abwesend in meinem Chococcino, welchen ich auf Brads Empfehlung hin genommen hatte.

Cappuccino mit Kakao ist wohl die beste Erfindung der Welt! Brad hatte Geschmack bewiesen.

Wir hatten die letzte Viertelstunde damit verbracht, über Berufe und die Zukunft zu reden. Es tat gut über all das mal zu sprechen, obwohl ich mich sonst immer davor drückte. Dadurch, dass ich Brad gerade erst kannte hatte ich das Gefühl, dass ich einfach ich selbst sein konnte. Bei ihm hatte ich keine Angst, dass ihm meine Meinung vielleicht nicht gefallen würde.

„Über mich gibt es gar nicht so viel zu erzählen," seufzte ich und er schüttelte den Kopf. „Sag sowas nicht. Alles, was ich bis jetzt über dich erfahren habe, macht mich nur noch neugieriger auf das, was noch in Dir schlummert," sagte er und ich spürte eine leicht Hitze in meinen Wangen.

„Lass das!" lachte ich und hielt mir die Hände auf die Wangen. „Ich hasse es, wenn ich rot werde!" „Also ich mag das," grinste er und ich schüttelte den Kopf.

„Oh!" rief ich plötzlich und er sah mich überrascht an. Er hätte beinahe seinen Chococcino fallen gelassen, weil er eigentlich gerade trinken wollte.

„Wie alt bist du überhaupt?" fragte ich peinlich berührt, weil man so etwas vielleicht am Anfang hätte fragen sollen. Wir waren an einem Punkt angelangt, an dem man die Grundsachen eigentlich geklärt hatte. Aber bei uns lief ja sowieso alles nicht soo normal ab.

„Stimmt, darüber haben wir gar nicht geredet," lachte er, „Ich bin im Juli 24 geworden. Wie alt bist du, Ruby?"

Gott sei Dank, kurze Zeit hatte ich Sorge, er wäre vielleicht älter. Wobei er eigentlich auch als jünger durchgehen konnte... Antworte ihm, Ruby! „Ich bin 21, im Dezember werde ich 22."

Brad nickte. „Finde ich gut," lachte er. „Wie kommt es, dass wir nicht früher über sowas grundsätzliches geredet haben?"

„Ja, du hast Recht! Wir haben zu schnell über tiefergehende Sachen geredet," grinste ich. „Na gut, lass uns hier noch ein bisschen weiter machen. Wo kommst du eigentlich her?"

Er lachte wieder. „Wow, wir haben irgendwie falsch angefangen beim kennenlernen... Ich bin in Newcastle geboren, aber in Sutton aufgewachsen, jetzt lebe ich in London. Was ist mit dir?"

„Birmingham, das hätte ich mir denken können. Dein Akzent hat dich verraten," grinste ich und er grinste ebenfalls breit. „Ich komme gebürtig aus Brighton, aber bin mit 19 auch nach London gezogen, weil ich dort studiere."

Wir stellten uns weiter Fragen, über unsere Familie und ganz grundsätzliche Dinge. Ich fühlte mich diesem Menschen immer verbundener und vor allem so, als würde ich ihn schon viel länger kennen.

Ich hätte niemals gedacht, dass ich jemanden am Flughafen kennenlernen würde, aber es schien mir, als würde ich gerade einen neuen Wegbegleiter finden.

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