Meine Mastektomie

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Am zweiten August 2019 hatte ich meine Mastektomie. So bezeichnet man die Entfernung der weiblichen Brust. Der Eingriff kann ambulant oder stationär erfolgen. Bei mir wurde er stationär durchgeführt, da ich eine längere Anreise hatte und schon vorher klar war, dass ich große Narben haben würde.

Einen Tag vorher reiste ich also an und bekam eine Einführung in die Anästhesie, wo ich einen Fragebogen ausfüllen musste. Darauf hatte ich noch ein Gespräch, welches bei mir dafür sorgte, dass ich mich endlich entspannen konnte. Die Ängste, die man vor so einer Operation hat, werden nämlich nicht besser, wenn man mit den Risiken bekannt gemacht wird.

Nach dem gut gelaufenen Gespräch wurde ich von der Chirurgin angezeichnet. Das heißt, sie malte da die Striche, wo später geschnitten und wieder zugenäht werden würde. Auch zeichnete sie an, wo meine Brustwarzen sitzen würden.

Am Abend dann bezog ich mein Zimmer, welches ich mir mit einem anderen Mann teilte. Ich bekam Abendessen und saß danach eine Weile aufgeregt herum. Zum Glück gab es im Krankenhaus gutes WLAN.

Als ich mich hinlegte, um eigentlich zu schlafen, kam ein Pfleger ins Zimmer und meinte, meine Operation würde die erste des Tages sein, weswegen ich um kurz nach sechs morgens abgeholt werden würde. Davor sollte ich mir schon mein OP-Kleidchen anziehen und mich ins Bett legen.

Die Nacht war - wie ich es mir schon gedacht hatte - nicht die ruhigste. Zu meiner Aufregung und der neuen Umgebung kam noch dazu, dass mein Zimmermitbewohner laut schnarchte und vor Schmerzen oft aufschrie.

Als ich gefühlt gerade erst eingeschlafen war, wurde ich schon wieder geweckt. Ich zog mich um und legte mich ins Bett. Essen bekam ich nicht und trinken durfte ich auch nicht.

Als ich dann schließlich abgeholt wurde, wurde ich in meinem Bett durch das Krankenhaus zum OP geschoben. Dort legte man mich auf eine OP-Trage um und deckte mich mit einer Heizdecke zu. Immer wieder wurde ich nach meinem Namen und meinem Geburtsdatum gefragt.

Mit nun auch einer zusätzlichen Haube auf dem Kopf lag ich eine Zeit im großen Raum mit den anderen, die auch bald operiert werden sollten. Irgendwann holte man mich ab und brachte mich zur Anästhesie. Dort legte mir die Pflegerin einen Zugang an der Hand und versorgte mich mit EKG-Elektroden.

Der Anästhesist brachte mich dann in den OP-Saal, wo ich ein Schlafmittel in die Venen bekam und man mir eine Maske mit Sauerstoff aufsetzte.

Erst fühlte es sich wie ein Rausch an, mir wurde etwas warm und kalt. Der Anästhesist sagte mir, wenn ich wieder aufwachte, würde es schon vorbei sein.

Das war es dann auch. Ich wachte im Aufwachraum auf und laberte vermutlich ein bisschen Mist vor mich hin. Ich durfte meinen Vater anrufen, der am Telefon nur lachte, weil ich mich noch nicht recht anwesend anhörte. Ich sagte ihm auch nur, dass alles gut gelaufen war.

Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde ich in mein Zimmer gerollt. Der Cocktail von Schmerzmitteln und die restliche Narkose sorgen den restlichen Tag dafür, dass ich in einem zufriedenen Gesamtzustand war und vor mich hin döste. Die Welt war in Ordnung.

Abends besuchten mich meine Eltern und dann durfte ich sogar ein bisschen Toast essen. Yippie!

Ich hatte zwar während eines weiteren Telefonats an diesem Tag mit ihnen nur von Oreos erzählt, bekam diese aber abends doch nicht runter.

Am nächsten Tag lag ich also im Bett, hatte einen Verband auf der Brust und zwei Flaschen an meinen Bettseiten, die mit einem Schlauch verbunden waren, welcher in meinem Gewebe unterhalb der Narben endete.

Ich fühlte mich die folgenden Tage wie ein medizinisches Projekt.

Fast eine ganze Woche war ich im Krankenhaus und das war deutlich länger, als ich es mir erhofft hatte. Am letzten Tag wurde mir mein Verband abgemacht und ich sah zum ersten Mal meine Brust.

Es sah merkwürdig aus. Die Brust war eben teilweise vernarbt und die Brustwarzen sahen wie schrumpelige Rosinen aus. Um ehrlich zu sein dachte ich, das erste Mal, dass ich meine flache Brust sehen würde, würde ich vor Freude in Tränen ausbrechen, aber ich spürte keine großen Emotionen. Sah mich nur verwirrt selbst an.

Mir wurde die Brust teilweise nach dem Duschen (was mir jetzt seit einer Woche untersagt gewesen war) wieder verklebt und dann wurde mir die Kompressionsweste angezogen, de ich nur zum Duschen ausziehen darf und sonst für sechs Wochen tragen muss.

Die Kompressionsweste sieht aus wie ein schwarzer kurzer Binder, mit einem Reißverschluss vorne und es fühlt sich auch so an. Nur dass er jetzt eben nichts mehr abdrückt, sondern bei der Heilung hilft.

Als ich dann am Abend, an dem ich das Krankenhaus endlich hinter mir lassen konnte wieder zu Hause war, wurde mir eine Sache schmerzhaft klar: Ich vermisse da etwas.

Etwas, dass ich mir so lange weggewünscht hatte.

Ich bereute die Operation nicht, aber es fehlt mir.

Vor der Operation war ich davon ausgegangen, dass ich nur positive Gefühle haben werde, aber ich war plötzlich depressiv und dysphorisch.

Es kam in der folgenden Woche in Wellen. Mal war ich zufrieden, dann war ich wieder unfähig mit meinem Körper klarzukommen. Ich musste mich erst einmal an mein neues Erscheinungsbild gewöhnen.

Nun ist die Operation mehr als drei Wochen her und ich habe mich zum Großteil an meinen Körper gewöhnt. Ich liebe es, neue Shirts anzuprobieren, keine Probleme mehr mit meinem Binder zu haben und etwas freier als vorher zu sein. Natürlich nervt mich die Kompressionsweste noch etwas, aber auch das ist in ein paar Wochen vorüber.

Ich habe etwas gelernt: Operationen und Hormontherapie können bei Dysphorie helfen, aber das heißt nicht, dass das alles von allein regelt. Man muss selbst an seiner Wahrnehmung etwas ändern und netter zu seinem Körper sein. Immerhin leistet er täglich einiges.

Dysphorie ist vermutlich etwas, dass ich mein Leben lang mit mir herumtragen werde, aber auch wie Depression und Angst kann man es selbst ein Stück weit bekämpfen.

Egal, ob Trans oder nicht: Es ist normal nicht total zufrieden mit seinem Körper zu sein und anstatt sich immer wieder neue Baustellen zu suchen, sollte man umdenken und das akzeptieren, was man hat.

Stellt mir gern Fragen, wenn ihr welche habt.

Jasper

How To Be TransWo Geschichten leben. Entdecke jetzt