Kapitel 1

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Es ist nicht leicht ein Leben zu führen, wie ich es führe. Man hat strenge Regeln und muss auf alles achten. Was man tut, wie man sich benimmt und vor allem was man sagt. Man muss immer auf der Hut sein, dass keiner einen durchschaut. Ich lebe nach strengen Normen und Sitten. Zwar hat es sich mit der Zeit um einiges gelockert, dennoch herrscht eine gewisse Anspannung. Ich komme damit klar, sehr sogar, es ist als hätte ich nie was anderes gemacht, nur manchmal gibt es Dinge, die einem wirklich auf den Keks gehen können. Trotzdem akzeptiere ich es. Sowas zum Beispiel, Dinge hinzunehmen und zu akzeptieren, sowas wurde mir beigebracht und jedesmal wurde diese Akzeptanz mit der Geduld zusammengeknüpft. Sowas immer wieder zu hören und brav die Zunge hüten, ohne zu widersprechen, ist nicht einfach. Aber ich habe auch nie behauptet, dass mein Leben wirklich einfach ist.

~*~

,,Guten Morgen, Zina."

Müde hebe ich meinen Blick von meinem Heft zu meiner besten Freundin, die mich mit einem ihrem berühmt berüchtigten und wunderschönen Lächeln ansieht. An ihr ist alles nahezu perfekt. Der oval förmige Kopf, die vollen, geschwungenen Lippen, die kleine Stupsnase, die großen Augen mit ihrer meeresblauen Iris. Und ihre vollen dunkeln Wimpern, die einfach perfekt zu ihren Augen passten. Wenn man sie sah, wusste man sie hat etwas südliches an sich. Man würde darauf tippen, dass sie aus Spanien oder Portugal kommen würde, aber ich weiß es besser. Ihre Eltern kommen ursprünglich aus einer Kleinstadt in Marokko. Zufälligerweise aus der selben Kleinstadt wie meine Eltern. Vielleicht verstehen wir uns deshalb so gut. Ich weiß es nicht. Aber eins weiß ich auf jeden Fall. Ich bewundere sie. Nicht für ihr makelloses Aussehen, nein, okay vielleicht ein bisschen, aber viel mehr für ihr starkes Selbstbewusstsein.

,,Morgen", murmelte ich nur und lächelte zurück.

Seufzend nimmt sie ihre Tasche von der Schulter und stellte diesen neben den freien Stuhl auf den Boden.

,,Warum bist du so spät?"

Das Grinsen verlässt ihr Gesicht nicht und mit einem einfachen Schulter zucken wendet sie ihren Blick von mir ab. Mit einer langsamen Bewegung fischt sie ihre Schulsachen aus ihrer Tasche und platziert diese auf den Tisch. Wie hypnotisiert achte ich auf jede einzelne ihrer Bewegungen und dies ihrer Hefte. Ein Räuspern ließ mich aus meiner Starre erwachen. Mein Blick fällt wieder auf die beschriftete Tafel und ich übertrage das Geschriebene in mein Heft. Die Klasse ist ruhig. Jeder bearbeitet seelenruhig die gegebenen Aufgaben. Man kann nur die Bleistifte, die über das Papier streichen, hören. Einzelne Stifte, die auf den Tisch gelegt werden oder die verzweifelten Seufzer der einzelnen Klassenkameraden.

,,Ich war bei Ilias."

Ich höre augenblicklich auf zu schreiben und lasse die Spitze meines Stiftes über das Blatt schweben. Ilias. Der Freund von Iman. Ich lernte ihn kennen, als beide frisch zusammen kamen. Vom ersten Moment an, als ich ihn sah, wusste ich nicht wie ich ihn finden sollte. Er war mir gegenüber immer freundlich, aber irgendwie auch zu freundlich. Bei ihm hatte ich ein ungutes Gefühl, auch wenn es nicht wirklich intensiv war, weiß ich, dass da etwas faul ist. Nur nicht was. Aber das kann ich meiner besten Freundin nicht antun. Sie ist so glücklich mit ihm und ich möchte nicht der Grund dafür sein, dass sie ihm gegenüber misstrauisch wird.

,,Was hältst du davon?", Iman beäugt mich von der Seite.

Verwirrt legte ich meinen Stift auf den Tisch und sehe sie ebenfalls an. An meinem Gesichtsausdruck muss sie gemerkt haben, dass ich nicht wirklich wusste wovon sie sprach. Seufzend und lachend zugleich wiederholt sie ihre Worte.

,,Ich treffe mich heute mit Ilias und habe dich gefragt ob du nicht auch Lust hast mitzukommen."

Nein. Das hätte ich am liebsten geantwortet. Aber die Hoffnung, die sich in ihren blauen Augen widerspiegelte, zwingt mich dazu, zweimal zu überlegen. 

,,Ich weiß nicht so ganz. Ich meine, ich wäre dann sozusagen das fünfte Rad am Wagen und das möchte ich wirklich nicht sein. Außerdem muss ich meiner Mutter helfen. Wir bekommen am Wochenende besuch und du weißt wie sie bei sowas ist." 

Iman sieht nachdenklich auf ihre trommelnden Finger und als ein imaginäres Lämpchen, über ihrem Kopf, anging fischt sie unauffällig ihr Handy aus ihrer Tasche und tippt kurz drauf. Als sie fertig ist, sieht sie mich grinsend an und schreibt einfach weiter von der Tafel ab, als ob nichts passiert wäre. Die Klingel erlöst uns aus dem Unterricht und schickt uns in die Pause. So schnell wir können packen Iman und ich unsere Sachen ein und laufen aus dem Klassenzimmer. Kaum betreten wir den Flur fischt sie wieder ihr Handy raus und ihr Grinsen wird nur breiter. Wir laufen nach draußen in den Hof, wo ich mich erschöpft auf eine Bank, die etwas abseits stand, setze. Meinen Rucksack stellte ich auf den Boden und nehme mein Pausenbrot raus. Genüsslich nehme ich einen großen Bissen und schließe dabei kurz die Augen. 

,,Wenn dieses Brot wirklich so gut schmeckt, will ich auch etwas davon", erklingt die Stimme meiner besten Freundin und ich wende meinen Blick zu ihr. 

Ohne großartig zu reden reiße ich ein Stück ab und reiche ihn ihr. Sie beißt ebenfalls in das Brot und nickt zustimmend. Die Stille legt sich wie ein hauchdünnes Tuch um uns, bis es von ihr weggezogen wird und ihre Stimme diese liebliche Stille durch ihre eigene Stimme zerstört.

,,Was ist eigentlich mit dem Treffen?"

Wieder erscheint dieses komische Grinsen auf ihrem Gesicht und sie schluckt bevor sie spricht. 

,,Du hast ein Date."

Mit ihrem Satz verschlucke ich mich sofort an meinem Brot und huste wie verrückt. Mein Gesicht wird immer wärmer und meine Faust hämmert gegen meine Brust. Iman kichert nur und klopft mir auf den Rücken. Nachdem ich mich endlich beruhigt hatte, nehme ich einen kräftigen Schluck von meinem Wasser und räuspere mich, ehe ich mich zu meiner Freundin drehe. 

,,Ich hab ein was?"

,,Ein Date. Okay Date ist vielleicht nicht das richtige Wort. Es ist so, dass Ilias seinen Freund mitnehmen wird und du somit nicht mehr allein sein wirst. Was sagst du dazu?"

,,Vergiss es. Ich mache sowas nicht."

,,Ach komm schon Sabah, du kannst nicht immer zuhause sitzen und deinen Kopf in irgendwelche Bücher stecken oder im Haushalt helfen. Das ist kein Leben! Du musst Leben! Etwas Riskieren." 

Es stimmt schon, dass ich nicht wirklich viel mache, aber mir reicht es völlig. Ich meine, ich muss nicht in irgendwelche Discos oder Partys gehen, um mein Leben aufregender zu machen. Manchmal reicht doch einfach ein spannendes Buch und schon bist du in einer komplett anderen Welt und dieses Erlebnis ist um Meilen besser oder? 

,,Mir reichen meine Bücher vollkommen."

,,Bitte Sabah. Tue es für mich."

Ihre Hände umklammern meine. Ihre Augen sind extra weit aufgerissen, damit ich den Schmerz, den ich verursachen würde, deutlichen sehen kann. Meine Lippen presse ich zu einer schmalen Linie. Nein, nein, nein, nein, nein! Ich lasse mir keine Schuldgefühle eintrichtern, nur um dann doch zuzustimmen. Für einen kurzen Moment schließe ich meine Augen und gehe die ganzen pro und kontra Argumente durch, wobei mir hauptsächlich kontra Argumente dazu einfallen. Ergeben und voller Entschlossenheit öffne ich die Augen, um ihr von meiner Antwort zu berichten, doch im letzten Moment ändere ich meine geplante Meinung. 

,,Ich komme mit." 

Sabah - Das Mädchen, das auf die Liebe verzichtetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt