Montagabend

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Meine Hände zittern, als ich meine Schultasche aufhebe. Ich atme tief durch, bevor ich Laito nach draußen folge. „Eine Limousine?" Die Bewunderung in meiner Stimme ist sogar für mich schwer zu ertragen. Mit einem Mal komme ich mir ziemlich dumm vor. Er wohnt immerhin in einem riesigen Haus mit noch größerem Grund, warum sollte er also keine Limousine besitzen? „Möchtest du jetzt einsteigen?", unterbricht Laito kichernd meine Gedanken. Verlegen nicke ich. Außer uns ist das Auto leer, worüber ich sehr erleichtert bin. Als wüsste er, was mir gerade durch den Kopf geht, richtet er den Blick seiner funkelnden Augen auf mich. „Du hast den Fahrer vergessen." Ich starre Laito an und besagter Fahrer startet den Motor.

Nach wenigen Minuten prasselt Regen auf das Dach. Ich seufze. „Dabei war das Wetter heute Morgen noch so gut." Stille antwortet mir. Ich wende mich von der verdunkelten Scheibe des Wagens ab und schaue mich um. Wo ist Laito? Das Leder der Sitze fühlt sich absolut kalt an, als ich mit der Hand über das Polster fahre. Beunruhigt hebe ich den Blick. Plötzlich erhellt ein Blitz den Innenraum, dem folgt ein gewaltiges Donnergrollen. Ich fahre heftig zusammen und als ich die Augen wieder zu öffnen wage zieht mich Laito in seine Arme. „Wo warst du?" Er hält mir einen Regenschirm entgegen. Ich beachte ihn nicht. „Wie zur Hölle hat du das gemacht?", hätte ich ihn am liebsten gefragt, aber ich halte mich zurück. Stattdessen nuschle ich ein leises „Danke." Er lächelt. „Hast du Angst vor dem Gewitter?" Ich schüttle den Kopf. „Jetzt nicht mehr." Sein Lächeln wird breiter.

Genau das hatte ich beabsichtigt. Auch ich lächle. Besser ich verärgere ihn nicht... Ich will, dass er mich mag. Langsam wird meine zusammengekauerte Position unangenehm. Ich richte mich auf, bleibe aber dennoch an ihn gelehnt. Ich bin nicht im Stande irgendetwas zu denken. Meine gesamte Aufmerksamkeit richtet sich darauf regelmäßig zu atmen und mich nicht zu verkrampfen. Nun, ein Gedanke existiert. Es ist ein kleiner Zweifel, der unablässig an meiner Selbstbeherrschung knabbert. Bemerkt er vielleicht meine Anspannung? Was geschieht mit mir, wenn er es beleidigend findet, dass ich ihm nicht vertraue? Ich muss ihm einfach vertrauen! Das Motorengeräusch verstummt. Wir halten. Zuerst steigt Laito aus und öffnet den Regenschirm. Dann zieht er mich an sich. „Ich habe ihn nur für dich geholt, also darfst du jetzt nicht nass werden." Ich kichere. „Wenn du mich weiterhin so gut festhälst, werde ich das ganz bestimmt nicht!"

Rasch bewegen wir uns in Richtung der Haustür, die wie von Zauberhand für uns aufschwingt. Innen knie ich mich hin, um mich meiner Schuhe zu entledigen, was sich aber als aussichtsloses Unterfangen erweist. Die Schnürsenkel haben sich verknotet und sind mit nasser Erde beschmiert. Ich werde rot und zerre noch mehr an ihnen herum. Bestimmt fragt sich Laito schon, ob ich zu doof bin, meine Schuhe auszuziehen. Ich bin schon im Begriff vor Verlegenheit zu sterben, als mich eine Stimme zusammenzucken lässt. „Wieso ist dieses Mädchen hier?" Ich erhebe mich so elegant, wie es einem möglich sein mag, wenn man sich, bei dem verzweifelten Versuch aus seinen schmutzigen, verhedderten Schuhen zu schlüpfen, auf dem nicht vorhandenen Hosenboden niedergelassen hat. Hastig streiche ich meinen Rock glatt. „Ich mag sie", antwortet Laito schmunzelnd, nachdem er mir geholfen hat, mein Gleichgewicht wiederzufinden, indem er mich am Arm festhielt. Als sei das Antwort genug, wendet Reiji sich ab. „Willst du nicht weiterfragen?", spöttelt Laito sofort. „Ich kann keine angemessene Antwort von dir erwarten", erwiedert sein Bruder kalt und geht. Laito zuckt die Schultern und nimmt behutsam meine Hand. „Brauchst du eine Schere?", fragt er in so ernstem Tonfall, dass es schon wieder lustig ist. Daraufhin befreit er mich mit bloßer Hand von meinem Schuhwerk und gibt mir neue.

Während er mich durch den Hausflur führt, habe ich das Gefühl beobachtet zu werden. Ich gehe ein bisschen schneller, obwohl es wohl töricht erscheinen mag sich bei dem Jüngsten der Drillinge sicher zu fühlen, ziehe ich das Bekannte, dem Unbekannten eindeutig vor. „Hier sind wir. Das ist mein Zimmer." Er stößt die Tür auf. Ich betrete vor ihm den grünen Raum und schaue mich um. Ein Kamin aus weißem Stein, auf dem Blumen stehen, darüber ein Bild. Rechts davon zwei Fenster mit Vorhängen und ein weiteres Gemälde. In der Mitte des Raumes steht ein Sessel und ein Tischchen. Ganz rechts ein Doppelbett mit grüner Bettwäsche.

„Magst du grün?" Kaum sind mir die Worte über den Lippen, bereue ich es diese Frage gestellt zu haben. Wer würde sein gesamtes Zimmer in einer Farbe gestalten, die er nicht mag? „Ich mag grün", antwortet er, zu meiner Erleichterung ohne spöttischem Unterton. Laito deutet auf sein Bett. „Setz dich." Ich tue, was er sagt und keine Minute später sitzen wir nebeneinander zwischen den Kissen.

Wir schweigen. Lange Zeit hört man nur unseren Atem. Dann entfährt ihm ein Seufzer, der zu einem Lachen wird. „Worüber sollen wir jetzt reden?" Der Satz bleibt in der Luft hängen und scheint sie schwerer zu machen. „Ich habe keine Ahnung..." Meine Stimme klingt leise und verloren in dem großen Zimmer. Laito lehnt sich zu mir und ich schaue tief in seine Augen, die mich an den hübschen Schmuck aus Jade erinnern, den meine Mutter in einer kleinen verzierten Schachtel ganz hinten in ihrem Schrank aufbewahrt. „Brauchen wir Worte?", flüstert er. Ja schon... Eine dumme Stimme in meinem Kopf antwortet.

Ich glaube jetzt zu wissen, wie es sich anfühlt, wenn einem das Herz regelrecht gegen die Rippen hämmert, so laut, dass sogar der Gegenüber es hören sollte. Seine Hand zieht mein Gesicht zu seinem, bis seine Stirn meine berührt. „Ich glaube nicht?", antwortet er sich selbst. Als er redet, spüre ich seinen Atem über meine Haut huschen, wie Geister die Zauber in meinem Kopf weben. Mit gesenktem Blick, der immer wieder zu seinen Augen huscht, beobachte ich, wie sein Mund ein kleines Lächeln formt. Unweigerlich erwidere ich es. „Du hast eine wundervolle Seele. Sie erinnert mich an Lavendel", sagt er plötzlich und streicht mit der Hand über mein Haar. M-Meine Seele? „Hisa... soll ich dir meine Lieben vorstellen? Sie sind alle noch hier." Sein Blick verdunkelt sich drastisch.

„Alle bis auf meine eine. Meine Einzigartige, der mein Herz gehörte."

Schmerzende Kälte durchdringt seine eben noch so sanfte Stimme. Ich will wissen an wen er sich nach vielen Jahren immer noch zu erinnern scheint. Mit größter Anstrengung bewege ich meine Lippen um ihn zu fragen, weil es mich neidisch macht, dass ich nicht  auch so geliebt werde. „Wer?" Laito schweigt und obgleich er mich anschaut, sieht er doch andere Dinge. Die Vergangenheit? „Du bist auch einzigartig. Nur gehörst du nicht mir." Doch! Was mag wohl gerade in seinem Kopf vorgehen? Als ein Mädchen, dass er gerade mal seit drei Tagen beachtet, habe ich wahrscheinlich nicht das Recht dazu seine Gedanken zu erahnen, geschweige denn zu verstehen. Dabei wünschte ich mir nichts sehnlicher, als den Mann zu kennen, der von Anfang an mehr als nur mein Herz besaß.

Free me from my boring lifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt