4: Britische Höflichkeit, Vögel und Drogenbarone

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Ich hatte das wahnsinnige Glück, in jedem meiner weiteren Kurse mindestens einen Schüler aus dem Englisch-Unterricht dabei zu haben, der die frohe Botschaft meines schrecklichen Vornamens verbreitete. Sobald ich hüstelnd vor dem Kurs stand und mich als Allie vorstellte, jolte einer von ihnen ein lautes Was geht, Alberta durch den Raum und erntete einige Lacher aus den hinteren Reihen. Und wann immer einer der Lehrer sie ermahnen wollte, zuckten sie unschuldig mit den Schultern und behaupteten, sie seien nur höflich und wollten mich herzlich begrüßen. 
Ich war jetzt schon eine Lachnummer. 

Bis zur Mittagszeit konnte ich mich jedoch gut halten und musste weder weinen, noch mich peinlich berührt auf der Toilette verstecken. Das verdankte ich Betty, einer blonden, fleißigen Mitschülerin, die mir anbot, mich an der Schule herumzuführen. Auch wenn ich die leise Ahnung hatte, dass sie es vor allem aus Pflichtbewusstsein und nicht aus aufkeimenden, freundschaftlichen Gefühlen heraus tat, war ich dankbar für eine Ansprechpartnerin.
Bis die Mittagspause anfing und Betty's Babysitter-Berufung endete. 


Es war der Neulings-Kantinen-Alptraum schlechthin. Die Essensausgabe konnte ich noch meistern, ohne zu zittern oder mir einen spontanen Alien-Angriff zu wünschen, der die Pause unterbrechen würde; sobald ich jedoch mein Tablett mit den belegten Sandwiches und dem Saftpäckchen in der Hand hielt und mich in Richtung der Tische drehte, war ich aufgeschmissen.
So. Viele. Tische.
In etwa der Mitte des Raumes erkannte ich endlich Betty's ordentliche Frisur mit dem schlichten Haarreifen wieder. Mit einem erleichterten Ausatmer wollte ich schon in ihre Richtung gehen und sie rufen, als mir der volle Tisch um sie herum auffiel. Nicht nur, dass es keinen Platz mehr für mich gab; sie saß zusätzlich mit genau den Schülern zusammen, die sich zuvor über meinen Vornamen und meine angeblich verstorbene Mutter lustig gemacht hatten.

Fabelhaft. Einfach fabelhaft.

Erneut schoss mir die Röte ins Gesicht, als ich mit aufkeimender Panik auf Betty's Rücken starrte und darauf hoffe, dass sie sich umdrehen und mich winkend zu sich an den Tisch holen würde. Je länger ich da stand, desto klarer wurde jedoch, dass sie sich so schnell nicht zu mir drehen würde. Dabei hatte ich bislang nur Betty. Jemand Anderes fiel mir nicht ein und bei den Alberta-Jodlern wollte ich bestimmt nicht sitzen. Wenn ich nicht gerade heimlich auf der Toilette essen wollte, brauchte ich ganz schnell einen Plan.
Stattdessen stand ich wie der letzte Depp mitten im Raum - und war unfähig dazu, mich auch nur einen Millimeter weit zu bewegen.
Kacke. Oberste Kacke. Stinkende, schmierige, schleimige Kacke. 

Ein letztes Mal starrte ich innerlich betend Betty's Rücken an, ehe ich beinahe das Tablett fallen ließ und vor Schreck ein pfeifendes Geräusch von mir gab. Ich brauchte einen Platz zum Sitzen. Jetzt sofort. 
Am Ende des Raumes erspähte ich einen bisher leeren Tisch, der zwar vollgekrümelt und mit einigen Servietten-Bällen beworfen war, aber zumindest meine Beine vor dem Zusammenknicken retten würde. Dann war ich eben die unangenehme Neue am Ekel-Tisch; besser, als so festgefroren stehen zu bleiben, als hätte ich mich spontan für eine Elsa-Imitation entschieden. 

Kurz vor Betty's Tisch sah ich peinlich berührt zur Seite, um in Notfall sagen zu können, dass ich sie einfach nicht gesehen hatte - und sah auf den fast leeren Tisch auf der anderen Seite. 
Die einzige Schülerin an ihm war das auf Papierfetzen rumkritzelnde Mädchen, welches mit mir im bereits Englisch-Kurs saß und meinen Dad verteidigt hatte.
Einen Moment lang zögerte ich. Ich hatte drei Optionen: Da wäre zum einen der Müll-Tisch, der mich ins gesellschaftliche Aus befördern würde. Betty's Tisch, die mit den Alberta-Jodlern zusammen saß. Oder der Lockenkopf, der mit den trockenen Sprüchen vorhin dem lila Polo-Hemd Konter gegeben hatte.
Auch wenn mich ihr mürrischer Blick etwas einschüchterte, entschied ich mich kurzerhand für den Lockenkopf. Ich drehte mich schnell zu ihr, bevor mich der Mut verlassen würde und setzte mich angespannt lächelnd gegenüber von ihr hin.

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