5: Die Spionage-Meisterleistung

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Vier Tage später war ich mir immer noch nicht sicher, ob MJ und ich uns tatsächlich anfreundeten, oder uns nur zufällig über den Weg liefen. Von meinem Heimatstädtchen mit den gefühlt fünf Menschen in meinem Alter war ich es gewohnt, Tag und Nacht zusammen zu verbringen und bei jedem von ihnen einen eigenen Kleidungs- und Zahnbürstenbunker zu besitzen. MJ hingegen wollte weder meine Nummer haben, noch schlug sie ein Treffen außerhalb der Schule vor oder wartete morgens vor dem Tor auf mich. Meistens redete sie nicht einmal, wenn wir uns auf den Fluren über den Weg liefen.
Und wenn sie doch sprach, dann so merkwürdige und unpersönliche Sachen, dass ich nicht wusste, ob ich ernst gucken oder lachen sollte. 

Selbst Dad nahm die Vielleicht-Freundschaft ernster, als MJ. Nach meiner Aussage, ich könnte eventuell eine Freundin gefunden haben, sprang er von unserer geblümten Couch auf, schnappte sich seinen karierten Blazer und eilte los, um neue Teetassen einzukaufen. Davon sollte sich MJ eine als ihre Tasse aussuchen - und dass, obwohl Dad bei den Motiven die Grenze zwischen gewagt und geschmacklos ignoriert hatte - und dadurch symbolisch in unsere kleine Familie aufgenommen werden. 
Ich hoffte wirklich, dass es so weit kommen würde. Ansonsten müsste ich selbst die Tassen benutzen und Dad zuliebe flunkern, dass sie mir gefielen.
Ja, Dad. Ich wollte schon immer Etwas mit einem Tee trinkenden Mops besitzen. Grandioser Stil.
MJ musste sich wirklich, wirklich mit mir verabreden.

Umso glücklicher war ich, als sie mich am Freitag Morgen an meinem Spind abfing und mit einem kaum merklichen Kopfnicken zu sich lotste.
"Du bist ja früh da!", begrüßte ich sie mit einem vorfreudigen Grinsen, nahm mir vor, mich heute endlich mit ihr zu verabreden und versuchte, meine fehlende Spindöffnungs-Fähigkeit möglichst zu überspielen. Leider vergebens. Ich rüttelte so penetrant am Griff, dass MJ sich schließlich kopfschüttelnd erbarmte und mit der flachen Hand gegen ihn schlug. Knarzend sprang er auf.
Diesen Trick musste ich mir langsam echt mal merken.
"Hast du gleich Biologie bei Mr. Del?", fragte MJ, während sie in meinen Spind reinlugte. Ihr Blick verharrte auf dem rangeklebten Bild von Noah und mir, ehe sie wieder zu mir sah.
Ich war froh, dass sie nicht nachfragte. Einen Freitag wollte ich ungern mit einem Gespräch darüber starten, dass sich mein Freund seit des Umzuges nicht mehr meldete. Nun-Fernbeziehungs-Freund, wenn man es genau nahm. Vielleicht auch Nicht-mehr-Freund. 
"Ähm", sagte ich nur, fischte meinen Stundenplan aus meinem Collegeblock und nickte dann. "Sieht so aus. Wieso, möchtest du neben mir sitzen?" Erneut grinste ich. Nicht nur, dass Biologie mein Lieblingsfach war - es wäre ein weiterer Kurs, wo ich neben MJ sitzen könnte. Verrückterweise war in unseren gemeinsamen Kursen immer ein Platz neben ihr frei. Ganz, als hätten die restlichen Schüler einen Grund, MJ zu meiden und einen Sicherheitsabstand zu ihr zu wahren.
Völlig unverständlich. Zumindest meistens.

Als MJ den Kopf schüttelte, erlosch mein Grinsen wieder. 
"Ist nicht mein Kurs. Aber Parker ist bei Mr. Del und ich habe Ronda Kramer über seine vielen Fehlzeiten im Kurs lästern hören." MJ stoppte kurz, richtete ihr übergroßes Flanellhemd, welches sie locker als Kleid tragen könnte und schenkte mir einen vielsagenden Blick. "Parker schwänzt sonst nie." 
Eine Spur schlechter gelaunt fischte ich das Bio-Buch aus meinem Spind, presste meine Lippen aufeinander, als mein Blick wieder auf den Noah-Schnappschuss fiel und drehte mich schließlich schulterzuckend zu MJ, die auf eine Reaktion von mir wartete. 
"Passiert", sagte ich dann nur und bemühte mich, weiter freundlich zu schauen. Es interessierte mich schlicht und ergreifend nicht, was irgendein Peter während irgendeines Kurses machte. Was ich wollte, war eine Bezugsperson hier in New York, keine Verschwörungstheorien über einen pubertären Nerd - auch wenn er noch so nett aussah. Mein Freundschafts-Wunsch wollte wohl nur nicht auf MJ überspringen.
"Passiert nicht bei Typen wie Parker. Typen wie er kriegen einen Schweißausbruch, wenn sie nur an einen Regelverstoß denken." MJ schlug mit ihrem Ellenbogen meinen Spind wieder zu, umkreiste die umherstehenden Schüler und ging los, wobei sie mir mit einem weiteren Kopfnicken signalisierte, ihr zu folgen. Seufzend schulterte ich meinen Rucksack und verabschiedete mich innerlich von der Hoffnung, jemals in New York eine Freundin zu finden.
Die teetrinkende Mops-Tasse würde wohl doch nur von mir benutzt werden. 

Versehentlich vernetztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt