𝐀 𝐋𝐨𝐯𝐞 𝐬𝐭𝐫𝐨𝐧𝐠𝐞𝐫 𝐭𝐡𝐚𝐧 𝐕𝐢𝐛𝐫𝐚𝐧𝐢𝐮𝐦

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Es war ein ganz normaler Abend in den vierziger Jahren.
Wie immer hatte ich Überstunden bei der SSR gemacht. Nun trat ich endlich hinaus in die laue Abendluft New Yorks. Die Sonne begann bereits, am Horizont zu verschwinden und tauchte die Stadt in ein warmes, freundliches Licht.
Ich überlegte einen Augenblick lang. In der Villa, die Howard mir und Angie Martinelli zur Verfügung gestellt hatte, würde Mr. Jarvis vermutlich schon in seiner Schürze warten und ein delikates Abendessen für uns bereitet haben. Seit noch nicht allzu langer Zeit war dies zu einem allabendlichen Ritual geworden. Die quirlige, liebe Angie hatte das ganze in Bewegung gesetzt. Es sei doch eine Schande, dass wir den gütigen Mann, der uns diese riesige Villa so bereitwillig zur Verfügung gestellt hatte, kaum zu Gesicht bekämen. Edwin Jarvis seinerseits könne genauso gut uns alle mit seinen Kochkünsten erfreuen und er solle uns doch endlich seine gewiss äußerst liebenswürdige Frau vorstellen. Und überhaupt schrie die Größe des Hauses geradezu danach, Gäste zu empfangen. Und so kamen wir nun jeden Tag nach der Arbeit zusammen um gemeinsam zu essen und uns auszutauschen: Angie, ich, Mr. Jarvis, seine Frau Ana - und Howard. Und was sollte man sagen? Es war eine ausgezeichnete Idee gewesen. Besonders Howard schien die Geselligkeit gut zu tun. Doch manchmal musste ich daran denken, um wie viel mehr ich diese Abende hätte genießen können, wenn der Mann an meiner Seite gewesen wäre, den ich noch immer aus ganzem Herzen liebte. Energisch blinzelte ich die Tränen weg, rückte meinen Hut zurecht und marschierte los.
Ich war so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wohin mich meine Füße getragen hatten. Ich befand mich auf der Brooklyn Bridge, die nicht wirklich auf meinem Heimweg lag. Seufzend blickte ich über das Wasser. Es war nun beinahe drei Jahre her, dass ich hier die letzte Ampulle mit Steve's Blut entleert hatte.

Oh, Steve... Das Schicksal war wirklich nicht gut zu uns, was?

Ich konnte meine Tränen nicht länger zurückhalten.

Weißt du, Liebster, ich habe immer gesagt, dass ich weitermachen muss. Ohne dich. Ich redete mir ein, dass das Leben weitergehen muss, weil es das ist, was du zu mir gesagt hättest. Ich versuchte, mich mit der Arbeit abzulenken. Ich habe versucht, über deinen Tod hinwegzukommen, weil du es gewollt hättest, doch vergeblich.
Ich habe versucht, glücklich zu werden in einer Welt ohne dich. Ein, zwei Mal bin ich sogar mit meinem Kollegen Daniel Sousa ausgegangen. Ich wollte für dich versuchen, ein neues Leben anzufangen. Doch es hat nicht funktioniert. Sousa ist ein guter Mann, aber er ist nicht du. Er hat es nicht verdient, dass ich auf ewig einem Anderen nachtrauere, während er doch alles für mich tut. Keiner von uns würde glücklich werden in dieser Beziehung.
Ich weiß, dass böse Zungen hinter meinem Rücken sagen, dass kein Mädchen einen rot-weiß-blauen Schild gegen eine Krücke aus Aluminium eintauschen würde. Die Meinung von anderen zählt für mich nicht, weil ich meinen Wert kenne, doch diese Worte schmerzen mich. Denn sie verstehen nicht, dass ich dich bereits liebte, als du noch nicht der große, starke Captain America warst. Ich habe immer auf den richtigen Partner gewartet. Und dann bin ich dir begegnet.
Und Steve, glaube mir, auch wenn du nun schon seit fünf Jahren von uns gegangen bist - ich liebe dich noch immer und ich kann einfach nicht damit aufhören.
Wenn ich ein Wort für meine Liebe zu dir finden müsste, dann wäre nicht einmal Vibranium stark genug dafür.
Du wirst für immer in meinem Herzen sein, Steve.

Ein erneuter Schwall von Tränen schüttelte meinen Körper. Es tat noch immer so weh.
Schließlich straffte ich meine Schultern, tupfte meine Augen mit einem Taschentuch ab und wandte mich zum Gehen.
Die Sonne war in der Zwischenzeit weiter gesunken und es war wohl an der Zeit, mich auf den Heimweg zu machen. Doch heute fühlte ich mich nicht so recht in Stimmung für die Gesellschaft meiner Freunde.
Stattdessen steuerte ich einen Ort an, an dem ich schon länger nicht gewesen war.

Unsicher betrat ich den Stork Club. Laute Musik und das Gelächter vieler ausgelassener Menschen schlugen mir entgegen. Die Lichter waren bereits etwas gedimmt, was mir gerade recht war. Ich setzte mich an einen einsamen Tisch in der Nähe eines Fensters. Niemand nahm Notiz von mir, zu sehr waren die Leute mit Tanzen und Trinken beschäftigt und in belanglose Gespräche vertieft. Auch dies störte mich nicht weiter, ich wollte sowieso nur meine Ruhe haben.
Himmel, hier war ich wirklich seit Ewigkeiten nicht gewesen. Nicht, seit...

"Wage es nicht, zu spät zu kommen", hatte ich gesagt.

Aber es wäre mir egal gewesen, solange er gekommen wäre.

Schon um 18 Uhr hatte ich an jenem Samstag dort gewartet. Für Punkt acht waren wir verabredet gewesen.
Doch er kam nicht. Ich ging erst, als der Besitzer mich rauswarf, weil er Feierabend machen wollte.
Tage vergingen, Wochen vergingen, und immer war ich da gewesen. Er aber kam nicht.
Irgendwann hatte ich es dann doch aufgegeben, herzukommen. Zu sehr schmerzte die Gewissheit, dass er nicht erscheinen würde.
Ich wusste selbst nicht, warum ich nach all dieser Zeit wieder den Weg hierher gefunden hatte.
Nachdenklich drehte ich meinen Hut in meinen Händen hin und her und blickte aus dem Fenster.

"Peggy?"

Ich erstarrte. Der Klang dieser Stimme war mir so vertraut. Aber... Es war einfach unmöglich. Jetzt hatte ich schon Halluzinationen! Kopfschüttelnd widmete ich mich wieder dem Fenster.

"Peg!"

Diesmal war die Stimme eindringlicher. Es war ohne Zweifel seine Stimme.
Aber das konnte doch einfach nicht sein! Es sprach so vieles dagegen. Wie sollte das möglich sein? Es war einfach absurd. Vermutlich hatte ich zu lange gearbeitet. Das bekam mir nicht gut. Er würde nie mehr zurückkommen. Ich musste es akzeptieren.
Und dennoch...
Wie in Trance wandte ich mich um.

Und da stand er. Stand leibhaftig vor mir in einem feinen Anzug, einen Strauß dunkelroter Rosen in der Hand.

Er lächelte mich an.
Ich konnte es nicht fassen.
Er war doch tot!
Träumte ich?
"Steve?"
Mit sehnsuchtsvollem Blick wankte ich auf ihn zu, streckte meine Hand nach ihm aus, bis sie zu seiner Wange fand.
Seine Haut war weich und samtig, wie ich sie in Erinnerung hatte. Er duftete nach teurem Eau de Cologne.
Er stand wahrhaftig vor mir, als Mensch aus Fleisch und Blut.
Tränen bahnten sich ihren Weg aus meinen Augenwinkeln.
Ich konnte kaum glauben, dass das hier real sein sollte. Es war zu schön, um wahr zu sein.

Steve sah mich liebevoll an.
"Darf ich um diesen Tanz bitten?"

Ich lächelte mit tränenverschleiertem Blick.

"Du bist etwa fünf Jahre zu spät zu unserem Rendezvous..."

Sein Lächeln machte für einen Augenblick einer tiefen Traurigkeit Platz.

"Es hat sich eine Menge ereignet in der Zwischenzeit. Aber jetzt bin ich hier."

Ja, er war hier. Er war wirklich und wahrhaftig hier bei mir, um den versprochenen Tanz nachzuholen.
Er war am Leben. Und das war das einzige, was für mich zählte.
Ich konnte mich nicht mehr beherrschen. Schluchzend fiel ich Steve um den Hals, der gerade noch rechtzeitig die Rosen beiseite legen konnte, um mich in seinen starken Armen aufzufangen.
Und dann tanzten wir. Die Band spielte passenderweise gerade ein langsames Stück. Behutsam wiegte Steve mich im Takt der Melodie. Er trat mir nicht einmal auf die Füße. Und selbst wenn er es getan hätte, es hätte mich nicht gekümmert, solange er nur hier war. Es gab nur noch uns beide im Raum. Ich barg meinen Kopf an seiner Brust und schloss die Augen. Sein Herz schlug in Einklang mit meinem. Immer wieder flüsterte Steve zärtliche Worte in mein Haar. Ich hätte es mir nie erträumen lassen, noch einmal von ihm im Arm gehalten zu werden.
Die ganze Situation kam mir noch immer so surreal vor.
Ich verstand nicht, wie es sein konnte, dass er hier war. Ich konnte kaum glauben, dass wir nach all den Jahren, in denen Steve totgeglaubt war, hier im Stork Club waren und den langersehnten Tanz nachholten.
Ich fragte mich, was Steve in den letzten Jahren getan haben mochte.
In meinen Kopf schwirrten tausende Fragen herum.
Doch im Moment zählte nur, dass wir wiedervereint waren. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es irgendwo auf dieser Erde einen glücklicheren Menschen gab als mich.
Das Schicksal hatte uns aus unerfindlichen Gründen eine zweite Chance gegeben.
Zum ersten Mal in unserem Leben war uns Zeit geschenkt worden.
Meine Fragen würden mir zur rechten Zeit beantwortet werden. Für den Augenblick beschloss ich einfach, diesen Tanz in vollen Zügen auszukosten.
Viel zu schnell verebbte die Musik.
Doch ich musste lächeln.
Denn ich wusste, dass es hiermit nicht zu Ende war.

Unsere Geschichte hatte gerade erst angefangen.

𝐌𝐀𝐑𝐕𝐄𝐋𝐎𝐔𝐒 𝐌𝐈𝐍𝐃𝐒Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt