„Als Ritter darf ich wohl meinen, es ist ein Selbstverständnis, mir in die Gemäuer euer schönen Stadt Einlass zu gewähren."
Die beiden Wächter an der Zugbrücke, die, wie Alfons auffiel, ein bisschen zu viel Ähnlichkeit hatten mit Asterix und Obelix, sahen sich verstohlen und fast mitleidig an.
Der kleine der beiden Wächter, Alfons erfuhr später, sein Name war Netflix, der obendrein noch einen unglaublichen Fetisch für bewegte Bilder hegte, erhob seine Stimme: „Nun, Signor Selbstschutz, das mag doch alles stimmen, aber ohne Bescheinigung, Brief des Königs oder sonstigem Gedöns können wir Euch nicht passieren lassen."
„Na gut", sagte der Angesprochene und machte einen Schmollmund, „dann muss ich meinen drei kranken Kindern wieder mitteilen, dass ihr Vater versagte und nichts aus der Stadt mitnehmen kann." Er sah gespielt traurig auf den Boden der Brücke, auf die sich die drei Personen befanden.
Die beiden Wächter mit Schwert am Gurt hängend und braunem in Schweiß getränktem Hemd unter der Rüstung blickten sich wieder an. Diesmal erhob der etwas Fülligere der beiden das Wort: „Wir können noch drei Stunden hier stehen und diskutieren – irgendwie müssen wir ja die acht Stunden am Tag rumbringen. Oder Sie verziehen sich. Wir haben allerdings auch die Möglichkeit, ungemütlich zu werden." Als ob die Sonne diesen Satz gehört hätte, viel ein Strahl auf das glänzende Schwert, welches anfing, bedrohlich zu glitzern.
„Lass gut sein, Frissnix, unsere Schwerter sind es nicht wert, sich an so einem Wicht zu vergreifen." Der Kleine setzte einen herablassenden Mach-dich-vom-Acker-Blick auf.
Enttäuscht sah Alfons wieder auf. Sehnsüchtig blickte er auf die hohen Burgmauern, auf dessen Türme sich Vögel niederließen.
„Ich bin Ritter und will mein Glück in einer neuen Ortschaft, welche ich noch nie betreten habe, suchen, neue Wege erkunden, neue Herausforderungen meistern. Habe gegen eine Hundert-Mann-Armee gekämpft, Schätze gefunden und der Gerichtigkeit stets zum Sieg verholfen." Das winzige Detail, dass er in Wirklichkeit noch vor wenigen Stunden auf einem Schemel saß, um Milch von einer Kuh zu melken, ließ er aus.
Die beiden schüttelten nur den Kopf.
„Aber..", doch Alfons, dessen langer Schnurrbart nun donnerte vor Ungeduld und Zorn, verschluckte sich bei diesem angefangenen Wort. Er sah es als reine Zeitverschwendung, hier noch länger an der Brücke zu stehen. Daher machte er das einzig für ihn Sinnvolle.
Mit einem lauten und hysterischen „AAAAAAAHHHHH!!" stürzte er wie ein wahnsinnig gewordenes Pferd auf Netflix und Frissnix ein. Die Motivation, hinter diese Gemäuer zu kommen, trieb seinen Adrenalinspiegel in die Höhe und das Blut pochte wie verrückt – daher fand es auch im Gehirn keinen Platz mehr.
Die beiden Wächter an dem Tor rissen kurz die Augen auf und wollten schnell zu ihrern Waffen greifen, doch Alfons war zu schnell – sie wurden vom Bauer mit gewaltigem Schlag auf den harten Boden gerungen. Da dies nur Plan C war, hatte Alfons sich nicht überlegt, was der weitere Schritt sein sollte...
Mit vereinten Kräften versuchten Netflix und Frissnix, sich losreißen, doch Alfons war so geladen, er hätte selbst Herkules niederringen können. Kurz fühlte sich der selbsternannte Ritter tatsächlich wie ein solcher, doch was dann geschah, ließ all seinen Erfolg der letzten Sekunden wieder zunichtemachen: ein Wiehern eines Pferdes von hinten, ein Schlag, ein Schrei. Stille. Dunkelheit. Und die Kutsche hinter ihm blieb stehen.
Nur der dicke Wächter hatte einen letzten Kommentar parat: „Der Junge macht mehr Ärger als mein Sohnemann Kannix."
***
Die Dunkelheit, welche Alfons als letztes sah, war nun das erste, was er sah. Die Dunkelheit, die ihn umgab, wollte partout nicht weichen. Stattdessen konnte er Stimmen vernehmen die, wenn sich seine Ohren nicht komplett täuschten, von weiter Ferne herkommen. Wo war er? Wie war er hierhergekommen? Er konnte sich nur mehr an ein Wiehern erinnern.
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Amor, Stein & Eisen bricht
Short StoryUnser kostbarstes Hab & Gut, das uns zwar viel Freude, jedoch mindestens maximal noch mehr Schmerzen bereitet, als Wehrmutspflaster nicht über, sondern unter die Haut geht - und letztlich doch zum Scheitern verurteilt ist. Facettenreich, bunt, manch...