Das Leben früher

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Meine Mutter erzählte mir oft vom Leben, wie es früher war. Als man durch die Straßen gehen konnte und als normaler Mensch angesehen wurde. Als man nicht sofort sah, dass man anders war. Als man noch behandelt wurde wie jeder andere. Und man einfach ein Mensch war, der für wichtig befunden wurde.
Jeder war wichtig.
Aber seit 30 Jahren hatte sich was verändert.
Und ich wünschte es wäre nicht so.
Jeder hatte Angst abgestoßen zu werden. Und heutzutage war es leider so.

Es gab Menschen, denen das Pech sozusagen ins Gesicht geschrieben war. Sie waren unwürdig. Unwürdig angesehen zu werden.
Sie trugen rote Uhren, an denen man erkannte welcher Schicht sie angehörten.
Während es die graue Schicht, die Mittelschicht und anschließend die blaue, die Obersten gab.

Bei den Erwachsenen war es anders als bei uns. Am 40. Geburtstag wurde bestimmt, welcher Schicht sie angehören sollten.
Und welche Farbe sie waren, das waren auch ihre Kinder.
Den ersten Test musste man machen, sobald das 18. Lebensjahr erreicht war.
Es war ein reines Glücksspiel. Das Schicksal konnte einen hart treffen, denn das Schicksal entschied wie man die nächsten 22 Jahre leben konnte.

Ob man in der Schule in Grund und Boden gestoßen wurde, gleichgültig war oder beliebt und begehrt.
Jedes mal wenn ich durch die Straßen ging, beobachtete ich die Menschen die an mir vorüber zogen.
Ich sah einige Rote, an den Straßen sitzen, vor ihnen ein leerer Beutel und so verbrachten sie den ganzen Tag hoffend dass jemand unter den Menschen war, der ein Herz hatte eine Münze abgeben zu können.

Aber das passierte nicht oft, jeder ging an ihnen vorbei, beachtete nicht die traurigen nach Hilfe schreienden Blicke.
Ich beobachtete auch die Frauen, Männer und Jungendlichen mit einer blauen Uhr am Handgelenk. Sie waren meist groß und gutaussehend, sie hatten es also verdient reich und gut zu leben, alles vor die Füße geworfen zu bekommen und überall Vorrang zu haben.
Ich sah es nicht so, jeder war es Wert gut leben zu können. Und wenn man die alten Gesetze, von denen mir meine Mutter erzählte zurück holen würde, wäre die Welt um einiges besser.
Keiner würde auf den Straßen wohnen müssen und keiner hätte ein Haus in dem er 10 Mal Platz hätte.
Wenn man teilen würde, den Unwürdigen Platz gewähren würde und sie bei sich wohnen lassen würde, wäre jeder zufrieden.
Na zumindest die Hälfte der Menschheit.
Denn die Blauen dachten nur an sich, nie haben sie was für andere getan.
Dafür waren sie geboren.

,,soll ich dich hinfahren?" Fragte mich meine Mutter und ich schockte von meinem Buch auf
,,nein, ich geh' mit Louisa hin"
,,egal was passiert,Nicole.." Flüsterte sie und nahm mich in den Arm
,,du bleibst immer unsere Tochter" murmelte sie leise und küsste mich auf meine Schläfe
,,Mum, es ist nur ein Test. Wird schon schief gehen"
,,nimm es nicht zu locker. Dieser Test beeinflusst dein Leben für mehr als 20 Jahre"
,,ist schon gut, Mum"
Ich schnappte mir meine Tasche und warf ihr ein letztes Lächeln zu bevor ich das Haus verließ.

Es war angenehm warm und die Sonne strahlte. Ich stieg in den Bus für die Mittelschicht. Ja, wir durften nicht mit der oberen Schicht in einem öffentlichen Verkehrsmittel fahren. Wer das tat, wurde gleich rausgeschmissen.
Nach einigen Minuten stieg auch Louisa ein, meine beste Freundin. Ich kannte sie seit vielen Jahren und sie war ein liebevoller, gutherziger Mensch. Ihre Familie hatte es nicht leicht. Obwohl sie in der Mittelschicht lebten, wurde ihr großer Bruder einer von den Roten.

Er bekam keinen Job, keine Chance auf Geld. Er musste bei seinen Eltern bleiben, obwohl er längst alt genug war eine eigene Familie zu gründen. Mit seinen 26 Jahren, hatte er noch keine Frau oder Freundin. Den Unwürdigen war es auch nicht gewährt Liebe zu spüren. Das hieß, er blieb bis 40 Jahre allein. Er konnte sich glücklich schätzen dass seine Familie ihn nicht rauswarf.

Wenn es nur eine Farbe wäre(pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt