~15~
Sobald Grace wieder Zuhause war, begann ihre Unsicherheit. Natürlich wollte sie, dass Henry ihr half, doch nicht auf solch eine Art. Vielleicht würde sie ihren Job verlieren, wenn etwas dabei schief gehen würde.
Aber andererseits, hatte sie wirklich Lust irgendetwas anzustellen. Sie hatte noch ein paar Stunden Zeit, bis er ihre Wohnung erreichen würde, also entschloss sie sich, sich ein Weilchen ins Bett zu legen. Vielleicht würde sie ja sogar ein wenig einschlafen.
Grace schlief tatsächlich ein und wachte gegen 5 Uhr aus einem traumlosen Schlaf auf. Sie hob verwirrt den Kopf und starrte aus dem Fenster. Der Himmel war dunkelblau gefärbt und es gab kein Zeichen mehr dafür, dass einmal die Sonne an derselben Stelle gestanden hatte.Sie stand auf, duschte sich und zog sich ein hübsches aber bequemes Kleid an. Fast auf die Minute klingelte es und eine Minute später stand Henry mit einer Flasche Rotwein in der Hand vor ihrer Tür.
„Guten Abend. Darf ich hereinkommen?", sagte er mit einem höflichen aber leicht ironischen Tonfall.
„Aber natürlich", erwiderte Grace.
Nachdem Grace ein paar Gläser geholt hatte, setzten sie sich auf das Sofa und köpften die Flasche.„Auf die Gesundheit", sagte Henry mit erhobenem, vollen Glas.
„Auf die Gesundheit", murmelte Grace lächelnd.
Die Gläser klirrten und beide nippten an ihrem Glas. Grace wollte nicht erwähnen, dass der Wein scheußlich schmeckte, aber Henry tat es.„Also Henry, wie stellen Sie sich das vor?"
„Was soll ich mir vorstellen?"
„Den Plan natürlich!"
„Welchen meinen Sie, Grace? Plan A oder Plan B?", erwiderte Henry amüsiert.
„Es gibt zwei?"
„Aber natürlich gibt es zwei. Ein wahrer Mann hat immer zwei Pläne dabei."
Eine kurze Pause folgte, in der Grace nachdachte.„Allerdings müssen wir den Zweiten erst noch entwickeln. Deswegen sind wir ja hier. Oder nicht?", fügte Henry dann hinzu.
„Wenn Sie meinen", antwortete Grace mürrisch. „Und Sie wollen wirklich weg aus Chicago, ja?"
„Ja. Was gibt es denn hier noch zu sehen?"
„Meine hübsche Wohnung", sagte Grace amüsiert.„Ich denke wir sollten morgen mit dem Zug in den Süden reisen", sagte Henry urplötzlich.
Grace' Blick bestand aus purem Entsetzen. „Sie sind verrückt. Was wollen wir im Süden? Wir sollten nach New York!"Henry lächelte verschwörerisch. „Nein. Ich kann Ihnen versichern, dass Anthony nicht mehr in seiner Wohnung ist. Er wäre ja dumm. Nein, ich denke, er verfolgt Sie. Morgen wird er vor Ihrer Tür stehen. Und bis dahin sind wir beide auf und davon."
„Aber, ich dachte wir wollen ihn schnappen", erwiderte sie skeptisch. Dann sah sie Henry's vielsagenden Blick und zählte eins und eins zusammen. „Es sei denn, er folgt uns!", sagte sie dann.
„Ganz genau. Und deshalb, wird die Polizei auch nicht weit kommen. Er wird untertauchen und Sie dann aufspüren." Eine kleine Pause entstand, ehe er weiter redete. „Und ich dachte früher, er wäre harmlos, als seine Frau ermordet worden war", gab er dann zu.
Grace blickte ihren neuen Ermittlungspartner mitfühlend an. Sie nippte an ihrem Wein und überlegte dann still, wie sie fortfahren könnten.
*
„Vielen Dank nochmal, dass ich hier bleiben darf", sagte Henry. Er lächelte, während er seine Decke hochzog.
„Aber glauben Sie bloß nicht, mich beschützen zu müssen", erwiderte Grace halb im Spaß, halb im Ernst.
„Auf die Idee würde ich niemals kommen!" Ein sarkastischer Unterton floss mit in seine müde und angetrunkene Stimme.Grace nickte und ging in ihr Badezimmer. Die beiden hatten viel Wein getrunken.
Immer noch grinsend machte Henry es sich auf dem Sofa gemütlich. Er hatte vorgeschlagen heute hier zu schlafen, damit sie nicht alleine wäre. Grace hatte zwar gesagt, sie könne schon auf sich selbst aufpassen, aber er wusste es besser. Dieser Mann würde sicher nicht alleine kommen und dann wäre ein Mensch alleine hilflos - egal ob Frau oder Mann. Er starrte an die Decke und dachte über den morgigen Tag nach. Zugegebenermaßen stieg ein mulmiges Gefühl in ihm hoch, aber er unterdrückte es schnell wieder als er daran dachte, dass er Grace beschützen musste und sich so etwas nicht leisten konnte. Die beiden würden das schon schaffen.
Irgendwie.
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Brother #ColourAward18
Mystery / ThrillerChicago 1947. Mord. Liebe. Eifersucht. Ein weiterer Mordfall wurde Grace Hallington zugeteilt. Doch der macht es ihr ziemlich zu schaffen. Zudem kommt noch, dass ihr alter Schulfreund und Verdächtiger sie verführen möchte. Und dann ist da noch ihr...