Der Monarch [platonischer OS]

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(4276 Wörter)

Florian hielt nie viel von der Monarchie.
Sein Leben lang hatte er nie begriffen, warum eine Familie auf unbestimmte Zeit das Recht hatte, ein Land und seine Einwohner zu beherrschen, ungeachtet dessen, ob es nicht deutlich reifere und geeignetere Menschen für diese Aufgabe gab.
Gerade jetzt dachte er wieder viel darüber nach. Der König litt unter einer Krankheit, die ihm das Regieren verbot, deswegen hatte er seinen Sohn nun vorzeitig zum Regenten ernannt. 
Ebenjener war gerade einmal 21 Jahre alt, viel zu jung für einen König, wenn man Florian fragte. Es gefiel ihm nicht, von einem Mann regiert zu werden, der dreizehn Jahre jünger war als er selbst. 
Dieser junge Mann hieß Timon. Florian hatte nicht viel von ihm mitbekommen, aber wenn er sich ihn vorstellte, dann war er sich immer sicher, dass dieser Timon ein sehr eitler und selbstverliebter Mann war. Ein eingebildeter Snob. Möglicherweise war das aber auch dem albernen Namen des Königreichs geschuldet, der dem Prinzen den vollen Namen ‘Timon von und zu Klengan’ verlieh. Wenn Florian über sich sprach, klang der Ausdruck “Ich bin Florian aus dem Reiche Klengan” allerdings nicht besser.  

Florian war lediglich ein einfacher Tischler. Zwar arbeitete er für den königlichen Tischler und Schreiner, eine angemessene Bezahlung blieb dennoch aus. Seine immerwährende Geduld ehrte ihn, war er doch der Kopf und die Hände des Ladens, ohne je die Lorbeeren dafür zu ernten. In den achtzehn Jahren, in denen er seinem Handwerk nachging, hatte er wohl die halbe Einrichtung des Schlosses gebaut. Immerzu hatte der Meister das Lob dafür bekommen - schließlich fuhr auch nur er jedes Mal mit der Lieferung zum Schloss. Bis zu diesem einen Tag, an welchem Florian diese Aufgabe zuteil wurde. 

“Florian!” 
Der Angesprochene sah von seinem aktuellen Werk auf. “Ja?”
“Gleich kommt der königliche Wagen und holt die Arbeiten ab. Ist alles fertig?”
Florian nickte. 
“Es gefällt mir zwar nicht, aber heute wirst du mitfahren. Ich bin nicht in der Verfassung.”
Mit einem Mal hatte der 34-jährige einen Kloß im Hals, der ihm die Stimme nahm. Nur wusste er nicht, von welchem Gefühl das kam. 
“Der König nimmt die Waren für gewöhnlich selbst in Empfang, nun wird das wohl der Prinz tun. Verhalte dich bloß angemessen! Wenn du mir meinen guten Ruf ruinierst kannst du selbst sehen, wo du bleibst!”
Florian schluckte den Kloß hinunter und nickte. Nun war ihm schlecht, gleichermaßen vor Aufregung wie durch eine gewisse Abscheu. Er hatte sich geschworen, nie ein Wort mit den Herrschern des Landes zu wechseln, mit dem Prinzen am aller wenigsten. Doch das konnte der dunkelhaarige Tischler nun wohl an den Nagel hängen. 
Er verstaute das Holzstück, an dem er gerade schnitzte, gemeinsam mit dem wichtigsten Schnitzwerkzeug in seine kleine Tasche und begann anschließend damit, die bestellten Möbel nach draußen zu tragen. 
“Es sieht nach Regen aus”, sagte der Meister zu ihm. “Wenn es zu stürmen beginnt, kannst du erst morgen zurückkommen. Sollte es auf deinem Weg zu regnen beginnen, musst du rasten. Dass mir die Möbel ja nicht nass werden, sonst werden sie morsch!”
“Ich weiß das alles”, dachte Florian für sich, doch er sprach es besser nicht aus. Stattdessen nickte er nur und wartete geduldig auf den Wagen. 

Behutsam und vorsichtig schnitzte er auf dem Weg zum Schloss weiter. Es war kein Auftrag, er schnitzt nur aus Spaß an der Freude daran. Er wusste nicht einmal, was genau es einmal werden sollte; vielleicht eine Figur, vielleicht etwas abstraktes.
Der Kutschwagen machte einen unschönen Hüpfer. Und noch einen. Und einen weiteren. Florian packte das Schnitzzeug vorsichtshalber wieder weg. Er war schon fast am Schloss angekommen, was ihm das Herz etwas höher springen ließ. Denn obwohl er die Monarchie verachtete und für das Königreich im Allgemeinen nicht viel übrig hatte, war es eine Ehre, so ungern er es auch zugab. 
Die Kutschfahrt wäre gar nicht so lang gewesen, wenn der Meister schon immer Beauftragter des Königs gewesen wäre. Das war er erst seit 15 Jahren, in denen er nie Anstalten gemacht hatte, tatsächlich mit der Werkstatt ins Innere des Schlosses zu ziehen - der Grund dafür war Florian seit jeher unbekannt. Er hatte das Schlossinnere selbst also noch nie betreten - umso aufgeregter war er, als die Kutsche durch das große Tor direkt auf den Marktplatz fuhr. Unzählige Verkaufsstände rahmten den Weg, an denen es alles nur erdenkliche zu kaufen gab. Weidenkörbe, Backwaren, Fisch und Fleisch, Obst und Gemüse, Kräuter, selbst einen Schmied gab es, der Rüstungen und Schwerter herstellte und reparierte. Florian war vollkommen verblüfft und angetan, doch er versuchte, es so gut wie möglich zu verstecken; diesen Triumph gönnte er dem Königreich Klengan nicht. 
Der Wagen kam zum stehen. Florian sprang hinunter und fand sich vor dem Schlosstor wieder, welches sich nun öffnete, um die Möbel in Empfang zu nehmen. Eilig half der Dunkelhaarige dem Kutscher dabei, die Kutsche abzuladen, bis er schließlich mit allen Waren im Foyer stand.
“Der Prinz wird gleich kommen und dich in Empfang nehmen. Putz dir in der Zeit die Hose ab. Da hängt noch Holz.”, teilte der Kutscher mit, ehe er wieder auf den Kutschbock stieg und sich das Schlosstor schloss. 
Nun stand er da, wischte sich die Späne von der Hose und legte die Hände erst hinter dem Rücken, dann vor sich ineinander. Was sollte er jetzt mit sich anfangen? Zu schnitzen und damit den Boden zu verschmutzen, würde sich schließlich nicht gehören. 
“Dich kenne ich ja noch gar nicht”, klang auf einmal eine Stimme vom oberen Treppenabsatz. Florian zuckte zusammen und blickte den jungen Mann an, welcher nun die Treppe hinab stieg. 
“Ja, ich, also- der Meister war verhindert, und da- also, deswegen bin ich heute hier. Ich bin Florian.”
Der junge Mann nickte, mittlerweile stand er vor dem Tischler.
“Du blutest”, sagte er nüchtern. 
Tatsächlich blutete der Tischler am rechten Zeigefinger, offenbar hatte er sich auf der unebenen Straße in den Finger geschnitten.
Der Prinz lief um Florian herum, musterte ihn und nickte schließlich wieder. 
“Ein hübsches Inventar hast du dabei.”, sagte er.
“Bitte?” Die Aussage hatte den Schnitzer ganz schön aus der Bahn geworfen. Der hellbraunhaarige Prinz deutete auf die bestellten Möbel. “Oh, ja. Alle bestellten Stücke sind mit der größten Sorgfalt und Hingabe hergestellt worden.”
“Was schnitzt du eigentlich?”
Erneut flammte die Verwirrung in Florian auf. “Woher-”
“Das ist doch ein Stück Holz und ein Schnitzmesser da in deiner Tasche, nicht?” Diesmal deutete er auf die kleine Tasche, die Florian dabei hatte - er hatte vergessen, sie wieder zu schließen.
Florian nickte langsam. Zwar war der Prinz nicht so hochnäsig, wie er es sich vorgestellt hatte, doch suspekt war er ihm allemal. 
“Die Tatsache, dass du das Messer wohl mit links hältst, ist nicht minder interessant. Wegen der unebenen Straße hast du dich geschnitten, nicht wahr?”
Florian war die Beobachtungsgabe des Mannes, der ja zu allem Überfluss auch noch einen halben Kopf größer als er selbst war, nicht ganz geheuer. 
“In der Tat”, antwortete er und bemühte sich, dabei ruhig zu klingen. 
“Also, was schnitzt du da?”
Florian zog das Werkstück kurz aus der Tasche und drehte es in der Hand. “Ich weiß es selbst noch nicht”
“Dann schnitz mal weiter”, meinte Timon.
Florian blickte ihn verwundert an. “Und was ist damit?” Er deutete auf die Lieferung neben ihm. 
“Dafür gibt es unsere Bediensteten. Ich will dir beim Schnitzen zusehen”
“Aber was, wenn ich gerade keine Lust habe, weiter zu schnitzen?”, entgegnete Florian.
Er rechnete mit dem Schlimmsten für diesen Satz, der ihm so herausgerutscht war. Doch der Prinz begann zu lachen. 
“Du gefällst mir immer besser”, sagte er und hob die Hand - ein Knappe kam angehastet. “Bring die Möbel an ihren Platz. Ich werde mich zurückziehen und dem Tischler das Schloss zeigen.”
Florian schluckte. So hatte er sich seinen Auftrag nicht vorgestellt, und sein Vorhaben, so schnell es ging wieder zu verschwinden, fiel nun auch ins Wasser. 
“Sehr wohl, Prinz Timon”, verneigte sich der Knappe und verschwand, um Verstärkung zu holen.
“Ihr müsst mir das Schloss nicht zeigen”, meinte Florian etwas verlegen. Erneut musste er missmutig zugeben, welche Ehre ihm zuteil wurde. 
“Mache ich auch nicht, es sei denn, du möchtest das. Ich brauchte nur einen guten Spruch. Eigentlich will ich mit dir in den Garten, da kannst du Schnitzen. 
Der 34-jährige wunderte sich immer mehr über den Prinzen Timon. Aber er konnte nicht abstreiten, dass er nun neugierig auf den Verlauf des restlichen Tages war. Wie oft interessierte sich schon ein Adliger für jemanden vom einfachen Volk?
Timon machte eine Kehrtwende und schritt auf die Flügeltür zwischen den sie umrundenden Treppen zu, Florian folgte ihm. Hinter der Tür befand sich ein weiter, großer Raum, an dessen Ende ein Fenster einen Blick auf einen Teil des Gartens bot. Links und rechts prangen weitere Türen. Die Linke führte zur Küche, wie Timon erklärte, durch die Rechte traten sie nun ins Speisezimmer, ehe der Prinz sie durch die letzte Tür nach draußen in den Garten führte. Es war ein großer und prächtiger Garten, voller Blumen und gepflegten Büschen und großen, grünen Wiesen, soweit das Auge reichte. Florian fand es wundervoll.
“Ich weiß, das ist es wirklich”, antwortete Timon, denn der Ältere hatte seinen Gedanken laut ausgesprochen. “Ist mein Lieblingsort im Schloss.” 
Der Prinz wirkte jetzt sehr ruhig, und auch Florian war beinahe gar nicht mehr aufgeregt. Der Ort hatte wirklich eine magische Wirkung.
“Komm, ich zeige dir mal meine Ecke”, meinte der junge Adlige im Gehen. 
Besagte Stelle war eine Bank, die hinter einem Gebüsch versteckt war, aber immer noch Aussicht auf die vielen bunten Blumen bot. Sie lag abseits des Hauptweges und war damit der perfekte Rückzugsort. 
Florian blickte überrascht. “Die Bank da, die hab ich gemacht.”
Timon lächelte. “Wirklich?”
“Ja. Ich habe die meisten Möbel gefertigt, die Ihr und Euer Vater in Auftrag gegeben habt.” Er tastete auf der Rückseite der Rückenlehne entlang. “Ich habe auf jedem ein kleines F versteckt, das von mir ist.”
“Interessant”, grinste der Prinz und ließ sich auf die Sitzfläche sinken. “Setz’ dich doch, bitte”
Florian tat, worum er gebeten wurde und setzte sich, dabei zog er gleich sein Holzstück und das Messer aus der Tasche. “Seid Ihr Euch sicher, dass Ihr mir zusehen wollt? So interessant ist das nun auch nicht”
Doch Timon blieb beständig, also setzte der Tischler das Messer an und schnitzte gekonnt das kaum geformte Holz zu einer kleinen Figur heran. 
“Ich will dich nicht stören”, flüsterte Timon, “Aber wer wird es?”
Florian zuckte mit den Schultern und drehte das Holz in seinen Händen. 
“Hast du dich schon mal selbst geschnitzt?”
Ein wenig überrascht über die Frage schüttelte der Kleinere mit dem Kopf. 
“Dann tu doch das. Wenn du möchtest”
Florian musste lächeln. Selten interessierte sich jemand tatsächlich für das, was er wollte. Er fühlte sich wirklich überraschend gut behandelt von dem Mann, den er immer für einen hochnäsigen Snob gehalten hatte. 
Er schnitzte die gröbsten Details, deutete Haare und Kleidung an, dann wechselte er das Werkzeug und begann mit den Feinheiten. Erst fiel es ihm schwer, sich in Timons Anwesenheit zu konzentrieren, doch mit der Zeit fokussierte er sich immer mehr und war schließlich vollständig in seinem Element. 
Timon sah ihm dabei aufmerksam und fasziniert zu. Ganz geduldig und ohne ein Wort zu sagen, obwohl es Stunden gedauert haben musste.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 14, 2023 ⏰

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