Für immer

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(15.118 Wörter - Kurzgeschichte)

Erfrischt und tiefenentspannt stieg Timon aus der Dusche und griff nach einem Handtuch, mit dem er kurz seinen Oberkörper etwas trocken rieb, und es sich dann um die Hüfte band. Er stellte sich vor den Spiegel, wischte den Dunst, der seine eben getätigte Dusche bestätigte, davon ab und betrachtete sich etwas. Er strich sich mit den Händen über die geröteten Wangen und dann durch die nassen Haare, die ihm ungestylt überall im Gesicht hingen, und die er eigentlich föhnen wollte; allerdings unterbrach ihn das schrille Klingeln der Tür. Die Augen verdrehend stellte er sich die Frage, warum Besuch immer dann kam, wenn er im Bad war, und er überlegte schon, einfach nicht auf zu machen, entschied sich aber um, als Wer-auch-immer auf die glorreiche Idee kam, Sturm zu klingeln. „Na gut,", dachte Timon, „wer auch immer das ist muss mit mir im Handtuch klarkommen".
So also verließ er das Bad, immer genervter vom Klingelsignal, und bemühte sich, die Tür nicht entnervt aufzureißen. Ihm fiel die Kinnlade herunter, als er besagte Person vor der Wohnung sah. Auf er Fußmatte hockte Florian Heider, zusammengekauert, der linke Arm nach oben zur Türklingel gestreckt, nass, wimmernd und Timon mit großen, glasigen Augen ansehend, als dieser in der Tür stand. Reflexartig und ohne irgendwelche Fragen zu stellen streckte der Jüngere seine linke Hand zu seinem überraschenden Besuch herunter, mit der anderen hielt er das Handtuch fest, das immer noch seine einzige Bekleidung war. Vorsichtig, als wäre er aus Glas, hievte er ihn hoch, was sich als nicht so einfach herausstellte, es schien, als wäre jegliche Kraft aus Florians Körper gewichen und er hätte sich mit den letzten Funken zu des Jüngeren Wohnung geschleppt. Kaum war er auf den Beinen, ließ er sich in Timons Armen wieder etwas zusammensinken, ignorierte, dass dieser so gut wie nackt war, er brauchte einfach kurz etwas Innigkeit und das Gefühl, nicht allein zu sein. Weiterhin schweigend leitete Klengan seinen guten Freund in sein Wohnzimmer, setzte ihn auf das Sofa und wickelte ihn in eine Decke - es war selbstverständlich, dass er für ihn da war, auch wenn es Abend und Timon nicht einmal angezogen war, sowas tat man unter Freunden eben. Sobald der Ältere gut in der warmen Wolldecke verpackt war und sich in die weichen Sofakissen lehnte, brach der Größere die Stille.
„Ich geh mich schnell anziehen, dann bin ich wieder hier. Willst du was trinken?"
Der Ältere schüttelte zaghaft den Kopf, Klengan nickte und verschwand wieder im Bad, um sich in Windeseile anzuziehen und so schnell wie möglich wieder im Wohnzimmer bei seinem besten Freund zu sein.

In seiner Abwesenheit blickte Flo sich in Timons Wohnzimmer um, musterte ein wenig die Einrichtung, bis ihm ein Bild auf einer Kommode auffiel. Darauf abgebildet war Timon zu seinem Abschlussball, er kannte ein ähnliches Bild bereits, dieses allerdings zeigte ihn breit lächelnd irgendwohin zur Seite schauen, ein Schnappschuss, wie es aussah. Irgendetwas an diesem Foto fesselte ihn, er wusste nicht was. Er wandte erst wieder den Blick davon, als er leise die Badezimmertür zufallen hörte und der Jüngere kurz darauf neben ihm auf der Couch saß.

Stumm sah Timon seinen Älteren Freund an, der geradeaus auf den Fernseher starrte, in Gedanken etwas das Gesicht verzog und nach einigen Minuten die Augen zusammenkniff. Er biss sich auf die Unterlippe, die etwas zu zittern begann, als wolle er Tränen zurückhalten, die drohten, über seine Wangen zu rollen und an die Außenwelt zu gelangen.
„Willst du drüber reden?" Es war nicht schwer zu erkennen, dass ihm etwas auf dem Herzen lag, das hätte jeder Drecksdepp auf den ersten Blick sehen können. Es dauerte einige tiefe Atemzüge lang, bis Flo mit gebrochener, leiser Stimme zu reden begann - oder es zumindest versuchte.
„N- ... Ni- ..."
Er seufzte, schüttelte den Kopf und versuchte, sich zu sammeln, damit er wenigstens einen ordentlichen Satz heraus bekam.
„W-wir haben uns gestritten ... A-aber nicht so wie vorher, sondern ... so richtig ..."
Logisch brauchte der Jüngere keine zwei Sekunden, um zu wissen, wer mit 'Wir' und den ersten Wortfetzen gemeint war - Florians Freund Nino, den nie jemand als seinen festen Freund registriert hatte, alle hatten die Anspielungen für Ironie gehalten; mit dem er seit fast drei Jahren eine Beziehung führte.
„So sehr, dass du von München bis hier her gefahren bist? Was war denn da bei euch los?"
Er hasste automatisch jeden, der den Heider verletzte, so nun auch Nino, am liebsten hätte er sich diesen in jenem Moment vorgenommen. Florian nickte, vergrub sich etwas in der Decke und schien zu schaudern, als er daran zurück dachte.
„Ich musste da weg, ich bin raus gerannt, und ich wusste nicht, zu wem ich sonst hätte gehen sollen. Ich hoffe, ich falle dir damit nicht zur Last, ich hab dich wohl in einem ungünstigen Moment erwischt" Mit einer winkenden Handbewegung wehrte Timon die Aussage ab.
„Ach was", sagte er. „Das ist voll okay. Ich bin für dich da. Außerdem, so ungünstig ist das gar nicht. Ich meine, ich habe Semesterferien und meine Eltern sind immer noch im Urlaub, du kannst ein paar Tage bleiben, bis sich das zwischen euch entspannt hat."
Flo lächelte ein wenig, nickte und sah endlich seinen besten Freund an.
„Danke, dass du mich alten, weinerlichen Drecksdeppen einfach so aufnimmst", sagte er und fand sich wenige Sekunden später in einer Umarmung wieder.
„Kein Problem, wie gesagt, ich bin für dich da. Sowas macht man doch als Freund, nicht?", erwiderte Klengan, lächelte ihn kurz etwas an, bevor er das Sofa musterte. „Ähm, also, wenn du hier schlafen willst, dann hoffe ich, dass die Couch okay ist, ein Gästezimmer hab ich nämlich nicht."
„Das ist okay, ja. D-danke.."
„Nichts zu danken. Sag mal.. ich will nicht neugierig sein, aber worüber habt ihr euch gestritten?"
Flo presste die Lippen aufeinander, schloss kurz die Augen und schüttelte sacht den Kopf.
„Nicht jetzt.", hauchte er und vergrub sich tiefer in der Decke.
„Alles klar, tut mir leid. Ich schätze, du bist müde; ich mach mal das Sofa fertig. Wenn du kurz ..." Er stand auf, der Ältere tat es ihm gleich, und folgte ihm mit seinem Blick, als dieser ein Bettlaken aus einem Schrank im Flur holte, die Kissen vom Sofa nahm und das Laken darüber spannte, anschließend das weichste wieder darauf platzierte und dann kurz zwischen dem Heider und dem vorübergehenden Gästebett hin und her sah.
„Danke", wiederholte der Ältere sich und schälte sich aus der Decke, legte diese dazu und zitterte ein wenig, als ein kalter Windzug durch die angekippte Balkontür zog und die Kälte von der Nässe seiner Kleidung unterstützt wurde.
„Sie werden dir vermutlich zu groß sein, aber ich leih dir jetzt mal ein paar Klamotten von mir. Ich kann dich ja nicht in nassen Sachen schlafen lassen. Komm mal mit"
Damit schob Timon seinen besten Freund in sein Zimmer, öffnete, kaum dass er dort angekommen war, den Schrank und kramte ein wenig darin herum, wobei er Flos Blick in seinem Rücken spürte. Es machte ihn ein wenig nervös, so wie immer, wenn sie miteinander sprachen oder er in seiner Nähe war - bei seinem Vortrag bei TubeMunich hatte er sich sehr zusammenreißen müssen - er war sich lange Zeit nicht im Klaren darüber gewesen, wieso das so war, aber mittlerweile hatte er sein Talent, sich in Personen zu verlieben, bei denen er aus verschiedenen Gründen keine Chance hatte, erkannt und insofern akzeptiert, dass er es so gut wie möglich ignorierte.
Er zog eine Jogginghose und ein T-Shirt heraus und hielt es dem Älteren hin, der zwar erst etwas zögerte, es dann aber dankend annahm.
„Du kannst jetzt erstmal duschen gehen, dich umziehen und dann aufs Sofa hauen. Wenn ich an deiner Stelle wäre bräuchte ich das zumindest. Ich geb dir noch schnell ein Handtuch."
Zwei Minuten später standen sie dann im Flur, Flo bepackt mit dem Handtuch und den Anziehsachen, Timon, der ihn einfach so unauffällig wie möglich ansah, bis der Ältere sich räusperte, in Richtung Bad zeigte und darin verschwand.

Es war nie einfach für Timon gewesen, sich Flos Erzählungen über dessen Freund anzuhören. Immer hatte es ihm weh getan, auch wenn er sich natürlich für seinen besten Freund freute. Auch dieses Mal war es so, dass er diesen Schmerz in seiner Brust spürte, nun aber aus dem Grund, dass er mit Florian mitfühlte. Er musste sich schrecklich fühlen, gerade wenn der Streit so schlimm schien - denn er hatte vorher nie in dieser Situation gesteckt, er hatte zuvor nie von solchen Auseinandersetzungen gesprochen, umso schlimmer, dass er jetzt nicht einmal mehr Zuhause sein konnte. Während Flo im Bad war saß Timon auf seinem Schreibtischstuhl, dachte darüber nach, was so schlimm gewesen sein konnte, dass der einzige Ausweg er und damit die Flucht von München nach Köln gewesen war. Seine Gedanken wurden erst unterbrochen, als ihm auffiel, wie lange sein älterer Freund eigentlich schon im Badezimmer war. Er war sich nicht sicher, ob er nach ihm sehen oder ihn in Ruhe lassen sollte, stand allerdings auf und ging in den Flur, stellte sich vor die Badezimmertür und hörte dem Geräusch zu, das die Dusche von sich gab. Außer diesem hörte er allerdings nichts, was in ihm ein mulmiges Gefühl auslöste. Er klopfte vorsichtig an der Tür, nannte seinen Namen, bekam aber keine Antwort.
„Ich komm jetzt rein, ja? Nicht erschrecken oder so"
Es war vermutlich sinnlos, trotzdem warnte er ihn lieber vor. Er war etwas überrascht, dass die Tür nicht abgeschlossen war und er ohne Probleme hinein kam, allerdings weilte das Überrascht-sein nicht lange. Er seufzte und verzog das Gesicht zu einer mitleidigen Miene, als er Flo mit angezogenen Knien komplett in seiner Kleidung in der Badewanne sitzen sah, das Wasser prasselte auf ihn nieder und es schien ihn nicht zu stören, er starrte nur geradeaus ins Leere, seine roten Augen ließen darauf schließen, dass nicht alles Wasser in seinem Gesicht von der Dusche stammte.
„Man Flo ...", murmelte er, stellte das Wasser ab und hockte sich neben die Wanne, stütze sich auf den Rand, sodass er ihn ansehen konnte. „Du musst drüber reden. Du musst das loswerden. Du merkst doch, dass es dir schlecht geht deswegen. Sprich mit mir bitte."
Wieder herrschte Stille für einige Augenblicke, in denen Timon sich gewünscht hätte, sie hätten sich unter anderen Umständen getroffen.
„Er gibt es nicht zu", flüsterte Flo letztlich und atmete tief durch, um nicht erneut zu weinen. "Aber ich habe ihn gesehen", sagte er und ließ dem Jüngeren damit keine Zeit zu sprechen. „Ich habe gesehen, wie er mich betrogen hat."
Timon fehlten die Worte, er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Mehr als: „Das tut mir leid Flo, das hast du echt nicht verdient" kam nicht aus ihm heraus und es brauchte einen kurzen Moment, in dem er sich erst einmal selbst erholen musste, ehe er aufstand, den Älteren aus der Badewanne zog und ihn ernst ansah, wobei er ihn an den Schultern packte. „Ich kann mir vorstellen, wie das für dich ist. Ich glaube dir, dass es dir deswegen furchtbar geht. Aber in Klamotten zu duschen und dem hinterher zu trauern bringt dich nicht weiter. Also komm schon; Wenn du wirklich zu nichts fähig bist helf ich dir auch, aber ich bezweifle, dass du das willst."
Flo stammelte etwas bevor er nickte, die Tränen herunterschluckte und wieder Spannung in seinen Körper brachte.
„Du hast recht. Danke"
Beide lächelten flüchtig, ehe Timon wieder den Raum verließ.
Langsam blickte Flo im Raum umher, kaum, dass er wieder allein war. Es unterschied sich nicht allzu sehr von dem Bad in seiner und Ninos gemeinsamer Wohnung, abgesehen von einigen kleineren Details und Farben. Er wusste selbst nicht einmal, wie er darauf kam, eigentlich war alles hier irgendwie komplett anders, trotzdem erinnerte ihn alles daran. Er zwängte sich aus seiner durchnässten Kleidung, wrang sie aus und legte sie zur Seite, bevor er in die Dusche stieg. Er drehte das Wasser warm auf und schrubbte sich ab, als hoffe er, er könne damit die Geschehnisse des vergangenen Tages abwaschen. Ein Seufzer entfuhr ihm, er versuchte die Erinnerung zu verdrängen, die ihm unweigerlich wieder in den Sinn kam, jedoch ohne Erfolg.

#kleider-Schrank (Eine Sammlung an #kleider Oneshots)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt